Bringen Pflicht und Zwang die Wirtschaft in Gang?

CDU-Politiker für Arbeitszwang und Dienstpflicht

Sepp Müller, CDU-Bundestagsabgeordneter für Dessau-Roßlau, gibt sich in der breiten Öffentlichkeit gern jovial bis volksnah. Beim Bäumepflanzen zum Beispiel. Und im Tierheim. Das in Dessau hatte er während seiner „Zuhör-Tour im Osten“ besucht. Für Fotos in der örtlichen Zeitung schwang er dort den Besen. Ob Müller auch Katzenklos geleert hat, ist nicht überliefert. In Wörlitz trat er gemeinsam mit Carsten Linnemann (CDU MdB, links im Bild oben) vor der Mittelstandsunion (MIT) auf.

Müller versteht es, den Menschen „im Osten“ auf’s sprichwörtliche Maul zu schauen. Zuweilen entsteht der Eindruck, er rede den Leuten nach demselben. Vor allem teile er die Abneigung gegen Bevormundung. Die möge er gar nicht. In der Hauptstadtpresse verkündete der CDU-Mann am 15. Mai, die Ostdeutschen seien „bei Verboten total sensibel“.

Sensible Ostdeutsche und Merkels Heizungs-gesetz

Das war auf die Heizungspläne des grünen Wirtschaftsministers gemünzt. Der wolle Hausbesitzer zum Heizungstausch zwingen. Tatsächlich schreibt das Gebäudeenergiegesetz (GEG) aus dem August 2020 vor, ineffiziente Öl- und Gasheizungen durch energiesparendere Heizungen auszutauschen, wenn sie über mehr als 30 Jahre alte Konstanttemperaturkessel verfügen. Müllers Parteifreundin Angela Merkel war damals Bundeskanzlerin. Die Erkenntnis, dass heute schon bestehende „Heizungsverbote“ unter CDU-Ägide beschlossen wurden, möchte Müller seiner sensiblen Wählerschaft offenbar nicht zumuten.

20 Euro für die Mittelstandsunion

Vermutlich reagieren sensible Wähler*innen auch nicht sonderlich angetan auf Eintrittspreise für – nun sagen wir Partei-Informationsveranstaltungen. 20 Euro sollten Besucher*innen beispielsweise für einen Auftritt Müllers und seines Partei- und Parlamentskollegen Carsten Linnemann bei der „Mittelstands- und Wirtschaftsunion“ (MIT) berappen.

Jene, die die 20 Euro bezahlt hatten, durften sich an appetitlichen Portionen von zartem Filet auf Spargelmus und ähnlichen Produkten der gehobenen Küche gütlich tun. Neben Mittelständlern und Freiberuflern waren am 09. Mai im 4-Sterne-Hotel „Zum Stein“ in Wörlitz auch Vertreter kommunaler Verwaltungen und Politik dabei. Ihnen setzten Linnemann und Müller recht handfeste politische Kost vor.

zwang und Dienst statt Wettbewerb

Von Arbeitszwang über Dienstpflicht bis zu Azubi-Ablöse reichte die Zutatenliste. Viele der anwesenden Unternehmer*innen goutierten diese Einlassungen mit reichlich Applaus. Grund für den angeblich bevorstehenden Ruin des Industriestandorts Deutschland sei nämlich zu viel Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt.

Richtig gelesen: Ausgerechnet das Strukturprinzip der Marktwirtschaft, den Wettbewerb, identifizierten die CDU-Männer als Nachteil für mittelständische Unternehmen und Betriebe. Müssen sich Arbeitgeber*innen mittlerweile doch tatsächlich um Mitarbeiter*innen bemühen. Die stehen auf der Suche nach Erwerbseinkommen oftmals nicht mehr Schlange, sondern sortieren Arbeitsplatzangebote nach Attraktivität und suchen im Zweifelsfall lieber ein paar Wochen länger. Faktoren Arbeitszeiten, Familienfreundlichkeit und Höhe der Entlohnung entscheiden mehr denn je über den Arbeitgeber-Erfolg auf der Suche nach Arbeitskräften.

Chefs als Bewerber, faule Arbeitnehmer

Fachkräfte sind rar gesät, verkünden Wirtschaftsnachrichten regelmäßig. Der Markt hat sich gedreht vom Nachfrage- in einen Anbietermarkt. Die früher herrschende Knappheit des Faktors Arbeit war ein Vorteil für Arbeitgeber*innen. Die konnten aus Stapeln von Bewerbungen passende Mitarbeiter*innen auswählen. Heute müssen sich Chefinnen und Chefs oftmals bei potenziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bewerben. Bei Großunternehmen und Konzernen war diese Botschaft schon vor Jahren angekommen. Manch Mittelständler*in hat unterdessen weiter vor sich hin gewurschtelt und wundert sich heute, dass Arbeitsuchende eben nicht mehr für den nächst schlechtesten Job unterschreiben.

CDU-Landeswirtschaftsminister Sven Schulze sieht allerdings keine Marktmechanismen, sondern Faulheit. Faulheit der Arbeitnehmer*innen wohlgemerkt. Er definiert Arbeitslosigkeit flugs um zur „staatlich subventionierten Nichtarbeit“. Und die brauche es nicht, denn „es gibt überall Arbeit für alle“. Parteikollege Linnemann assistiert: „Ich würde eine Arbeitspflicht einführen.“ Nach sechs bis zwölf Monaten staatlicher Unterstützung sollen Arbeitslose jedwede Beschäftigung annehmen müssen. Wäre doch gelacht, wenn die unionsnahe Mittelstandslobby dem Sozialen in der Marktwirtschaft nicht ein Schnippchen schlagen könnte.

Belastete arbeitspflicht

Doof findet Linnemann, dass Arbeitspflicht in Deutschland „historisch belastet“ sei. Mancher assoziiere solch eine Produktivitäts-Zwangsbeglückung mit Arbeitsdienst, wie er in früheren Phasen der Geschichte der Deutschen nicht unüblich war. Andere seien da entspannter, referiert der promovierte Volkswirt und verweist auf die Niederlande. Dort gäbe es den Zwang, als Gegenleistung für staatliche Unterstützung zu arbeiten. Dass unsere Nachbarn im Nordwesten ein völlig anderes System der Arbeitslosenunterstützung haben, dass dort Kommunen und nicht der Staat für Unterstützung und Aktivierung zuständig sind, dass je nach örtlichen Gegebenheiten und Klientel auch die regelmäßige Teilnahme an Kaffeekränzchen als Gegenleistung für staatliche Unterstützung gilt – all das verschweigt Linnemann.

Sepp Müller variiert das Thema mit dem Vorschlag, Arbeitslosenunterstützung höchstens zwei Jahre lang zu gewähren. Wer nach dieser Frist noch nicht arbeite, müsse wohl krank sein. Kranke aber müssten von Krankenversicherung oder Rentenkasse versorgt werden. Zu Auswirkungen auf die schon jetzt klamme Finanzausstattung der entsprechenden Kassen inklusive möglicher Steigerungen der Beitragssätze auch für Unternehmer*innen verliert er kein Wort.

Erst mal dienen lernen

Vielleicht hilft ja auch eine allgemeine Dienstpflicht. Ein Jahr lang sollen junge Menschen nach der Schule einen Pflichtdienst absolvieren. Gern in der Bundeswehr. Aber auch andere Dienste seien möglich. Hauptsache junge Menschen werden erst einmal daran gewöhnt, ihr Leben nicht nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, sondern zu dienen. Die Vermutung liegt nah, dass die verweichlichte junge Generation abgehärtet werden soll. Motto: Der faulenzende Pöbel wird endlich zur Arbeit erzogen. Die Versammlung applaudiert.

Wie durch Dienstpflicht verzögerter Berufseinstieg gegen den Fachkräftemangel helfen soll, bleibt ungeklärt. Gleiches gilt für die Antwort auf die Frage, wieso Qualifikationen und Ausbildungen nicht belohnt werden sollen, wenn doch genau diese fehlen. Vielleicht geht es aber auch gar nicht um Qualifikation. Wie bei dem Hersteller mobiler Toiletten aus Coswig, der nach eigenen Worten gar keine qualifizierten Mitarbeiter*innen sucht, sondern nur angelernte Kräfte. Wenig qualifizierte Plastik-Klo-Zusammensetzer*innen haben im Zweifel auch geringere Lohnvorstellungen.

azubi-ablöse a la Bundesliga

Und dann sind da die Azubis. Auch die bleiben nach abgeschlossener Ausbildung nicht mehr automatisch bei ihrem Ausbildungsbetrieb, sondern wählen das jeweils lukrativste Angebot auf dem Markt. Von Azubi-Klau ist die Rede in den Reihen der versammelten Mittelständler*innen. Zu hohe Löhne gebe es in Öffentlichem Dienst und Großkonzernen. Die bildeten oftmals selbst nicht aus, übernähmen aber gern die bei kleinen Unternehmen qualifizierten Kräfte. Noch ein Grund, staatliche Regulierung einzufordern.

Für Fußballfan Linnemann ist klar: Eine Azubi-Ablöse muss her. Fünf Jahre sollen Azubis nach Abschluss ihrer Ausbildung im jeweiligen Betrieb bleiben, schlägt er vor. Wolle ein Unternehmen ausgelernte Azubis eines anderen vor dieser Frist übernehmen, müsse eine Ablöse gezahlt werden. Funktioniert ja auch in der Bundesliga. Dort profitieren von diesem System allerdings in erster Linie finanzstarke Clubs. Die erkaufen sich ihre Tabellenplätze geradezu. Vereine mit schmaleren Budgets, die in Nachwuchsförderung investieren, haben oft genug das Nachsehen. Was diese Quasi-Konzernförderung mit Mittelstandspolitik zu tun hat? Es bleibt ein Rätsel.

Mit Prämien in die planwirtschaft?

Noch rätselhafter wird es, wenn die Mittelstandsmannen Linnemann und Müller zu genau diesem Thema nach Bremen schauen. Dort hat der rot-grün-rote Senat eine Ausbildungsabgabe installiert. Unternehmen aller Größenordnungen zahlen in einen Ausbildungsförderungsfond ein. Wer ausbildet, erhält pro Ausbildungsplatz eine jährliche Fördersumme. Damit soll nicht zuletzt jener „Azubi-Klau“ bekämpft werden, dem Linnemann lieber mit Fußball-Ablöse-Kapitalimus beikommen möchte. Das Bremer Modell gilt den Unionsmittelständlern als Schritt in die Planwirtschaft.

Da wundert es nicht, dass Linnemann nichts von Prämien und Vergütungen für Weiterbildung und Qualifizierung hält. Entweder der Leidensdruck in der Arbeitslosigkeit reicht aus, um entsprechende Maßnahmen zu absolvieren, oder es ziehen die oben skizzierten Zwangsmechanismen. Anders ist es logisch nicht zu erklären, dass er die 2016 vom dritten Kabinett Merkel eingeführte Weiterbildungsprämie (bis zu 2.500 Euro bei Bestehen einer Abschlussprüfung) ablehnt – und damit mutmaßlich auch das von der derzeitigen Regierung etablierte monatliche Weiterbildungsgeld für Bürgergeldbezieher*innen, die eine entsprechende Ausbildung in Angriff nehmen.

zwang und pflicht – helfen nicht

Zusammenfassung: Für Sepp Müller und Carsten Linnemann sind Arbeitszwang und Pflichtdienst wichtiger als marktnahe und an Bedürfnissen der Unternehmen orientierte Maßnahmen zur Förderung von Qualifizierung und Ausbildung. Junge Menschen sollen qua staatlicher Dienstpflicht in Richtung Wohlverhalten eingenordet und zu diesem Zweck erst einmal dem Arbeitsmarkt entzogen werden. Ältere, die Zeit und Mühe in Qualifikationen für neue und bessere Chancen investieren wollen, sollen sich lieber mit Helferjobs begnügen. Konzerne nutzen mittelständische Betriebe weiter als Personallieferanten und bezahlen die Azubi-Ablöse aus der Portokasse.

Und all das ist dann Mittelstandspolitik? Mittelständler*innen, die schon heute kein ausreichend qualifiziertes Personal finden, sähen sich zwangsläufig mit einem noch weiter ausgedünnten Arbeitsmarkt konfrontiert. Fazit: Zwangsdienst und Pflicht, hilft der Wirtschaft nicht.

1. Mai in Dessau: Bilder sagen mehr als Worte

Bilder statt Ansprachen am 1. Mai in Dessau

Das Hauptprogramm bot Grußworte. Im Nebenprogramm tanzten Kinder. Manche Botschaften kamen aber ohne Worte aus. DeRoPolis zeigt, was die lokale Zeitung ignorierte.

Gewerkschaft ist solidarisch

Wie geht Solidarität auf dem Bau? – Ganz einfach: Zusammen arbeiten.

Ohne viele Worte bringt die IG BAU (Industrie-Gewerkschaft Bau-Agrar-Umwelt) am 1. Mai in Dessau praktische Solidarität auf den Punkt.

Motto: Arbeiter*innen kennen keinen Rassismus. Arbeitnehmer*innen stehen zu ihren Kumpeln und Kolleg*innen.

Urteil: Klare Kante gegen Sozialneid und Fremdenfeindlichkeit.

Selten gesehen: Arbeitnehmer der Union

Seltener Gast am 1. Mai: Die CDU.

Die CDA (Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft) war in Dessau vor Ort. Sie bezeichnet sich als gewerkschaftsnah.

Motto: Wer mitreden will, muss dabei sein.

Urteil: Demokratie bedeutet Mitmachen aus Solidarität. Nicht trotz, sondern wegen politischer Unterschiede.

Blaune zu BUGA: Zu viele Blumen

Amtsblatt 05/2023

Ratsfraktion findet Fahren wichtiger als Flora

Blue-Green-Streets. Schon mal gehört oder gelesen? Nein? – Dann schauen Sie mal nach im Amtsblatt der Stadt Dessau-Roßlau, Ausgabe Mai 2023. Einfach als Suchbegriffe Amtsblatt, Name der Stadt und Jahreszahl in eine Internetsuch-maschine eingeben. Gleich die ersten Ergebnisse führen zum Ziel.

Im Amtsblatt Nummer 5 / 2023 blättern Sie zu den „Fraktionsseiten“ und dort zum Beitrag der ihrem Logo nach blauen Partei, deren politische Ausrichtung eher eine Farbgebung vermuten lässt, die an Lehm erinnert. Die Mischung beider Farben lässt sich als „Blaun“ umschreiben.

BUGA-Bewerbung abgelehnt

Der Vorsitzende der blaunen Fraktion, Andreas Mroseck, widmet sich in seinem Beitrag der Bewerbung der Stadt als Standort der Bundesgartenschau (BUGA) 2035 und begründet die Ablehnung der Bewerbung durch seine Fraktion. Alle anderen Fraktionen hatten zugestimmt und wissen dabei die örtliche Wirtschaft hinter sich. Grund genug, einen genaueren Blick auf die Gründe für die Ablehnung und das Konzept „blue-green-street“ (blau-grüne Straßen) zu werfen. An eben diesem Begriff entzündet sich die Empörung der Blaunen.

Blau-Grüne Straßen bedeuteten die Umwandlung von Hauptverkehrsachsen in Blumenbeete, behauptet Mrosek. Die in Nord-Süd-Richtung verlaufende innerstädtische Hauptverkehrsachse (Albrecht- / Kavalier- / Franz- / Heidestraße) sei aber schon heute ein „Nadelöhr“ für den Individualverkehr. Wenn zudem Querverbindungen zwischen Stadtteilen und Ortschaften quasi verbeetet würden, kämen außerhalb der Innenstadt wohnende Dessauer*innen nicht mehr zum Einkaufen. (Roßlauer*innen kommen in Mroseks Ausführungen nicht vor). Schlussfolgerung Mroseks: „Die Innenstadt muss […] befahrbar bleiben!“ Also Nein zur BUGA-Bewerbung.

Asphalt statt blumen

Wir schlussfolgern haarscharf: Wenn Blumen dem Autoverkehr im Wege sind, braucht es mehr Asphalt (wenn man Mrosek und seiner Partei folgt). Und siehe da, wenn die blaune Fraktion dem Projekt BUGA überhaupt noch zustimmen soll, müsse vorher zumindest die sogenannte Nordumgehung gebaut werden. Der stünden zwar ganze Baumbestände im Wege (von schützenswerten Uferbereichen der Mulde samt Überschwemmungsflächen ganz zu schweigen). Aber wer sich vor Begrünung in der Stadt fürchtet, kämpft halt auch gegen Bäume am Stadtrand.

„blue“ statt Dürre und Überschwemmungen

Was uns zurück führt zur Frage nach „blue-green-streets“. Mindestens einen Teil dieser Bezeichnung hat Mrosek entweder übersehen oder die Bedeutung nicht intellektuell umsetzen (sprich: unter Zuhilfenahme des Verstandes verstehen) können. Nämlich das „blue“. Blau steht hier nicht für Kornblumen auf den von Mrosek befürchteten Beeten, sondern für Wasser. Und mit dem hat Dessau in jüngerer Vergangenheit bekanntlich heftig zu kämpfen. Sowohl mit zu viel (Überschwemmungen) wie auch zu wenig (Dürre und Trockenheit bei Stadtgrün und in Parks).

Um Trockenheit und Überflutungen entgegenzuwirken, „(muss sich) Stadtgrün und Überflutungsschutz in den multifunktional genutzten Straßenraum einfügen“, erläutert das Bundesforschungsministerium den Sinn des vom Bund geförderten blue-green-street-Konzepts. Das Projekt solle dazu beitragen, „die Wirksamkeit von Planungsinstrumenten (…) zu grünen städtischen Infrastrukturen, urbaner Wasserwirtschaft, dem Sanierungsmanagement von Straßen und Kanälen sowie der Verkehrs- und Freiraumplanung (…) weiterzuentwickeln.“ Auf diese Weise „(sollen) Straßenräume zukunftsfähig gestaltet werden und so zu Multitalenten der Stadtquartiere werden.“

Entwickelt und vorangetrieben wird das blue-green-streets-Konzept übrigens von der HafenCity Universität (hcu) in Hamburg. Beteiligt sind universitäre und privatwirtschaftliche Forschungseinrichtungen und -institute aus Berlin, Hamburg, Hannover, Hoppegarten und Karlsruhe. Nachzulesen ist das alles online auf der Website des Forschungsprojekts der hcu sowie der Website des Bundesforschungsministeriums zu ressourceneffizienten Stadtquartieren (eben diese Suchbegriffe eingeben).

Dürre im gartenreich

blue-green-streets sind also keine spinnerte Idee der kommunalen Verwaltung. Vielmehr verknüpft das Dessau-Roßlauer BUGA-Konzept die lokale Umsetzung mit einem Projekt des Bundes und erschließt auf diese Weise mutmaßlich Zugang zu KnowHow und Fördergeldern. Und ohne solche Fördergelder wäre eine kontinuierlich eher klamme Kommune wie Dessau-Roßlau kaum in der Lage, ihr innerstädtisches Wassermanagement so zu gestalten, dass ein wichtiges Marken-zeichen des hiesigen Kulturreiches auf Dauer gedeiht statt verdorrt. Gärten und Parks brauchen eben nicht mehr Bodenversiegelung durch Straßen, sondern intelligente Gestaltung des städtischen Umfelds, in dem Feuchtigkeit für Mensch und Umwelt gehalten statt wegasphaltiert werden muss.

Dass solche Konzepte auch die Ertüchtigung des Öffentlichen Nahverkehrs beinhalten, also in Dessau-Roßlau insbesondere die Verbesserungen von Bus- und Straßenbahnverbindungen zwischen Ortschaften und Innenstadt, mit denen auch sehr alte oder sonst wie eingeschränkte Mitbürger*innen die Innenstadt einfach und komfortabel erreichen können, blendet der Blaunen-Vertreter aus. Wahrscheinlich sind ihm Parkplätze unmittelbar vor dem Rathaus auch wichtiger als der ohne Blechlawine unverstellte Anblick historischer Architekturensemble.

Flüchtlinge nur mit Rasenmäher?

Natürlich (Sie, werte Leser*innen, dürfen dieses Wort an dieser Stelle gern als ironisch verstehen…) geht es den Blaunen nicht allein ums Geld. Mindestens so wichtig ist bekanntlich die Frage nach Fachkräften. Um dieselben sorgt sich die Blaune Fraktion beim Gedanken an die Pflege neuer Grünanlagen, die mit der BUGA – man möchte sagen ‚natürlich‘ – entstünden. Für eben diese Pflege fehle es „an Personal und Technik“.

Und aus welchem Grund? Nach Blauen Lesart: Weil „sich unsere zugewanderten ‚Fachkräfte‘ an diesen notwendigen Arbeiten nicht beteiligen werden (Fachkräfte ist im Originalartikel der Blaunen in Anführungsstriche gesetzt, Anmerkung des Verfassers).“ Wenn also die Blumen nicht blühen, sind – wie könnte es aus Perspektive der blaunen Partei anders sein – „Ausländer“ schuld. Am besten wäre es wahrscheinlich, nur noch Flüchtlinge aufzunehmen, die einen eigenen Rasenmäher mitbringen. Dann wäre auch das Technikproblem gelöst… (*Ironie-Modus aus*)

Besch… BUGA?

De facto sei die komplette BUGA-Planung „ein Blick in die Glaskugel“, findet Mrosek, zumal das Problem der Defäkation ungelöst sei. Angesichts fehlender öffentlicher Toiletten bleibe es BUGA-Besuchern wohl de facto vorbehalten, ihr Geschäfte in Dixi-Klos zu verrichten. Sowohl den Bau neuer als auch die Wiederinbetriebnahme bestehender öffentlicher Bedürfnisanstalten hätten die Blaunen im Stadtrat beantragt. Der Antrag sei aber von der Stadtratsmehrheit abgelehnt worden, beklagt Mrosek.

Zwei Fakten verschweigt Mrosek allerdings: 1. Gegen neue öffentliche Klos sprach aus Sicht der Stadtratsmehrheit die Gefahr des Vandalismus. Instandsetzungen zögen unkalkulierbare Kosten nach sich. Diese Kosten lassen sich übrigens nicht aus Glaskugeln, sondern schlicht aus Erfahrungswerten ablesen. 2. Ihrerseits abgelehnt hat die Blaune Fraktion gerade in der jüngsten Stadtratssitzung am 26. Mai 2023 die Errichtung öffentlicher Trinkwasserspender in der Stadt. Grund: Sie befürchtet Vandalismus.

blumenvase vorm Auge

Mein Eindruck von den Ausführungen der Blaunen zur BUGA: Es hat nicht einmal für eine Glaskugel gereicht. Wahrscheinlich hatte Mrosek allein bei „blue-green-street“ nur noch eine Blumenvase vorm inneren Auge. Die hat dann wohl auch die Sicht an der Entstehung der an den Konzepten Beteiligten getrübt: Laut Blauner Fraktion sollen „Planungs- und Ingenieurleistungen im größeren Umfang an auswärtige Büros“ vergeben werden.

Führend beteiligt an der Entstehung des Konzepts zur BUGA 2023 in Dessau-Roßlau waren das Institut für Freizeit- und Tourismusberatung ift GmbH mit Sitz in Köln und Potsdam, die Runze und Caspar Werbeagentur GmbH aus Berlin sowie das Landschaftsarchitektur-Unternehmen SWUP GmbH mit Hauptsitz in Essen. Die an der Entwicklung des blue-green-street-Kozepts Beteilgten sind oben erwähnt. Wie viele „auswärtige Büros“ sollen es denn sein?

Verschwörungsfakten?

Bevor er sich in der vorliegenden Amtsblatt-Ausgabe der BUGA widmet, definiert Mrosek übrigens die von den Blaunen während der Covid-Pandemie pausenlos ventilierten „sogenannten Verschwörungstheorien“ um in „Verschwörungsfakten“.

Fakt ist in Sachen BUGA, dass sich die Blaunen offenbar aufgemacht haben, das Projekt BUGA 2035 in Dessau-Roßlau zur Verschwörung weniger gegen die Interessen jener ummünzen, für eine Stadt vor allem eines sein soll: ein großes Motodrom, das man am besten schnell durchquert oder gleich drumherum fährt. Blumen, Beete, Bäume und BUGA stören da nur. Dass Wissenschaftler*innen aus den Gebieten Stadtplanung und Ingenierwesen das ebenso anders sehen wie jene Bürger*innen, für die Stadt nicht nur aus Einkaufsgelegenheiten besteht, stört wiederum die Blaunen nicht. Wer nicht wissen will, kann Fakten halt auch nicht finden.

Orientierungslos im Stadtverkehr

Amtsblatt 04/2023

CDU-Fraktion surft die Grüne Welle und geht baden

Einem ihrer Lieblingsthemen widmet sich die CDU-Fraktion im April-Amtsblatt – der Verkehrspolitik. Genauer: Voraussetzungen für zügig fließenden (Auto-)Verkehr, die „Grüne Welle“ in der Stadt. Der Versuch, ihre Auto-zentrierte Verkehrspolitik mit einem grünen Anstrich aufzuhübschen, endet allerdings in einem matschigen Gülle-Grün.

Das traditionell beliebte Düngemittel ist längst als Ursache für erhöhte Nitratwerte im Grundwasser entlarvt. Der menschliche Organismus wandelt Nitrat um in Nitrit. Nitrit behindert den Sauerstofftransport des Blutes. Und zu wenig Sauerstoff führt nicht selten zu – gelinde gesagt – unpräzisen gedanklichen Schlussfolgerungen. Wenn dann auch noch die Grundannahmen einer Argumentation eher der Fantasie als der Faktenlage entspringen, ist das Ergebnis eher ein verkehrspolitischer Tsunami. Der Reihe nach:

Von Fahrspuren und Blitzbussen

CDU-Stadträtin Rita Bahn-Kunze findet es doof, dass in Dessau-Roßlau Autofahrer*innen an (gefühlt) jeder Ampel anhalten müssen. Investitionen könnten das Problem aber nicht lösen, weil sie nicht zur Verbesserung des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs (ÖPNV) beitrügen („Einfach mehr Geld in die Hand zu nehmen, wird den ÖPNV nicht besser machen.“ – Also einfach weniger Geld ausgeben?) Das Geheimnis um den Zusammenhang von Grüner Welle und Qualität des ÖPNV behält Bahn-Kunze vorsichtshalber für sich.

Vielleicht möchte die CDU-Stadträtin aber an eben dieser Stelle auch gar nicht so genau sein, damit nicht auffällt, dass Vorrangsbehandlung für Busse an Ampeln logisch eigene Busspuren erfordern (denn grüne Bus-Ampeln nützen dem Bus mitsamt Passagieren wenig, wenn Pkw vor dem Bus auf Pkw-Grün warten müssen). Extra Bus-Spuren ließen sich aber nur auf Kosten anderer Fahrspuren einrichten.

Irgendwie scheint sich allerdings auch die CDU-Stadträtin auf einer gedanklichen Geisterfahrt zu wähnen. Ihre Bus-Ampel-Überlegung führt sie nämlich kurzerhand (sozusagen auf der Überholspur) selbst ad absurdum: Folge bevorzugter Grün-Phasen für Busse sei nämlich „eine immerwährende Beschleunigung“ des Busverkehrs . Und solche Blitz-Busse wären dann für Fahrgäste nicht mehr erreichbar, weil ja kein Fahrplan mehr eingehalten würde (quasi die allgemeine Beschleunigungstheorie des ÖPNV: „je grüner desto Wartezeit“ oder so ähnlich).

Gedanken-Vollgas über ROT

Zumindest um eine Antwort auf die Frage der Finanzierung eines neuen Verkehrsleitrechnersystems (VLR-System) ist die CDU-Stadträtin nicht verlegen: Sie behauptet geradewegs und also auf den ersten Blick ohne Ampel und Umleitung, die Stadt entscheide über die Verwendung der über den Fahrscheinverkauf erwirtschafteten Mittel und könne diese ergo nach Belieben für ein VLR-System verwenden. Das aber ist schlicht falsch. Bahn-Kunze überfährt – um im Bild zu bleiben – im gedanklichen Vollgas-Modus eine rote Ampel. Das entsprechende Knöllchen könnte der CDU-Frau der Geschäftsführer der Dessauer Stadtwerke, Dino Höll, austellen.

Höll, als Manager der Dessauer Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH – DVV – Stadtwerke (Sachsen-Anhalt) auch für den Dessauer ÖPNV verantwortlich, war unlängst ausgerechnet beim Kreisverbandes der GRÜNEN in Dessau zu Gast. Der Manager erläuterte, dass die Stadtwerke deshalb relativ flexibel in der Gestaltung ihres ÖPNV-Angebotes seien, weil Überschüsse und Verluste unterschiedlicher Geschäftsfelder des Unternehmens gegeneinander verrechnet würden. Ertragreiche Geschäftsfelder wie die Energieversorgung dienen mithin der innerbetrieblichen Quersubvention verlustreicher Felder. Der Mann wird sich mutmaßlich bedanken, wenn CDU-Fraktion in die Geschäftspolitik der Stadtwerke hinein dilettieren würde.

„Radfahrstreifen so lang wie möglich“

Mutmaßlich hat die CDU aber auch erst einmal genug damit zu tun, Autofahrer*innen zu erklären, woher sie den Platz für „so lang wie möglich“ ausgeführte „Radfahrstreifen“ nehmen will. Laut Allgemeiner Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV zur StVO) Anlage 3 zu Paragraf 42 Absatz 3 der StVO sind Radfahrstreifen mit Zeichen 237 gekennzeichnete und durch Zeichen 295 von der Fahrbahn abgetrennte Sonderwege. Werden Radfahrstreifen an Straßen mit starkem Kraftfahrzeugverkehr angelegt, ist ein breiter Radfahrstreifen oder ein zusätzlicher Sicherheitsraum zum fließenden Verkehr erforderlich. Mit anderen Worten: Viel Platz für Fahrräder, weniger Platz für Autos. Ich persönlich fände das ja gut. Nur überließe ich entsprechende Planungen lieber Leuten, die mutmaßlich wissen, worüber sie reden… Mit den vorliegenden verworrenen verkehrspolitischen Versatzstücken jedenfalls geht die CDU-Fraktion genüsslich im Güllegrün baden.

Bunte Fraktion: Unwirksam aufgeregt

Amtsblatt 03/2023

„Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsanwendung.“

Ausgerechnet die Bunte Fraktion im Dessau-Roßlauer Stadtrat steht mit dem Presserecht auf Kriegsfuß und befördert damit auch noch den Skandal-Modus der AfD. Geht es nach dem Bunten-Fraktionsvorsitzenden Guido Fackiner, soll Oberbürgermeister Reck darüber wachen, dass keine – nun ja – unappetitlichen Inhalte in der städtischen Publikation veröffentlicht werden.

Widerliche Blaune

Auslöser der bunten Rufe nach obrigkeitlicher Aufsicht: Der Februar-Beitrag der AfD-Fraktion. In selbigem hatten die Blaunen (Blau ist bekanntlich die Farbe dieser unter einschlägigem Verdacht stehenden Partei) den in Dessauer Polizeigewahrsam zu Tode gekommenen Oury Jalloh erst als reichlich zwielichtige Person dargestellt, um dann zusammenhangslos von „importierten Messermördern“ zu erzählen.

Die Intention dieser inhaltlichen Verknüpfung ist ebenso offenbar wie widerlich. Rechtlich zu beanstanden ist sie nicht. Noch viel weniger ist der Oberbürgermeister berufen, Verstöße gegen den guten Geschmack zu ahnden oder gar zu verbieten. Denn damit verstieße das Stadtoberhaupt gegen das Presserecht. Rechtsbruch kann aber keine ernsthafte Forderung der grün-liberal geprägten Bunten sein. Die gehen den in diesem Falle geschickt agierenden respektive schreibenden Blaunen ziemlich naiv auf den politischen Leim.

Der Reihe nach: Besagter Blaunen-Beitrag aus dem Februar zur Person Jallohs war im Konjunktiv geschrieben. Formal hat der Verfasser damit nicht seine Ansicht geschildert, sondern Behauptungen anderer wiedergegeben. Rechtlich ist das deshalb bedeutsam, weil es sich nicht um falsche Tatsachenbehauptungen handelt. Denn inwiefern sich die Partei mit dem kleinen f diese Darstellungen zu eigen macht, bleibt formal gesehen unklar.

Recht und Handwerk

Dass Angaben zu den Quellen des Verfassers im Ungefähren bleiben, ist zwar gemessen an den Standards journalistischen Handwerks unschön, aber kein Rechtsverstoß. Die Behauptung, Jalloh könne noch leben, wäre er ausgewiesen worden, zeigt zwar im Kontext der übrigen Ausführungen das miese sprachliche Spiel der Blaunen, ist aber rechtlich nicht zu beanstanden. Der verbleibende Eindruck, dass die blaune Fraktion das Schicksal Jallohs als Rechtfertigung für ihre vergiftete Propaganda benutzt, lässt halbwegs kultivierte Menschen zwar speiübel aufstoßen, nur ist es eben nicht mehr als das – ein fieses Spiel mit Assoziationen vor dem Hintergrund eines nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts wohl nicht mehr endgültig aufklärbaren Todesfalls.

Eklig, findet die Bunte Fraktion (zu Recht). Ihr Ruf nach dem Oberbürgermeister lenkt aber eher vom eigentlichen Problem ab, als dass er hilfreich wäre. Denn der OB schlittert mit der Ausgestaltung des Amtsblatts in der Tat auf rechtlich reichlich dünnem Eis. Eines darf er aber dennoch nicht: Inhaltliche Vorgaben über den gesetzlichen Rahmen hinaus machen. Vielmehr muss der Herausgeber des Blattes – also der OB – für klare Verantwortlichkeiten sorgen. Und die definiert das Pressegesetz.

Pressegesetz

Im Pressegesetz für das Land Sachsen-Anhalt definiert Paragraf sieben (7), wie und wo inhaltliche Verantwortlichkeiten in Druckwerken kenntlich gemacht werden müssen. Im Impressum muss (mindestens) ein(e) verantwortliche(r) Redakteur*in angegeben werden, im Branchenjargon abgekürzt: V.i.S.d.P. (Verantwortliche*r im Sinne des Presserechts).

Verantwortlichkeiten können auch auf mehrere Personen verteilt werden, beispielsweise nach Ressorts oder Themen. Im Falle des Amtsblatts können für die jeweilige Fraktionsseite Verantwortliche pro Fraktion benannt werden. Entscheidend sind dabei zwei Faktoren: Die jeweilige Person muss im Impressum (und nicht irgendwo, auch nicht auf der jeweiligen Fraktionsseite) benannt sein und die Verantwortlichkeit muss eindeutig zugeordnet sein.

Sinnfreie Verweigerung der Verantwortung

In die Sphäre der Sinnfreiheit begibt sich stattdessen die Stadt Dessau-Roßlau. Unter den Fraktionsseiten ist jeweils zu lesen: „Für die sachliche und fachliche Richtigkeit aller Angaben auf den Fraktionsseiten übernimmt die Stadtverwaltung als Herausgeberin des Amtsblattes inhaltlich keine Gewähr und behält sich gegebenenfalls die Möglichkeit zur Richtigstellung vor.“ Lateinkundige erkennen eine Contradictio in adiecto, also einen Widerspruch in sich: Entweder die Stadt übernimmt keine Gewähr, oder sie ist für Richtigstellungen verantwortlich.

Inhaltliche „Richtigstellungen“ von Texten, für die die richtigstellende Instanz gar nicht verantwortlich ist, kämen willkürlichen Eingriffen in die Meinungsfreiheit der Verfasser*innen der jeweiligen Texte gleich. Denn die Kompetenz zur Richtigstellung im Sinne der inhaltlichen Verantwortung lehnt der Herausgeber ja gerade ab. Inhaltliche „Richtigstellungen“ der Meinungsäußerungen der Fraktionen wären dem willkürlichen Gutdünken der Stadtverwaltung respektive des Oberbürgermeisters unterworfen.

Zur Rechtfertigung dieser amts- respektive stadtratsgemachten Verwirrung mag man auf das (sogenannte) Redaktionsstatut zum Amtsblatt verweisen. Am 22. Oktober 2019 hat der Stadtrat beschlossen, dass

„Beiträge für die Fraktionsseiten des Amtsblattes dann nicht veröffentlicht werden, wenn sie

– offenbar unwahr sind

– ehrverletzend bzw. beleidigend sind

– die öffentliche Verwaltung herabwürdigen oder

– gegen die Sitten verstoßen.

Die Entscheidung darüber, ob diese Kriterien erfüllt sind, trifft der Oberbürgermeister. (…) Verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes ist seitens der Fraktion der jeweils zu benennende Autor.“

Jurist*innen stehen dabei sämtliche rechtlich relevanten Haare zu Berge. Ein Redaktionsstatut hat nämlich keine rechtliche Bindung – abgesehen vom Arbeitsrecht. Es regelt die Mitwirkungsrechte der Redaktionsmitglieder an der inhaltlichen Ausgestaltung einer Publikation. Klassisch definiert ein solches Statut die Unabhängigkeit der Redaktion vom Herausgeber, sofern in den Arbeitsverträgen der Redakteur*innen nichts anderes geregelt ist.

Das Gesetz

Es bleibt die Frage, was das Ganze eigentlich soll. Augenscheinlich wollen sich Stadträt*innen, Oberbürgermeister und Verwaltung vor rechtlichen Konsequenzen schützen. Es könnte ja mal jemand auf die Idee kommen, das Amtsblatt zu verklagen. Wegen Beleidigung oder sonst welchen Delikten. Das Pressegesetz Sachsen-Anhalts definiert die Haftungsfrage in entsprechenden Fällen in Paragraf zwölf:

„§ 12

Strafrechtliche Verantwortung

Ist durch ein Druckwerk eine rechtswidrige Tat begangen worden, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, und hat

1. bei periodischen Druckwerken der verantwortliche Redakteur

oder

2. bei sonstigen Druckwerken der Verleger

vorsätzlich oder fahrlässig seine Verpflichtung verletzt, Druckwerke von strafbarem Inhalt freizuhalten, so wird er mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, soweit er nicht wegen der Tat schon nach den allgemeinen Strafgesetzen als Täter oder Teilnehmer strafbar ist.“

Verantwortliche Sachbearbeiterin?

Doof nur, dass die genannten Personen (Redakteur*in und Verleger*in – ersatzweise Herausgeber*in) im bereits behandelten Impressum genannt sein müssen. Dort steht im hiesigen Amtsblatt aber nur als Redakteurin die in der Verwaltung zuständige Sachbearbeiterin. Die wird sich gegebenenfalls bedanken…

Irgendwie ist das Ganze possierlich: Im Stadtrat ja durchaus vertretene Rechtsanwälte stören sich nicht an der bisherigen, allerdings im Rechtssinne unwirksamen Konstruktion. Die Bunte Fraktion echauffiert sich zwar im Amtsblatt, lässt aber jegliche politisch oder rechtlich relevante weitere Initiative vermissen. Dabei wäre es so einfach: Ein Blick ins Gesetz offenbart die Rechtslage und deren Anwendung. Die Blaunen wären mit einem ordentlichen Impressum tatsächlich verantwortlich für ihre Beiträge (wie auch alle andereren Fraktionen für die jeweiligen ihrigen) und die arme Sachbearbeiterin im Rathaus wäre aus dem sprichwörtlichen Schneider.

DeRoPolis fragt nun nach und hält Sie auf dem Laufenden. Bleiben wir optimistisch.

Update 29. April 2023 – Fackiner: „Artikel soll sensibilisieren“

Guido Fackiner, Vorsitzender der Bunten Fraktion im Dessau-Roßlauer Stadtrat, erklärte auf Nachfrage, der Beitrag auf den Fraktionsseiten des Amtsblatts der Stadt im März 2023 solle „sensibilisieren“.

Am Rande der Stadtratssitzung vom 26. April 2023 fragte ich den Bunte-Fraktionsvorsitzenden, ob die Fraktion über den genannten Artikel hinaus gehende Initiativen ergriffen habe oder ergreifen wolle, um unappetitliche, beleidigende oder gar Rechtsnormen verletzende Artikel auf den Fraktionsseiten des Amtsblatts zu verhindern. Fackiner gab zu verstehen, dass er dem Rechtsamt vertraue und insofern davon ausgehe, dass das Amtsblatt mit seinen Inhalten dem Presserecht entspreche. Im Übrigen habe er mit dem Artikel „sensibilisieren“ wollen (mutmaßlich den Oberbürgermeister – die Blaune Fraktion wohl eher nicht). Weitere Schritte seien nicht geplant.

Na, dann bin ich auf die Antwort der Stadtverwaltung auf meine entsprechende Nachfrage bezüglich der Rechtskonformität der bisherigen „Regelung“ gespannt.

Roland Bösker