Presserecht, Amtsblatt und ein genervter Präsident
Er war genervt, der Herr Stadtratspräsident Frank Rumpf. Augenscheinlich ging ihm die Frage auf die Nerven: Wie es denn um das Presserecht beim städtischen Amtsblatt stehe, wollte DeRoPolis im Rahmen einer Einwohnerfrage an den Stadtrat wissen. Gestellt am 05. Juli 2023.
Nun ist es mit dem Recht so eine Sache. Wer präzise sein will, muss zuweilen ins Detail gehen. Und das dauert zuweilen läger als drei Minuten. Drei Minuten hat jede*r Einwohner*in der Stadt Dessau-Roßlau, um sich in der Einwohnerfragestunde zu Wort zu melden. Sagt Paragraf 6 der „Geschäftsordnung für den Stadtrat und seine Ausschüsse“.
zu viel des Rechts?
Naja, vielleicht hatte der Stadtratspräsident in seiner unzweifelhaften Weisheit erstens bereits das Anliegen des zweiten Fragestellers des Tages vorausgeahnt (der hatte die Versammlung gefühlt wesentlich länger, dafür aber wenig konkret beschäftigt), vielleicht war es ihm, Rumpf, des Rechts auch einfach zu viel.
Das wäre nichts wirklich Neues, schließlich hat der gute Mann auch jahrelang „Aufwandsentschädigung“ (740 Euro) sowie „Verdienstausfall“ (1.280 Euro) für seine Tätigkeit als ‚ehrenamtlicher Referatsleiter‘ im Ortsteil Rodleben kassiert (laut Berichterstattung des MDR vom 08. Dezember 2022). Interessierte aber jahrelang auch nicht. Vor allem nicht den Herrn Präsidenten. Und dann wundert sich seine Partei… Doch wir schweifen ab.
Sechs Wochen, zwei Ausgaben
Zurück also zur Frage. Dieselbe hat DeRoPolis bereits am 14. Mai 2023 per E-Mail an die Verwaltung gestellt. Am 23. Mai bestätigte die Verwaltung den Eingang der Frage mit der Zusage, diese „baldigst zu beantworten“. Das ist mehr als vier Wochen und zwei Ausgaben des Amtsblatts her. Und dieses Amtsblatt erscheint nach wie vor in einer – nun sagen wir, presserechtlichen Grauzone.
In den Pressegesetzen der Länder sind Verantwortlichkeiten für die Inhalte einer Publikation definiert. In Sachen-Anhalt ist Pragaraf 7 einschlägig, der behandelt das Impressum. Für redaktionell gestaltete Websites wie DeRoPolis gilt übrigens ähnliches: Schlag nach unter Medienstaatsvertrag Paragraf 18.
Pressegesetz für das land Sachsen-Anhalt
Im besagten Paragrafen im Pressegesetz des Landes Sachsen-Anhalt heißt es in Paragraf 7:
„(1) (…)
(2) Auf den periodischen Druckwerken sind ferner Name und Geschäftsanschrift des verantwortlichen Redakteurs anzugeben. Sind mehrere Redakteure verantwortlich, so muss das Impressum die in Satz 1 geforderten Angaben für jeden von ihnen enthalten. Hierbei ist kenntlich zu machen, für welchen Teil oder sachlichen Bereich des Druckwerks jeder einzelne verantwortlich ist. Für den Anzeigenteil ist ein Verantwortlicher zu benennen; für diesen gelten die Vorschriften über den verantwortlichen Redakteur entsprechend.
(3) (…).“
Ergänzend definiert Paragraf 12 desselben Gesetzes die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Impressum genannten Personen.
Blöd nur, dass im Amtsblatt der Stadt Dessau-Roßlau genau eine (in Ziffern: 1) Person als Redakteurin aufgeführt ist. Den Namen der armen Sachbearbeiterin lassen wir an dieser Stelle mal beiseite. Arm deshalb, weil die Dame laut Gesetz für jeden Käse in der Publikation verantwortlich ist. Und damit auch für Unwahrheiten, welche auf den so genannten Fraktionsseiten im Amtsblatt verbreitet werden (siehe frühere Berichterstattung auf DeRoPolis, insbesondere zur „Partei der Verfälscher“).
Pfiffig statt Rechtskonform?
Nun übertreffen sich aber Dessau-Roßlauer Verwaltung und Stadtrat geradezu an Pfiffigkeit. Nicht anders ist die die jeweiligen Fraktionsseiten ergänzende Fußzeile in einem jeden Amtsblatt zu interpretieren, in der es heißt:
„Für die sachliche und fachliche Richtigkeit aller Angaben auf den Fraktionsseiten übernimmt die Stadtverwaltung als Herausgeberin des Amtsblattes inhaltlich keine Gewähr und behält sich gegebenenfalls die Möglichkeit zur Richtigstellung vor.“
Ja nee, is‘ klar: Verantwortlich ist die Verwaltung nicht, korrigiert aber gegebenenfalls. Wie bitte? Mal abgesehen vom der Aussage immanenten Widerspruch – würde die Verwaltung allen Ernstes die politischen (oder wenigstens politisch gemeinten) Aussagen der Fraktionen vor Veröffentlichung korrigieren, stünde der Vorwurf der (Vor-)Zensur mindestens im Raum.
Statut ist kein Recht
Und für die ganz fürchterlich Pfiffigen, die nun auf das so genannte Redaktionsstatut verweisen, das der Stadtrat beschlossen hat: Das ist nett aber sinnfrei. Mal abgesehen davon, dass Redaktionsstatuten im Regelfall die Freiheit der Redaktion von verlegerischer Einflussnahme sichern und insofern lediglich arbeitsrechtlich relevant sind, begründet ein Stadtratsbeschluss nun einmal kein geltendes Recht.
Das so genannte Redaktionsstatut des Amtsblattes der Stadt Dessau-Roßlau kann mit gutem Willen als Absichtserklärung gewertet werden, das Amtsblatt von ehrverletzenden Äußerungen frei zu halten. Dazu braucht es aber kein Statut, sondern klare presse- und strafrechtliche Verantwortlichkeiten. Wäre also für die Fraktionsseite der Blaunen (nur ein zufälliges Beispiel) ein*e Vertreter*in dieser Partei namentlich im Impressum benannt (was ebenso rechtskonfrom wäre wie jede*r andere Vertreter*in jeder anderen Partei als Verantwortliche*r für die jeweiligen Seiten), stünde die jeweilige Person eben auch für den Inhalt der jeweiligen Seiten gerade. Eigentlich sehr einfach.
Schlauer sterben
Nun möchte der Autor dieser Zeilen weder dümmer sterben, als er geboren wurde, noch möchte er seine Leser*innenschaft ohne presserechtliche Erleuchtung in die ewigen Jagdgründe oder wohin auch immer eingehen lassen. Deshalb lautete die erwähnte an die Verwaltung gesandte und im Stadtrat gestellte Einwohnerfrage wie folgt:
„1.a. Zählen die Fraktionsseiten zum amtlichen oder nichtamtlichen Teil des Amtsblattes?
1.b. Ist die genannte Redakteurin aus Sicht der Verwaltung für den Inhalt aller Teile des Amtsblattes inklusive des Anzeigenteils und der Fraktionsseiten auch im Sinne des Strafrechts verantwortlich?
2.a. Inwiefern ist die Ablehnung jeglicher Gewähr für Inhalte auf den Fraktionsseiten mit dem Korrekturvorbehalt vereinbar?
2.b. Was ist mit „Richtigstellung“ gemeint?
2.c. Inwiefern ist der in der Fußzeile angesprochene Vorbehalt zur Richtigstellung mit dem Verbot des Eingriffs staatlicher / öffentlicher Stellen in in periodisch erscheinenden Presseerzeugnissen veröffentlichen Meinungsäußerungen (Vorzensur, GG ) vereinbar? Welche Grundlagen in Gesetzen oder Verwaltungsvorschriften liegen Ihrer Beurteilung zugrunde?
2.d. Inwiefern hat die Formulierung in den Fußzeilen der Fraktionsseiten presserechtliche und gegebenenfalls strafrechtliche Relevanz und welche Grundlagen in Gesetzen oder Verwaltungsvorschriften liegen dem zu Grunde?“
Vorläufige Antwort seitens Verwaltung und Stadtrat: Schweigen. Das Pressegesetz des Landes Sachsen-Anhalt in gültiger Fassung ist amtlich bekannt gemacht worden am 02. Mai 2013. Regeln der Aussagelogik (vergleiche dazu besagte Fußzeile auf den Fraktionsseiten im Amtsblatt) sind schon ein paar Jahrhunderte älter.
Eigentlich nichts neues – eigentlich…
Nur mal so am Rande: In gefühlt dreiundzwölfzighundert Publikationen inklusive Amtsblätter in dieser Republik funktioniert das ganz einfach: Für den Anzeigenteil sowie den – im Falle amtlicher Veröffentlichungen – amtlichen Teil wird jeweils eine verantwortliche Person im Impressum benannt. Zudem kann für jeden Teil einer Publikation gesondert eine verantwortliche Person benannt werden (Pressegesetz Sachsen-Anhalt, Paragraf 7, Absatz 2, Satz 2). Damit wäre dann beispielsweise die Blaune Fraktion selbst für ihre wahrheitswidrig verfälschende Darstellung der Inhalte amtlicher Mitteilungen verantwortlich.
DeRoPolis wird über Antwort der Stadt Dessau-Roßlau sowie Reaktionen der Fraktionen (dieselben haben wir via Mail auf diese freundliche Argumentationshilfe aufmerksam gemacht) berichten.