Wildschweinjagd im Welterbe

Reck: Warnung nur auf Amtsdeutsch

Sie suhlen und brechen durch Georgengarten und Georgium: Wildschweine. Der Stadtjäger soll dem grunzigen Treiben ein Ende setzen. Zwischen 8 Uhr abends und 6 Uhr morgens lauert der Waidmann den Schwarzkitteln auf. Einheimischen und Touristen ist das Betreten des Welterbeparks verboten. Zur Sicherheit. Mit DIN-A-4-Zetteln an Bäumen. Auf Deutsch. Nur auf Deutsch. Oberbürgermeister Reck findet, das reicht. In Dessau wird auf Deutsch gewarnt. Denn nur Deutsch ist amtlich.

Touristen aus aller Welt: Reck zuckt die Schultern

Unzureichend findet Stadtrat Frank Brozowski (Freies-Bürger-Forum) die Warnungen vor der Jagd aufs Schwarzwild und dem entsprechendem Gebrauch von Schusswaffen in Georgium und Georgengarten. Hinweise auf das amtliche Betretungsverbot der Parks könne man leicht übersehen. Besucher*innen, die des Deutschen nicht mächtig sind, würden die Warnungen nicht verstehen.

Also fragte Brozowski im Stadtrat nach. Am 16. Oktober wollte Brozowski von der Verwaltung wissen, warum der Bereich nicht abgesperrt ist und warum nur auf Zetteln und nur auf Deutsch gewarnt werde. Touristen aus aller Welt, die das Welterbe in Dessau bewundern, verstünden ja nicht unbedingt Deutsch. Auch nicht alle Einwohner*innen Dessaus hätten entsprechende Sprachkenntnisse. Kinder sprach Brozowski zwar nicht an, aber auch bei diesen ist eher nicht zu vermuten, dass sie an Bäume gepinnte Zettel beachten geschweige denn verstehen.

Oberbürgermeister Robert Recks Antwort: Schulterzucken. Letztlich ließ er sich doch zu einer Antwort herab: In Deutschland sei Deutsch schließlich Amtssprache, belehrte der Hauptverwaltungsbeamte Reck den Volksvertreter Brozowski. Ergo reichten Warnungen auf Deutsch aus. Applaus erntete der Hauptverwalter von der sehr deutschen Fraktion der AfD (hier im Allgemeinen „die Blaunen“ genannt).

Kaliber 6,5 Millimeter. Mindestens.

Munition für die Wildschweinjagd muss mindesten 6,5 Millimeter im Durchmesser messen, sagt das Bundesjagdgesetz. Für Sturmgewehre, also Kriegswaffen, sind 5,56 Millimeter üblich. Die Jagdpatronen sollen das waidgerechte Erlegen des Wildes sicherstellen, also den schnellen Tod eines getroffenen Stücks.

Nun sind Jäger*innen hierzulande sehr gut ausgebildet und lassen bei der Jagd größte Sorgfalt walten. Unfehlbar sind aber auch Jäger*innen nicht. Wenngleich Jagdunfälle mit Schusswaffen eben wegen der Sorgfalt der Jäger*innen äußerst selten sind, geschehen sie zuweilen doch. Trifft ein Jagdgeschoss einen Menschen, ist die Folge niederschmetternd.

Amtssprache wichtiger als Schutz?

Verständliche und vor allem umfassende Warnungen vor jagdlicher Aktivität zumal in für Publikumsverkehr vorgesehenen Bereichen wie Parks und Gärten schützten mithin nicht nur Unbeteiligte, sondern reduzierten auch das Risiko für Jäger*innen, versehentlich auf falsche Ziele anzulegen. Beauftragt die öffentliche Verwaltung die Jagd in entsprechenden Bereichen selbst, erscheint es geradezu selbstverständlich, dass die Verwaltung möglichst hohe Sicherheitsvorkehrungen trifft. Diese Sicherheitsvorkehrungen müssen verständlich und für die Allgemeinheit zugänglich sein – und das nicht erst kurz vor dem Gefahrenbereich.

Robert Reck findet DIN-A-4-Zettel an Bäumen offenbar ausreichend. Reck findet, dass sich Welterbebesucher*innen gefälligst der (Welt-?)Amtssprache Deutsch befleissigen müssen, um Gefahren für ihr irdisches Leben in Dessau zu erkennen. Reck findet ausweislich seiner Aussage im Stadtrat, ergänzende Berichterstattung der lokalen Presse reiche aus, um die Bevölkerung umfassend über die Gefahr zu informieren.

Zettel und Stempel statt Kommunikation

Berichtet hat die lokale Presse allerdings eher kritisch: Die örtliche Zeitung fragte, ob „20 Zettel“ ausreichend seien „als Warnung vor nächtlicher Wildschwein-Jagd„. Auf den entsprechenden Zetteln ist von Jagd nur im Kleingedruckten zu lesen. Als amtliche Kennzeichnung dient ein kaum entzifferbarer Stempelaufdruck mit unleserlicher handschriftlicher Signatur. „Eine anderweitig offizielle Information seitens der Stadt gab es nicht“, stellt die Zeitung lakonisch fest.

Tatsächlich: Weder auf der offiziellen Website der Stadtverwaltung noch auf der facebook-Seite der Stadt sind irgendwelche Informationen zur Jagd in Dessaus Welterbe zu finden. Das ist nicht weltoffen, das ist provinziell. Und Robert Reck verwaltet das Ganze.


Credits: Grafik „Wildschwein“ – http://www.freepik.com – Designed by dgim-studio / Freepik

EILMELDUNG: Reck zieht Widerspruch zurück

Der Hauptverwaltungsbeamte der Stadt Dessau-Roßlau, Robert Reck, zieht seinen Widerspruch gegen den Neubau der Regenbogenschule an der Bernburger Straße zurück.

In der heutigen Sitzung des Hauptauschusses hat OB Reck bekannt gegeben, dass er seinen Widerspruch gegen den Neubau der Regenbogenschule an der Bernburger Straße im Quartier Leipziger Tor zurückzieht. Reck dringt weiterhin auf Sparsamkeit beim Bauvorhaben und gibt Bedenken hinsichtlich der Raumplanung zu Protokoll.

Verzeihung: In der ersten Version der Meldung (von unterwegs schnell ins Tablet getippt) war die Rede von der Breite Straße. Das war natürlich Käse. Korrekt ist die Bernburger Straße.

Kaputtsparen? Ausverkaufen? Vereinfachen!

Haushaltssperre verschärft Überlastung – Stadtrat beschließt zu viele Ausgaben

Scharfe Kritik an Haushaltssperre und Ausgabenpolitik des Stadtrates äußerten im Finanzausschuss Jacqueline Lohde und Bastian George. Mehr Eigenverantwortung und einfachere Verwaltungswege, forderte die Bürgermeisterin. Schon jetzt blieben geplante Investitionen liegen, weil die Mitarbeiter*innen der Verwaltung überlastet seien. Die Haushaltssperre verursache nun noch mehr bürokratischen Aufwand. Grünen-Stadtrat Bastian George warnte vor einem „Ausverkauf der Stadt“ und kritisierte teure Beschlussvorlagen der LINKEN.

Freie Stellen als Einsparpotenzial

Um den städtischen Haushalt zu konsolidieren, sei es erforderlich, „die Wiederbesetzung von Stellen wieder stärker als ein Instrument zur Konsolidierung durch Verschlankung von Strukturen und Verbesserung von Prozessabläufen und damit auch zur Personalreduzierung einzusetzen“, referierte Elke Wirth, Leiterin des Amtes für Stadtfinanzen in bestem Bürokratendeutsch. Übersetzt: Um Geld zu sparen, sollen derzeit in der Stadtverwaltung ausgeschriebene Stellen nicht besetzt werden. Dass der Haushalt derzeit noch relativ ausgeglichen wirke, liege daran, dass Arbeitsplätze in der Stadtverwaltung nicht besetzt sind. Entsprechend spare die Stadt Personalkosten. Nicht vorhandene Mitarbeiter*innen kosten nichts. Weil die entsprechenden Gehälter allerdings im Haushalt eingeplant sind, tatsächlich aber nicht gezahlt werden, ergibt sich buchungstechnisch eine Einsparung.

Investitionshemmnis Überlastung

Weil allein im Tiefbauamt 24 Mitarbeiter*innen fehlten, könne die Stadt schon heute geplante investive Maßnahmen nicht umsetzen, konterte Jaqueline Lohde. Als Baubeigeordnete verantwortet sie Bauprojekte, zu denen auch der Straßenbau zählt. Solche Investitionen in Sachanlagen werden im Haushalt auf der Haben-Seite, also unter den Aktiva einer Bilanz verbucht und zählen zum Vermögen. Je vermögender eine Kommune ist, desto mehr Ausgaben kann sie sich leisten. Kann eine Kommune keine Vermögenswerte schaffen, vermindert das tendenziell ihre Handlungsfähigkeit. Denn auf der Passiva-Seite verzeichnete Ausgaben beispielsweise für Personal in Jugendclubs müssen von den Aktiva ausbalanciert werden.

Zukunftsinvestition Jugendarbeit

Politisch bewertete Bastian George, Stadtrat der GRÜNEN in der „Bunten“ Fraktion, diese Feststellung: „Einsparungen bei Stellenbesetzungen bedeuten den Ausverkauf der Stadt!“ Die schon jetzt überlastete Verwaltung stehe vor der „Arbeitsunfähigkeit“. Er warnte vor Folgen für die Jugendarbeit. Angesichts von Überalterung und Einwohnerrückgang seien Ausgaben im Bereich der Jugendhilfe Investitionen in die Zukunft. In diesem Bereich dürfe nicht gekürzt werden. Hintergrund: Manche städtischen Jugendclubs bieten nur sehr begrenzte Öffnungszeiten an. Grund ist meist Personalmangel.

Zu viele teure Beschlüsse

George forderte klare Schwerpunktsetzungen in der Haushalts- und Ausgabenpolitik und kritisierte: „Der Stadtrat beschließt seit Monaten nur Ausgaben.“ Entsprechende Beschlussvorlagen lege vor allem „eine bestimmte Fraktion“ vor. Angesprochen fühlte sich Heidemarie Ehlert. Zu entsprechenden Vorlagen habe sie stets Finanzierungsvorschläge vorgelegt, ereiferte sich die Stadträtin der LINKEN und erntete aus dem Plenum die ironische Anmerkung, ihre Vorschläge beinhalteten meist Prüfaufträge an die Verwaltung. Die entsprechenden Mitarbeiter*innen müssen solche Vorschläge gegenrechnen und bewerten. Ergebnis: zusätzliche Arbeitsbelastung durch Prüfungen von Ausgaben.

Komplex denken

Auf das Bauressort sei ihre Anmerkung zum Sparen mittels Nichtbesetzung von Stellen gar nicht gemünzt gewesen, erläuterte hingegen Stadtfinanz-Chefin Würth. Man könne mit diesem Einsparpotenzial kreativ umgehen, hieß es sinngemäß von ihrer Seite. CDU-Mann Frank Rumpf befand denn auch, „wir müssen komplex denken“. Wie solcherlei Komplexität in konkretes Handeln umgesetzt werden kann, sagte er nicht.

Mehr Bürokratie wegen Sperre

Konkrete Folgen der Haushaltssperre benannte hingegen Baudezernentin Lohde. Ihre Mitarbeiter*innen müssten nun neben ihrer eigentlichen Arbeit zusätzliche Verwaltungsarbeit leisten. Für jede einzelne im Haushalt bereits vorgesehene Maßnahme müssten diese nun je eine Genehmigung beantragen. Folge: „Zusätzliche Arbeitsbelastung für jetzt schon überlastetes Personal!“ Übersetzt: Wegen letztlich unproduktiver Verwaltungsarbeit und Überregulierung bleiben noch mehr Investitionen liegen.

Vereinfachen statt regulieren

Lohdes Schlussfolgerung: Sparen durch Vereinfachung. „Die wenigen vorhandenen Leute müssen mehr Handlungsspielraum haben!“ Das gelte sowohl für die Arbeit des Tiefbauamtes als auch für die dringend notwendige Einstellungen auf unbesetzte Stellen: „Die Ausschreibungs- und Bewerbungsverfahren dauern ewig! In dieser Zeit rennen uns gut qualifizierte Bewerber davon“, lautete ihre trockene Feststellung. „Wir schieben hier Dinge hin und her und kriegen dabei eine Haushaltssperre.“ Den städtischen Angestellten erkläre dieses Hin und Her indessen niemand. Offenbar spielte sie damit auf die mangelnde Kommunikation der Sperre seitens des Oberbürgermeisters an.

Warnung vor WhatsApp

In die Kommunikations-Kerbe hieb auch Bastian George. „Unseriös“ sei die Bekanntgabe der Sperre per WhatsApp gewesen. OB Robert Reck hatte sich im Stadtrat damit gerechtfertigt, dass er einzelne Stadträte und Verwaltungsmitarbeiter mittels der Handy-App informiert habe. WhatsApp steht nicht zuletzt wegen mangelnden Datenschutzes in der Kritik. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit hatte schon im April 2020 vor der Verwendung der App in Bundesbehörden gewarnt.

Vorerst geheim: Klinikum

Gar nicht öffentlich kommunizieren wollte hingegen Elke Wirth zur Frage des Ausgleichs eines drohenden Defizits des städtischen Klinikums aus dem Stadthaushalt. Zwar insistierte der Grüne George darauf, zumindest Prozentzahlen zu nennen, „weil die Öffentlichkeit ein Recht auf diese Information hat“. Wirth jedoch bestand auf Beratung der Angelegenheit im nichtöffentlichen Teil der Sitzung und vertröstete auf die Stadtratssitzung im November. Dann würden Zahlen genannt. Die werden wohl nicht sonderlich ersprießlich ausfallen. Das jedenfalls lässt ihre Anregung vermuten, die Dessau-Roßlauer Landtagsabgeordneten mögen die Landesregierung dahingehend „sensibilisieren“, dass das Land einen Deckungsbeitrag zum städtischen Klinikum leisten solle. Von der SPD, die mit Holger Hövelmann einen Landtagsabgeordneten stellt, war niemand während der Sitzung anwesend.

Heftige Rüffel für Robert Reck: Stadtrat zu Regenbogenschule und Haushaltssperre

Kernproblem: Kommunikation

Freie und SPD-Fraktion in rhetorischer Hochform, „Bunte“-Stadträt*innen auf der Zinne, die Linke laviert und die CDU glänzt vor allem mit Zurückhaltung. Turbulent verlief die Stadtratssitzung am Mittwoch, 21. September 2023. Hauptthemen: Regenbogenschule und Haushaltssperre. Kernproblem: Die undurchsichtige Kommunikation der Verwaltungsspitze.

Recks Schuljungen-Attitüde

Robert Recks Attitüde erinnerte an die eines trotzigen Schuljungen. Allein seine „Ansicht“, Teile eines Beschlusses des Stadtrates seien rechtswidrig, reiche aus für einen Widerspruch, ließ der Oberbürgermeister wissen. Die vom OB selbst initiierte Machbarkeitsstudie zum Standort der Regenbogenschule tauge nicht als Entscheidungsgrundlage zu einem Standort. In der Luft zerrissen hatte zuvor Hans-Peter Dreibrodt den Widerspruch des OB gegen den vom Rat beschlossenen Standort Bernburger Straße. „Schwer unter der Gürtellinie“ sei Recks Versuch, die Lösung des seit Jahren vor sich hin dämmernden Problems weiter zu verzögern.

Dreibrodt: „Dubiose Varianten“

Sie zaubern ständig weitere dubiose Varianten aus dem Hut“, wetterte der Vorsitzende der Freien Fraktion. „Unerhört und abwegig“ sei zuletzt die „dubiose Variante“ Gropius-Gymnasium gewesen, nahm Dreibrodt rhetorisch Fahrt auf und belehrte Reck über die demokratische Rangordnung: Nicht der Oberbürgermeister sei dem Stadtrat vorgesetzt, sondern „wir sind Ihr Dienstherr“. Reck möge seinen Widerspruch „in der Schublade verschwinden lassen“. Dieser zeige nur, wie wenig Ahnung der Hauptverwaltungsbeamte von Anforderungen an eine Behindertenschule habe. Recks Gesichtsausdruck variierte zwischen angesäuert und belämmert.

Fricke: „Behinderte Kinder gehen nicht shoppen“

Genüsslich zerlegte nach diesem Auftakt SPD-Fraktionsvorsitzender Michael Fricke die rechtliche Begründung des Oberbürgermeisters für seinen Widerspruch gegen den Beschluss zur Bernburger Straße. Nicht ohne zuvor Recks politische Begründung für den bisherigen Standort der Schule in der Nordstadt einzuordnen. Recks Ansinnen, mit dem Erhalt des bisherigen Schulstandorts die Innenstadt zu beleben, charakterisierte Fricke als Farce: „Behinderte Kinder gehen nicht in der Innenstadt shoppen.

Die für den Fall des Erhaltes des Schulstandortes in der Nordstadt notwendige Interimsunterbringung der Schulräume für zwei bis drei Jahre in improvisierten Räumen betrachte Reck wohl nur als eine Phase, mutmaßte der SPD-Mann. „Für Kinder ist das aber eine ziemlich lange Zeit.“ Reck hatte bei seinen Vorschlägen eine solche Zwischenunterbringung ebenso als quasi technisches Problem dargestellt wie die in seinen Augen zu großzügig bemessenen Klassenräume der bisherigen Planungen.

Laut Fricke haben erneute Prüfungen eines Architektenbüros die Notwendigkeit der bislang vorgesehenen Raumgrößen bestätigt. Wie DeRoPolis berichtete, fußten die geplanten Raumgrößen auf Vorgaben der Schulleitung und waren laut vorliegender Machbarkeitsstudie vom Landesschulamt abgesegnet worden. Der OB möge dies und den „gut begründeten Beschluss des Stadtrates“ akzeptieren, anstatt nicht haltbare rechtliche Vorbehalte vorzuschieben. Dann legte der Jurist – Fricke ist Rechtsanwalt – los:

Ermessensspielraum der Stadt

Der von Reck für seinen Widerspruch bemühte Paragraf 11 Absatz 2 der Kommunalen Haushaltsverordnung sei auf Standortentscheidungen für Bauvorhaben überhaupt nicht anwendbar, referierte der SPD-Fraktionsvorsitzende. Der Paragraf schreibt für „Investitionen und Instandsetzungen“ vor, dass ein „Wirtschaftlichkeitsvergleich“ stattfinden muss. Gleiches gelte für Paragraf 98 des Kommunalverfassungsgesetzes; diese Norm definiert „Allgemeine Haushaltsgrundsätze“ gemäß denen „Sparsamkeit“ geboten ist. Beide Regelungen beziehen sich laut Fricke auf Wirtschaftlichkeitsaspekte und seien Standortentscheidungen nachgeordnet. Sprich: Erst nach der Festlegung des Standortes erfolge die Bewertung der Wirtschaftlichkeit des Bauvorhabens.

Grundsätzlich habe die Kommune also „weiten Ermessensspielraum“, bevor die Kommunalaufsicht überhaupt zum Zuge komme, argumentierte der Jurist von der SPD. Diverse Urteile von Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten bestätigten diese Sicht. Die „feststehende Rechtsprechung“ eröffne den Kommunen weiten politischen Spielraum. Diesen wolle der Stadtrat nicht zuletzt dafür nutzen, mit dem Standort Bernburger Straße die Entwicklung des Quartiers Leipziger Straße voran zu bringen.

Bernburger kostenneutral

Da zudem das Baudezernat die Option Bernburger Straße als günstigste Variante ausgewiesen habe und positive Effekte hinsichtlich der Quartierentwicklung berücksichtigt werden müssten, bewerte die SPD die Bernburger Straße als Option, das Quartier weitestgehend kostenneutral zu entwickeln. Beiseite wischte Fricke den Verweis auf die über die Lebenszeit eines Objekts gerechneten Folgekosten; eine solche Betrachtung hätte fast alle Bauvorhaben der Vergangenheit blockiert. Fazit der SPD: Der Beschluss Bernburger Straße sei „rechtlich möglich und politisch geboten“.

Für Ralf Schönemann von der LINKEN und CDU-Mann Eiko Adamek blieben nach diesen Vorträgen nur noch Statistenrollen: Ersterer sah Kompromissmöglichkeiten verspielt, Adamek verwies auf die seit Jahren bestehende Notwendigkeit einer Lösung. Beide sprachen sich im Namen ihrer Fraktionen für die Bernburger Straße aus.

„Überlegung“ zu Gropius-Gymnasium

So kam die Reihe der Redner an OB Robert Reck. Seinem in einen ziemlich tiefen politischen Brunnen gefallenen Widerspruch wollte er wohl einen Rettungsring hinterherwerfen – allein: derselbe entpuppte sich als reichlich luftleer. Sein von Dreibrodt kritisierter Vorschlag Gropius-Gymnasium sei gar kein solcher gewesen, haspelte Reck los. Es habe sich lediglich um eine „Überlegung“ gehandelt. Dieselbe als Vorschlag zu werten, sei „unredlich“, fühlte er sich missverstanden.

Der Standort Bernburger Straße sei nach seiner Berechnung der teuerste, führte Reck anhand zahlreicher und nicht immer leicht durchschaubarer Zahlenreihen aus. Quintessenz: Schulbauten anderer Kommunen seien kostengünstiger. Dass die Kosten für die von Reck zum Vergleich angeführte Panke Schule in Berlin bei kleinerem Flächenbedarf letztlich höher waren, als für einen Neubau an der Bernburger Straße veranschlagt (DeRoPolis berichtete), war ihm wohl ebenso entgangen wie die Tatsache, dass weder dort noch an der ebenfalls angeführten Albert-Schweitzer-Schule in Schwerin Schüler*innen in speziellen Betten liegend unterrichtet werden (die Schweriner Schule errichtet an der dortigen Adresse „Müßer Berg“ einen Neubau).

Irrelevante Studie?

Unbeholfen wirkten Recks Bemühungen, die vorliegende Machbarkeitsstudie als irrelevant für die Entscheidungsfindung darzustellen. Die Studie habe die Bernburger Straße betrachtet, obwohl dieser Standort überhaupt nie zur Diskussion gestanden habe. Schon im April habe er, Reck, verlauten lassen, die Studie sei als Beschlussgrundlage nicht geeignet. Die enthaltenen Kostenbetrachtungen seien unvollständig. Er habe schon damals um mehr Bedenkzeit gebeten.

Grabner: „In Aktion kommen!“

Was Reck mit seinen Ausführungen eigentlich erreichen wollte, blieb im Ungefähren. Irgendwie schien sich der Hauptverwaltungsbeamte von dem unter seiner Ägide beauftragten und erarbeiteten Papier distanzieren zu wollen. Womit er Isolde Grabner auf die sprichwörtliche Zinne jagte. „Sie zerrupfen ihre eigene Machbarkeitsstudie“, schimpfte die Stadträtin, die für Neues Forum-Bürgerliste der „Bunten“ Fraktion angehört. Reck müsse die Studie doch zig Mal auf dem Schreibtisch gehabt haben. Anstatt nun so zu tun, als habe er von nichts gewusst, möge er „dem Beschluss des Stadtrates Folge leisten und in Aktion kommen“.

Recks nunmehr endgültig weinerlich anmutende Erwiderung: Grabner könne gar nicht wissen, wann und wie oft er die Studie auf dem Schreibtisch gehabt habe. Dort lägen ja nun noch viel mehr Vorgänge. Schließlich sei er Oberbürgermeister einer 80.000- Einwohner-Stadt und habe als solcher noch andere Dinge zu tun.

Schönemann: „Lieber selber machen“

Linken-Fraktionschef Ralf Schönemann gab zwischendurch eine Verschwörungstheorie zum Besten. Auswärtige Architekturbüros, von denen Leistungen wie Machbarkeitsstudien eingekauft werden, seien ja oft mit ortsfremden Bauunternehmen verbandelt. Man müsse sich also nicht wundern, wenn der Auftrag zum Bau der neuen Schule nicht in Dessau-Roßlau bleibe.

Die Verwaltung solle entsprechende Gutachten lieber selbst erstellen und sich dafür mehr Zeit nehmen, forderte Schönemann. Diese Möglichkeit sei nun nicht mehr gegeben lavierte er herum, um schließlich das Ja der Linken zur Bernburger Straße zu verkünden. Die chronische Unterbesetzung des Bauressorts mit Ingenieuren dürfte dem Linken ebenso geläufig sein wie die bislang in dieser Angelegenheit ungenutzt verstrichenen Jahre. Schönemanns Recycling-Unternehmen verdient nicht zuletzt mit Bauschuttentsorgung.

Der Stadtrat hat seinen Beschluss, die neue Regenbogenschule an der Bernburger Straße anzusiedeln, mit großer Mehrheit erneuert.

Haushaltssperre laut Empfehlung

Vor dieser denkwürdigen Auseinandersetzung für erhitzte Gemüter gesorgt hatte das Aufreger-Thema Haushaltssperre. Gleich zu Beginn der Sitzung hatte Hauptverwaltungsbeamter Reck seine Gründe für die Verhängung der Sperre angeführt. Zusammengefasst: Er ist der entsprechenden Empfehlung der Stadtkämmerei gefolgt. Die habe vor einem Defizit von 25,4 Millionen Euro im laufenden Jahr und 9,4 Millionen Euro Unterdeckung bis 2026 gewarnt. Die späte Bekanntgabe respektive Information des Stadtrates und seiner Ausschüsse sei aufgrund eines Termins in der Staatskanzlei in Magdeburg zustande gekommen. Diesen Termin habe Reck prioritär wahrnehmen müssen. Informell seien aber Mitglieder des Stadtrates informiert gewesen. Dieses Vorgehen sei üblich.

Weber: „Unanständig!“

Henrik Weber, für Neues Forum-Bürgerliste Stadtrat der „Bunten“ Fraktion und ähnlich dem Bundeskanzler derzeit auf einem Auge gehandicapt aber deutlich temperamentvoller unterwegs, schäumte: „Ohne Not und Kommunikation“ habe Reck die Sperre „über Beschlüsse des Stadtrates hinweg“ verhängt. „Unanständig“ lautete sein Urteil. Der Vollzug des Haushaltes sei weit von 25 Millionen Defizit entfernt.

Fricke: „Unzulässig.“

Rechtlich unzulässig.“ In verbindlicherem Tonfall als Weber aber mit gleichermaßen kerniger Aussage ordnete der rechtsgelehrte SPD-Mann Fricke die Haushaltssperre ein und zog das Gesetz zurate. Demnach sei die Sperre unzulässig weil der Haushalt derzeit wie geplant und beschlossen vollzogen werde. Nur ein aktuell nicht ausgeglichener Haushalt hätte eine Sperre gerechtfertigt. Der derzeitige Haushalt bewege sich aber „im hellgrünen Bereich“.

Eine unverhohlene Drohung sandte den Chef der „Bunten“ Fraktion, Guido Fackiner, an die Adresse Recks: Dessen Informationen sowie seine Begründung der Sperre enthielten „ein buntes Gemisch aus Fakten, die teils nicht relevant sind“. Fackiner forderte die zeitnahe Vorlage eines klaren Zahlenwerks. Erfolge das nicht, wolle die Fraktion die Initiative ergreifen, die Haushaltssperre einzuschränken.

Überforderter HVB

Was bleibt ist der Eindruck eines hinsichtlich politischer Transparenz und Kommunikation restlos überforderten Hauptverwaltungsbeamten. Dessen Wurschtelei geht offenbar dem Stadtrat und anscheinend auch Menschen in höheren Positionen der städtischen Verwaltung gehörig auf die Nerven.

Das Nazi-Flugblatt und der schweigende Oberbürgermeister

Robert Recks kommunikative Fehlleistung zu schutzsuchenden Jugendlichen in Roßlau

Es begann mit einem Neonazi-Flugblatt zu einer Asyl-WG und endet im Kommunikationsdesaster. Ohne Not redet die Beigeordnete für Soziales eine geplante Wohngemeinschaft für unbegleitete Jugendliche ins politische Desaster, die örtliche Zeitung ergeht sich in Sensationsgier und der Oberbürgermeister schweigt. Eine Woche des kommunikativen Chaos der Stadtverwaltung.

16. August 2023: Vereinzelt tauchen in Roßlau Flugblätter einer rechtsextremen Kleinstpartei auf. „Asylflut stoppen! Auch in unserer Region!“ heißt es. Urheber: Eine rechtsextreme Kleinstpartei. Laut Bundeszentrale für politische Bildung hat sie „ein stark neonazistisches Profil“. Auf den Flugblättern ist die Rede von einem „Asylheim“ für „sogenannte ‚minderjährige‘ Asylanten“. Es soll angeblich in Roßlau entstehen.

„Asylantenheim“ und Ahnungslosigkeit

22. August 2023: Sitzung des Ausschusses für Bürgeranliegen, öffentliche Sicherheit und Umwelt des Stadtrates Dessau-Roßlau. Ob in Roßlau ein „Asylantenheim“ geplant sei, will der Vertreter der Fraktion der Blaunen Partei (Partei mit blauem Logo und bräunlicher Ideologie) wissen. Der Beigeordnete für Bürgeranliegen, Sicherheit und Umweltschutz „weiß nicht, woher das Gerücht kommt“. Es gebe keine entsprechende Planung. Die Stadt verfolge das Konzept der dezentralen Unterbringung. Insofern könne von Heimen für Asylsuchende sowieso keine Rede sein.

26. August 2023: Die „Gerüchte“ zu einem angeblichen Heim für Schutzsuchende „sorgen für Unruhe“ titelt die lokale Presse. Oberbürgermeister Robert Reck weiß laut Bericht auch nichts. Er kenne „keinen Plan von einem neuen Heimstandort“. Ein solcher würde in den zuständigen Ausschüssen des Stadtrates vorgestellt. „Eine Vorlage“ entsprechenden Inhalts sei ihm nicht bekannt, sagt der OB laut Bericht, und betont, dass Vorlagen vor Beratung in den Dienstbesprechungen des OBs thematisiert würden. Allerdings habe man wegen der Flugblätter den Staatsschutz eingeschaltet.

Eter Hachmann, Beigeordnete für Soziales, belehrt lieber, als dass sie Auskunft erteilt: Laut Zeitung „riet [sie] (…) von einer Berichterstattung ab“ und vertröstete auf die kommende Woche. Dann habe sie „Zahlen und Fakten“, schreibt die Zeitung.

Nur ein Immobilienkauf

30. August 2023: Im Hauptausschuss greift der Führer der Blaunen Fraktion, Andreas Mrosek, das Thema erneut auf, fragt gleich zu Beginn nach dem angeblich geplanten Heim. Oberbürgermeister Robert Reck wiegelt ab. Von einem Heim wisse er nichts. Das infrage stehende Objekt in Roßlau sei von einem Freien Träger der Jugendhilfe gekauft worden, sagt die Bürgermeisterin und Beigeordnete für Bauen und Stadtgrün. In die Planung zur Nutzung des Objekts sei die Stadt derzeit nicht eingebunden. Anscheinend ist das Thema damit erledigt. Weit gefehlt…

Freie Träger: Privilegiert oder gewerblich

Was verbirgt sich hinter der Bezeichnung Freier Träger? Die Antwort gewinnt weiter unten Bedeutung. Kurz skizziert: Auf der öffentlichen, sprich staatlichen, Seite stehen die „Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe“. Das sind die Landesjugendämter und die örtlichen Jugendämter. Die Landesebene beaufsichtigt und koordiniert.

Zuständig für die Betreuung von Jugendlichen vor Ort sind die kommunalen Jugendämter. Sie erbringen entsprechende Leistungen in der Regel nicht selbst, sondern beauftragen und beaufsichtigen Freie Träger. Diese organisieren und betreiben zum Beispiel Wohngruppen für Jugendliche. Entsprechende Projekte müssen Freie Träger beim zuständigen Jugendamt beantragen und dabei Konzepte zu Betreuung und Organisation vorlegen.

Betreuung mit Gewinn

Freie Träger können gemeinnützig sein, dazu zählen kirchliche Organisationen wie Caritas und Diakonisches Werk, aber auch Hilfsorganisationen wie die Arbeiterwohlfahrt und das das Rote Kreuz. Die Gemeinnützigkeit dieser Träger ergibt sich aus der jeweiligen Rechtsform. Meist sind es gemeinnützige eingetragene Vereine (e.V.) oder gemeinnützige Gesellschaften mit beschränkter Haftung (gGmbH). Weil diese gemeinnützigen Träger Sitz und Stimme in den Jugendhilfeausschüssen der Jugendämter haben, gelten sie als privilegierte Träger.

Privat-gewerbliche Träger hingegen agieren mit Gewinnerzielungsabsicht; mit anderen Worten: Bei ihnen handelt es sich um Unternehmen, die Geld verdienen möchten; auch Betriebskindergärten gehören zu diesem Kreis. Diese privaten Träger müssen gegenüber den Jugendämtern Rechenschaft ablegen und Auskunft erteilen, sie sind nicht an Entscheidungsfindungen beteiligt, also nicht privilegiert. Ebenso wie gemeinnützige Freie Träger müssen gewerbliche Freie Träger qualifiziertes Personal und Konzepte vorweisen.

Vom Freibad zur Flüchtlingswohnung

Zurück zum Hauptausschuss: Mrosek wärmt den von seiner Partei während der Sommerpause inszenierten Pseudoskandal um angeblichen freien Eintritt in Freibäder für Asylsuchende auf. Das ist zwar längst widerlegt, aber darum geht es dem Blaunen-Führer offenbar auch gar nicht. Er nutzt das Thema, um wieder auf das angebliche „Asylheim“ zu kommen. Aus seiner Sicht „politischer Zündstoff vor Ort“. Wenn es um die Unterbringung von Asylsuchenden gehe, müssten die Einwohner quasi ein Mitspracherecht haben.

Geduldig erläutert Bürgermeisterin Lohde, Der Nutzungsantrag werde gemäß Bauordnungsrecht abgearbeitet. Die Nutzung eines Objekts als Wohnraum sei eine rein verwaltungsrechtliche Angelegenheit. Wohnen sei keine politische Angelegenheit, „egal wer wohnt“. Der Leiter des Schulverwaltungsamts, Stefan Kuras, sagt, ein Antrag auf Betreuung in dem Objekt von Kindern und Jugendlichen müsse beim Jugendamt gestellt werden, liege aber nicht vor. Die Zulassung als Freier Träger erteile das Landesjugendamt.

Bunte, SPD und Linke gegen Blaune

Silvia Koschig, für die Wählergemeinschaft Neues Forum-Bürgerliste Mitglied der Bunten Fraktion weiß anscheinend mehr. Sie berichtet, in dem umgebauten Objekt sollten Kinder unabhängig von ihrer Herkunft betreut werden. Es solle eine Hilfseinrichtung für gefährdete Kinder und Jugendliche werden.

Blaunen-Mann Mrosek giftet, nichtsdestoweniger würden Ausländer die „Straßen unsicher machen“. Einer offen neonazistischen Kleinstpartei und ihren Flugblättern will er wohl nicht das Feld überlassen. SPD-Fraktions-Chef Michael Fricke platzt der Kragen, schimpft: „Sie versuchen, mit dummem Gerede etwas am Kochen zu halten.“ Mrosek wolle einen Verwaltungsvorgang „politisch aufladen“. Ralf Schönemann, Vorsitzender der Linken-Fraktion, pflichtet ihm bei. Es gehe um Hilfe für gefährdete Kinder. Ende der Debatte.

Schlagzeile „Flüchtlings-WG“

1. September 2023: „Flüchtlings-WG in Roßlau“ macht die regionale Zeitung ihren Lokalteil auf und bezeichnet die Betreuung minderjähriger Asylbewerber als „Geschäft“, mit dem sich „viel Geld verdienen“ lasse. Grundlage ist offenbar ein Gespräch mit Eter Hachmann, der Beigeordneten für Soziales. Sie bewertet den Vorgang laut Bericht skeptisch. Mit sensationsheischenden Schlagzeilen kann man auch viel Geld verdienen.

An der Eignung des Objekts seien ebenso Zweifel angebracht wie am Ort an sich. Denn in Roßlau seien schon viele Unbegleitete Minderjährige Ausländer (UMA) untergebracht. Bislang zehn Personen in drei Wohngruppen. Für ganz Dessau-Roßlau zählt das Jugendamt 29 Personen. Verhindern könne die Stadt das Vorhaben laut Hachmann nicht und werde die Unterbringung auch gegen Widerstand der Bevölkerung durchsetzen, formuliert die Zeitung. Für die Sicherheit der Bevölkerung werde die Stadt aber sorgen.

Schweigen und Stolpern

Es bleibt gelindes Kopfschütteln. Wenn nicht mehr. Denn angesichts der skizzierten Fehlleistung in Sachen öffentlicher Kommunikation schüttelt es eher den ganzen Körper. Anstatt in der sich ankündigenden öffentliche Debatte offensiv und offen klare Akzente zu setzen, rennt die Stadtverwaltung den Ereignissen hinterher und verstolpert sich dabei aufs Ungeschickteste. Wobei: Was für Ereignisse? Es hat sich noch gar nichts ereignet.

Ein völkisch-neonazistisches Grüppchen hat ein hetzerisches Pamphlet verteilt. Etablierte örtliche Vertreter ähnlichen Gedankenguts wollen sich das Thema nicht wegnehmen lassen und blasen es mit einigen ideologisch unterfütterten Fragen zur Stadtaffäre auf. Die örtliche Presse wittert eine Chance, mit reißerischer Schlagzeile Auflage zu schinden. Eine Beigeordnete geriert sich, die Verwaltung und damit die Stadt als Opfer. Und der Oberbürgermeister schweigt.

Kommunikation ist Führung

Es ist kaum anzunehmen, dass das Vorhaben, einige Jugendliche in einer betreuten Wohngruppe in Roßlau unterzubringen, der Stadt erst seit Erscheinen des ominösen Flugblattes bekannt war. Sehr wohl ist aber angesichts der bisherigen Entwicklung davon auszugehen, dass es keine Vorüberlegungen – geschweige denn ein Konzept – dazu gegeben hat und gibt, wie die Stadtverwaltung das Vorhaben kommunizieren will.

In der demokratischen Debatte ist Führung im besten Sinne gleichzusetzen mit Kommunikation. Kommunikation erfordert ein Konzept. Ein solches Konzept beinhaltet klare Orientierungshilfe zu Kernbotschaften. Fachleute sprechen vom Agenda-Setting. Eine mögliche Agenda blinzelte zu Beginn sogar schüchtern durch den Vorhang des orientierungslosen Schweigens hindurch: Dezentrale Unterbringung.

Keine Heime in Dessau-Roßlau

In Dessau-Roßlau gibt es keine „Heime“, in denen Dutzende Schutzsuchende menschenunwürdig zusammengepfercht vegetieren. Dezentrale Unterbringung in kleinen Wohneinheiten gilt als Schlüssel zu gelingender Integration, weil sie den Menschen Eigenständigkeit, Privatsphäre und Würde bietet. Der für die neue Wohnung in Roßlau vorgesehene Träger hat offenbar Erfahrung. Die gesetzlichen Grundlagen sind klar und eindeutig.

All das hätte von Vornherein klar und deutlich kommuniziert werden können. Nicht von nachgeordneten Funktionsträgern in der Verwaltung, sondern von der Spitze derselben. Vom Hauptverwaltungsbeamten. Vom Oberbürgermeister. Der macht sich – ganz Staatsmann – lieber Gedanken um den Koalitionsvertrag der Regierungsparteien im Landtag und darum, dass dieser Vertrag für Dessau-Roßlaus Kultur (Stichwort: Übernahme der Gemäldesammlung und Zuschüsse fürs Anhaltische Theater – das Thema kommt in einem anderen Beitrag dran) irgendwie ungünstig sei.

Kommunikative Fehlleistung

Spätestens seit der Einbindung des Staatsschutzes angesichts der Neonazi-Propaganda hätte Robert Reck als oberster Vertreter nicht nur der Stadtverwaltung, sondern gleichsam als Repräsentant des demokratischen Souveräns die Führung übernehmen müssen. Wenn ihm schon augenscheinlich der politische Instinkt fehlt zu erkennen, wo sich eine gelinde Krise zusammenbraut, hätte er das Mittel der Wahl in der demokratischen politischen Auseinandersetzung ergreifen müssen, um sich vor Demokratie und Gesetz zu stellen: das klare und unmissverständliche Wort.

Doch Reck schweigt. Mehr und schlimmer noch: Er lässt Vertreter*innen der Verwaltung ohne Deckung ins kommunikative Desaster stolpern. Die Schlagzeile gewordene kommunikative Fehlleistung der Beigeordneten für Soziales ist letztlich fehlender Führungsverantwortung des Oberbürgermeisters geschuldet.

Konzentration?

Angesichts von sage und schreibe insgesamt zehn Jugendlichen von „Konzentration“ zu sprechen (so gibt die Zeitung Hachmanns Einlassungen wider), angesichts von drei Wohngemeinschaften dort eine „Verteilung“ zu fordern, ist dermaßen ungeschickt (gelinde ausgedrückt), da fällt die augenscheinlich fehlende Information und Maßgabe zur Kommunikation für den der Beigeordneten unterstellten Schulamtsleiter kaum noch ins Gewicht.

Zu Hachmanns Entschuldigung kann man höchstens annehmen, dass sie es in Sachen kommunikativer Orientierung für ihren Verantwortungsbereich ihrem Chef gleichgetan hat. Mit dem einen Unterschied, dass der OB beim Schweigen bleibt, während Hachmann sich um Kopf und Kragen und die Sache unangespitzt in Grund und Boden redet.

Regenbogenschule: Reck weiß nichts von OB-Vorlagen

Der OB kennt keine Vorlagen, die Verwaltung präsentiert falsche Kosten, Förderprogramme ignoriert man

Robert Reck weiß von nichts. Er wisse nicht, warum für die neue Regenbogenschule 78 Quadratmeter große Klassenzimmer vorgesehen sind, sagt er der örtlichen Zeitung. Das „enorme Raumprogramm“ der vorliegenden Planungen wolle er deshalb „hinterfragen“. Über den Platzbedarf habe man sich noch nicht unterhalten. Eingebrachte Vorlagen des Oberbürgermeisters beweisen das Gegenteil. Sie waren Grundlage für den Stadtratsbeschluss Bernburger Straße.

Reck will die Regenbogenschule am bisherigen Standort erhalten. Schwerst körperlich beeinträchtigte Schüler*innen will er während der Umbauphase in einen Ausweichstandort verfrachten, für „ein bis zwei Jahre“. Nach der Umbauzeit sollen die Kinder am alten Standort in kleineren Räumen unterrichtet werden als im bisherigen Konzept geplant.

DeRoPolis dokumentiert die bisherigen Vorgänge und die Aktenlage.

Februar 2022: Kriterien für Standort

8. Februar 2022. Der Stadtrat berät die Beschlussvorlage mit der Drucksachennummer BV/387/2021/V-40. Einreicher: Der Oberbürgermeister. Seit August 2021 Robert Reck. Gegenstand der Vorlage: Eine „wirtschaftliche Untersuchung eines neuen Standortes für die Schule für Geistigbehinderte (Regenbogenschule)“. Die Studie soll im August des selben Jahres vorliegen. Der Stadtrat stimmt zu.

Anlage 3 zur Beschlussvorlage aus Februar 2022: Eine tabellarische Aufstellung der „Kriterien für Standortentscheidung (Stand: 07.12.2021)“. Darin aufgeführt: Die Größe der infrage kommenden Grundstücke. Am bisherigen Standort Breite Straße 8.358 Quadratmeter. An der Bernburger Straße 21.904 Quadratmeter. An beiden Standorten liegt je ein „städtebaulicher Missstand“ vor. Zum Punkt „Planungsrecht“: Voraussetzungen für Bauvorhaben sind an beiden Standorten gegeben. Für die Bernburger Straße führt die Tabelle zusätzlich den Punkt „Quartierskonzept Leipziger Tor“ an; „Ziel: Quartiersbezogene Angebote der Grundschulbildung und für das Gemeinwesen“.

Sporthalle und Teilhabe

An beiden Standorten muss laut Anlage jeweils eine neue Sporthalle gebaut werden. Die Doppelnutzung der Sporthalle am Friederikenplatz sei am Standort Breite Straße nicht ausreichend. An der Bernburger Straße ist eine „Sporthallenruine auf dem Grundstück“ vorhanden. Um den Sportplatz am Friederikenplatz zu erreichen, müssen Schüler*innen rund einen halben Kilometer zurücklegen. Auf dem Gelände an der Bernburger Straße ist ein Sportplatz vorhanden.

Auch kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe soll den Kindern am jeweiligen Schulstandort möglich sein. Von der Breiten Straße aus soll dies laut Tabelle mittels der Nähe der Zerbster Straße (ca. 540 Meter Entfernung) gewährleistet sein. An der Bernburger Straße liegt in 350 Metern Entfernung der Thomas-Müntzer-Jugendclub.

Prüfergebnis unter Berücksichtigung aller betrachteten Faktoren laut der vom Oberbürgermeister eingebrachten Beschlussvorlage: Breite Straße – nicht geeignet. Bernburger Straße – geeignet.

April 2023: Studie im Stadtrat nicht bekannt

April 2023. Die örtliche Presse berichtet von Unmut seitens Stadträtinnen und -räten im Hauptausschuss. Grund: Dem Stadtrat ist die per Beschluss vom Februar 2022 (siehe oben) beauftragte Machbarkeitsstudie zum neuen Standort der Regenbogenschule nicht bekannt.

Mai 2023: Breite Straße nicht vertretbar

Mai 2023. Im Ausschuss für Gesundheit, Bildung und Soziales reicht der Oberbürgermeister Drucksache Nummer IV/026/2023/IV-40 als Vorlage ein. Titel: „Sachstand zur Standortentscheidung Förderschule für Geistigbehinderte.“ Thema: „Die Stadtverwaltung informiert über den Sachstand des Standortvergleichs sowie über neue Erkenntnisse und die daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen.“

Fazit der Verwaltung: Am Standort Breite Straße „ist eine vollständige Unterbringung des Raumprogramms (…) aus städtebaulichen und stadtökologischen Gründen nicht vertretbar“. Der Bau würde den durchgängigen Grünzug am Friederikenplatz „zerschneiden“. Fördermittel beispielsweise vom Land könnten nur in Anspruch genommen werden, wenn zuvor das Integrierte Stadtentwicklungskonzept und der Fördergebietskulisse angepasst werden. Klimaneutrale Bauweise sei nur eingeschränkt möglich. Der Baugrund berge Risiken.

Zum Standort Bernburger Straße schreibt die Verwaltung: „(…) ist für die geplante Nutzung sehr gut geeignet.“ Vorteile seien insbesondere, dass Schulgebäude und Sportanlagen auf einem Grundstück lägen, die Gebäude klimaneutral konzipiert werden könnten und keine Interimsunterbringung der Schüler*innen notwendig wäre.

40 Millionen Euro kosten

Für „alle betrachteten Varianten“ (also beide hier angesprochenen Standorte) lägen die Kosten bei rund 40 Millionen Euro zuzüglich rund vier Millionen Euro für klimagerechte Bauweise. Bis zum Jahr 2026 habe die Stadt 15 Millionen Euro eingeplant. Förderprogramme seien nicht vorhanden. Im ungünstigsten Falle müsse die Stadt die komplette Summe selbst aufbringen. Das klingt erst einmal sehr pessimistisch.

Aber die Verwaltung schreibt weiter: „Im weiteren Verfahren müssen eventuelle städtebauliche, energetische und schulbauliche Finanzierungsmöglichkeiten über Land und Bund weiter intensiv verfolgt werden.“ Denn sie sieht „für den Standort Bernburger Straße gute Fördermöglichkeiten im Rahmen der Städtebauförderung („Sozialer Zusammenhalt“) und auch für nachhaltiges, klimaneutrales Bauen“. Die Lage ist also zumindest nicht hoffnungslos.

Vergleichen und sparen

Hoffnung hegt die Verwaltung insbesondere hinsichtlich der Gesamtbaukosten. Die sollten reduziert werden. Dazu „wurde die Aufgabenstellung noch einmal grundsätzlich hinterfragt, um mögliche Einsparpotentiale aufzeigen zu können.“ Zum Hinterfragen gehöre „eine Betrachtung von Neubauten in anderen Gemeinden“ sowie „eine Überprüfung der Flächen- und Kostenkennziffern“. Mit anderen Worten: Schauen, was andere machen und selbst kleiner und billiger bauen.

Vier Bauvorhaben für Förderschulen führt die Verwaltung auf. In Senftenberg, Cuxhaven, Celle und Berlin. Jedes einzelne weist eine kleinere Baufläche auf als für die Regenbogenschule (10.000 Quadratmeter) geplant. Das mit 4.500 Quadratmetern kleinste Vergleichsprojekt in Cuxhaven ist mit 38 Millionen Euro (Stand 2023) das teuerste.

Referenzobjekt zu billig veranschlagt

Als Referenzprojekt ausgewählt hat die Verwaltung die zum Zeitpunkt der Vorlage im Bau befindliche Panke-Förderschule Berlin mit 8.700 Quadratmetern Baufläche und Kosten von angeblich nur 27,5 Millionen Euro. Die Verwaltung merkt dazu an: „In einem Zeitungsartikel war von erheblichen Mehrkosten zu lesen, dem konnte aber noch nicht weiter nachgegangen werden.“

Die angegebene Summe stammt aus der Auslobung des Bauprojekts aus dem Jahre 2017. Am 8. Juni 2023 veranschlagt das Bezirksamt Pankow in Berlin die Baukosten für die Panke-Schule in einer Pressemitteilung zur Eröffnung der Schule mit 47 Millionen Euro. Die Dessau-Roßlauer Verwaltung will im März 2023 nicht gemerkt haben, dass Kosten für die Schule in Berlin seit 2017 um 20 Millionen Euro gestiegen sind und rechnet und vergleicht fröhlich mit einer Fantasie-Summe. Dazu später mehr.

eigentlich unvergleichbar

So richtig vergleichen könne man die Berliner Schule aber sowieso nicht mit der Regenbogenschule. Denn in Berlin Pankow werden keine Schüler*innen unterrichtet, die aufgrund schwerer körperlicher Beeinträchtigungen auch im Klassenraum in Spezialbetten liegen müssen. In Pankow wurden deshalb von vornherein kleinere Räume geplant. Günstiger sind die aber auch nur, wenn man die von der Dessau-Roßlauer Verwaltung um schlappe 20 Millionen Euro zu billig angesetzten Kosten zugrunde legt.

Juni 2023: Stadtratsbeschluss

Juni 2023. Der Stadtrat beschließt: An der Bernburger Straße soll ein Neubau für die chronisch überlastete Regenbogenschule entstehen. Grundlage des Beschlusses ist die von OB Reck initiierte Studie zur wirtschaftlichen Machbarkeit.

Juli 2023: Widerspruch des OB

Juli 2023. Oberbürgermeister Reck legt Widerspruch gegen den Beschluss des Stadtrates ein. Kommunalverfassungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt, Paragraf 65, Absatz 3: „Der Hauptverwaltungsbeamte muss Beschlüssen der Vertretung widersprechen, wenn er der Auffassung ist, dass diese rechtswidrig sind. Er kann Beschlüssen widersprechen, wenn diese für die Kommune nachteilig sind.“ Reck begründet seinen Widerspruch zunächst nicht.

August 2023: Reck kennt eigene Vorlage nicht

August 2023. Laut Bericht der örtlichen Zeitung weiß OB Reck nicht, warum die Ersteller der Machbarkeitsstudie zur Regenbogenschule die Größe der Sporthalle „über dem geforderten Maß“ angesetzt hätten. Wieso die Studie mit einer Klassenraumgröße von 78 Quadratmetern (dem laut Zeitungsbericht „oberen Rand der Vorgabe“) geplant habe, weiß Reck auch nicht. Sagt er jedenfalls der Zeitung. Also der Öffentlichkeit. Die Zeitung zitiert Reck mit dem Satz „Da müssen Sie diejenigen fragen, die die Studie gemacht haben.“

Kennt Reck die Vorlagen seines eigenen Hauses nicht? Der besagten Drucksache Nummer IV/026/2023/IV-40 liegt die Studie der beauftragten arc architekturconzept GmbH aus Magdeburg bei (Anlage 2 Studie). Auf Seite 11 führt die Studie unter der Überschrift „Zusatzinformation zur Aufgabenstellung: Neue GB-Schule“ (GB steht augenscheinlich für Geistigbehinderte): „Anzahl der zu schaffenden Klassenräume: 20. Größe: Ca. 80 m2 je Raum, quadratische Grundfläche bevorzugt, 9m x 9m“ – und neun mal neun Meter ergibt sogar 81 Quadratmeter. Herr Reck wusste das nicht?

Auf der selben, von den Erstellern der Studie als Kopie eingefügten Seite: „Jede Klasse benötigt einen zugehörigen Lagerraum. (Teilung zwischen zwei Klassen möglich.) Größe: ca. 20 m2“ (Hervorhebungen im Original). Wer diese Zusatzinformationen verfasst hat, geht aus der Unterlage nicht hervor. Die Studienersteller waren es offensichtlich nicht. Auf den Seiten 12 bis 15 folgt ein Schreiben mit dem Titel „Kriterien zur Standortwahl Regenbogenschule. Förderschule für Geistigbehinderte“ auf dem Briefpapier der Schule, mit Namensangabe der Schulleiterin, datiert auf den 14.10.2021. Herr Reck wusste das nicht?

Landesschulamt: Stempel für Raumprogramm

Nach der Kapitelüberschrift „02 Anerkanntes Raumprogramm“ auf Seite 18 führt die Studie auf den Seiten 19 bis 23 das „Raumprogramm“ der neuen Regenbogenschule tabellarisch und mit einer ergänzenden Skizze versehen auf. Jede einzelne Seite ist abgestempelt vom „Landesschulamt, Nebenstelle Dessau-Roßlau, Nantegasse 6, 06844 Dessau-Roßlau“. Die Größe jedes einzelnen Klassenraums ist mit 78 Quadratmetern angegeben. Herr Reck wusste das nicht?

Robert Reck sagt der Zeitung laut Bericht vom 26. August 2023, man sei „noch nicht einmal ins Gespräch über die Größe der Schule gekommen“ und fordert, „das enorme Raumprogramm zu hinterfragen“. Der skizzierten Aktenlage nach bestand der einzige Grund, etwas zu hinterfragen, in dem angenommenen, aber nicht existenten enormen Kostenunterschied zwischen der Dessau-Roßlauer Kalkulation und jener der Berliner.

Berlin: 20 Millionen mehrkosten verschwiegen

Nur war die Kalkulation aus Berlin eben schon lange Makulatur und wich von vornherein von dem hiesigen Konzept ab, weil in Berlin schlicht keine größeren Räume gebraucht wurden und werden. Es liegt der Verdacht nahe, mit der Hinterfragerei sollen Stadtrat und Öffentlichkeit hinter die Fichte geführt werden.

Unverdrossen behauptet Reck, eine Verlegung der Regenbogenschule an die Bernburger Straße schade der (Innen-)Stadt, weil dann an der Breiten Straße ein Leerstand entstehe. Laut Anlage 3 zur Drucksache BV/387/2021/V-40 aus Februar 2023 ist aber auch der derzeitige Zustand des Areals an der Bernburger Straße ein „städtebaulicher Misstand“. Der würde mit dem Neubau beseitigt. Profitieren würde davon das Quartier Leipziger Tor. Dessen Entwicklung ist angeblich ein Schwerpunkt in der Stadtentwicklung.

Eigentümer zeigt interesse, Reck will

Nicht profitieren würde vom Standort Bernburger Straße allerdings „der Eigentümer von Nachbargrundstücken der Breiten Straße“. Dieser nicht näher bezeichnete Eigentümer hat laut Drucksache Nummer IV/026/2023/IV-40 aus Mai 2023 „Interesse an einer gemeinsamen Entwicklung des Standorts signalisiert“. Die Stadtverwaltung werde deshalb im Gespräch mit diesem Eigentümer „bislang nicht bekannte Synergien“ ausloten. Aber: „Andererseits würde der Erwerb von Grundstücken zu zusätzlichem Zeitaufwand führen und weitere Kosten verursachen.“ All das steht im Papier der Verwaltung.

Bei diesem Eigentümer kann es sich nur um die stadteigene Dessauer Wohnungsbaugesellschaft GmbH (DWG) handeln (DeRoPolis berichtete). Andere Wohnungsunternehmen mit Bestand in der Nachbarschaft bestreiten vehement, Wohnungsblöcke verkaufen zu wollen. Das Platzproblem der Schule an der Breiten Straße ist damit quasi unlösbar.

Rechtswidrig ist der Beschluss des Stadtrates zum Neubau an der Bernburger Straße offenbar nicht. Die Planungen sind mitsamt der von Robert Reck bemängelten Raumgröße schlüssig gemäß pädagogischen Notwendigkeiten dargelegt. Das Landesschulamt hat das Ganze billigend zur Kenntnis genommen (siehe oben). Laut Kommunalverfassung muss Reck also nicht widersprechen. Er will es.

drei Faktoren

Recks Wille zum Widerspruch kann rational nur mit drei Faktoren erklärt werden, aus denen er Nachteile für die Stadt ableitet: 1. Er nimmt an, dass in Dessau-Roßlau im Vergleich zu den angenommenen Kosten für die eigentlich als Vergleichsobjekt ungeeignete Schule in Berlin zu teuer kalkuliert wurde. 2. Er will Leerstände in Innenstadtnähe um jeden Preis vermeiden, um sein Wahlversprechen der Förderung der Innenstadt zumindest pro forma zu erfüllen. 3. Er will den Schulneubau an der Breiten Straße als Beitrag zur Sanierung der DWG nutzen, denn die könnte weitgehend leerstehende Wohnungsblöcke günstig an die Stadt, ihre Eigentümerin verscherbeln.

Faktor 1. läuft ins Leere, weil die Verwaltung ohne weitere Prüfung von einem viel zu geringen Kostenansatz für die Vergleichsschule in Berlin ausgegangen ist. Tatsächlich ist die dortige kleinere Schule Stand heute teurer als die für die neue Regenbogenschule veranschlagte Summe. Faktor 2. zeigte Recks Desinteresse an der Entwicklung des Quartiers Leipziger Tor, das von der Schule an der Bernburger Straße nachhaltig profitierte. Faktor 3. bewiese ein rein technokratisches Verständnis von Stadtentwicklung, in dem Kinder und pädagogische Notwendigkeiten bestenfalls eine untergeordnete Rolle spielen.

Studie: Sieben Förderprogramme

Wenn Einzelheiten zum Schulneubau der Regenbogenschule bislang nicht ausreichend gewürdigt worden sind, gilt das augenscheinlich vor allem für mögliche Förderungen des Baus mit Landes- und Bundesmitteln. Sieben (als Ziffer: 7) Förderprogramme führt die Machbarkeitsstudie auf Seite 52 an, versehen mit der Anmerkung „Zuarbeit Klimaschutzmanager der Stadt Dessau-Roßlau“.

Die Programme sind allesamt für die Förderung klimaneutraler Bauten gedacht. Zum Tragen kämen die entsprechenden Zuschüsse vor allem bei einem Neubau am Standort Bernburger Straße. Denn in der Breiten Straße ließe sich klimaneutrale Bauweise laut Machbarkeitsstudie nur unzureichend realisieren.

Kennt Reck auch diese Empfehlungen aus seiner Verwaltung nicht? Oder ignoriert er sie, weil die Zuschüsse eben am ehesten an der Bernburger Straße fließen würden? Wie dem auch sei, angesprochen hat Reck diese Finanzierungsmöglichkeiten jedenfalls bislang öffentlich nicht. Vergäbe der Oberbürgermeister diese Chancen, Gelder für die Stadt zu sichern, wäre das auf jeden Fall ein Nachteil für die Stadt – und für die Kinder.

Recks Rechtsauffassung

Es bleibt die Frage, ob auch Recks Interpretation der rechtlichen Grundlagen für seinen Widerspruch auf Unwissenheit beruht oder er sich absichtlich im Ungefähren bewegt. Gegenüber der örtlichen Zeitung gibt der OB zu verstehen, er müsse seinen Widerspruch „aus rechtlichen Gründen“ aufrecht erhalten – schreibt jedenfalls das Blatt. Gleichsam wolle Reck aber nicht durch alle Instanzen gehen. Als ob es dem OB obliegt zu bestimmen, bis zu welchem Grad öffentliches Recht gilt.

Wenn ein Ratsbeschluss rechtswidrig ist, muss der OB als Hauptverwaltungsbeamter Widerspruch einlegen, sagt die Kommunalverfassung. Täte er es nicht, verletzte er seine Dienstpflicht. Ein solcher Rechtsverstoß muss von Amts wegen verfolgt und korrigiert werden. Politischen Spielraum gibt es dabei nicht.

Politisch nackig

Macht der OB aber von seinem Kann-Recht zum Widerspruch Gebrauch, weil er einen Ratsbeschluss politisch als nachteilig bewertet, muss sich der Stadtrat erneut mit der Thematik befassen und kann den OB überstimmen. Dann gibt es keinen Rechtsweg und keine Instanzen. Dann ist es Politik. Ein überstimmter OB hat sich im Zweifelsfall schlicht politisch entblößt. Und sei es, weil er die Vorlagen der eigenen Verwaltung unter Nichtwissen verbucht.

Recks gnädige Ankündigung, seinen Widerspruch nicht „durch alle Instanzen“ – die es in dieser politischen Causa offenbar gar nicht gibt, denn Rechtsinstanzen kommen angesichts fehlender Rechtsverletzung ga nicht zum Tragen – zu verfolgen, ist eine rhetorische Nebelkerze. Der Nebel des angeblichen Nichtwissens soll seine politische Blöße verhüllen. Bleibt zu hoffen, dass der Stadtrat das Nebelhorn erklingen lässt, das dem OB Orientierung bietet.

Eis wächst, Hirn schmilzt – AfD-Propaganda mit amtlichem Segen

Mrosek, Eis und Klimawandel – Propaganda, Stadt und Verantwortung – Wachsendes Eis, schmelzender Verstand

Die Blaunen, von denen hier die Schreibe ist, sind jene Partei, die im Logo an der Farbe Blau und hinsichtlich ihrer politischen Ausrichtung an einer an Erdtöne erinnernden Farbe zu erkennen ist.

Das Amtsblatt der Stadt Dessau-Roßlau, auf das sich dieser Beitrag bezieht, finden Sie in Ihrem Briefkasten oder online – einfach per Suchmaschine nach Amtsblatt und Ort suchen.

Die Blaune Partei ist lernfähig. Zumindest in Dessau-Roßlau. Solch eine Feststellung hätten Sie, werte Leser*innen nicht auf diesem Blog erwartet? Nun, wir müssen ja nicht nur den Tatsachen in die Pupille blicken, sondern neben gutem Willen auch pädagogische Grundsätze berücksichtigen. Und die besagen nun einmal, jeder Kritik sollte ein Lob vorgeschaltet werden. Schon wegen der Erwartungshaltung der Angesprochenen. Die soll quasi geöffnet werden, um der Erkenntnis den Weg zu bahnen. Das gilt übrigens nicht nur für die Blaunen-Beiträge im städtischen Amtsblatt, sondern auch für dessen Herausgeberin, die Stadtverwaltung. Dazu später mehr.

Die Erde ist rund!

Worin also besteht der Erkenntniszuwachs bei den Blaunen, namentlich bei ihrem örtlichen Führer, dem Vorsitzenden der Blaunen Stadtratsfraktion Andreas Mrosek? (*Trommelwirbel*)

Die Erde ist rund! Der gelernte Nautiker Mrosek – alias Käpt’n Blaunbär – hat erkannt: Die Erde ist ein Ball. Wer nach Süden fährt und die Reise lange genug geradeaus fortsetzt, kommt sozusagen mit kleinem Umweg irgendwann am Nordpol an. Nun gilt es nur noch, an Feinheiten zu feilen. Im vorliegenden Fall an der Vorsilbe „Ant-“. Die wechselt nämlich auch bei einer in Richtung Süden beginnenden und in der Arktis endenden Erdumrundung weder Bedeutung noch Polkappe.

Nordpol? Südpol? Hauptsache Eis.

Bitte was? Nun ja, wir müssen uns wohl kurz in eine von alternativen Fakten geprägte Gedankenwelt versetzen: Getreu dem Motto „egal, ob Nord oder Süd, Hauptsache Eis“ zitiert Mrosek in der August-Ausgabe des örtlichen Amtsblatts eine Studie der European Geosciences Union (EGU). Sie belege, dass es den Klimawandel nicht gebe. Angeblicher Beweis: Die Fläche des arktischen Eises (also am Nordpol) sei seit 2009 um 5.305 Quadratkilometer gewachsen und habe 661 Gigatonnen Masse zugelegt, schreibt Mrosek.

Das ist Nonsens. Die EGU hatte die Eismassen der Antarktis (Südpol) untersucht. Zwar stimmen die von Mrosek zitierten Zahlenangaben zu Wachstum von Masse und Fläche des Eises. Die geografische Zuordnung ist jedoch ebenso falsch wie der vom blaunen Unterführer konstruierte Zusammenhang zur angeblich nicht vorhandenen Erderwärmung. Die Behauptung, die Studie widerlege den Klimawandel, ist reine Fantasie. Was aber stimmt?

Kalbende gletscher

Auf der frei zugänglichen Wissenschaftswebsite „copernicus.org“ stellt die EGU eine Studie vor, die die wissenschaftliche Methodik zur Messung und Bewertung des Abbruchverhaltens antarktischer Eismassen untersucht. Hintergrund: Von polarem Eis (egal ob am Nord- oder Südpol) abbrechende Eisberge (Glaziologen sprechen vom Kalben der Gletscher) schmelzen relativ schnell ab und tragen zum Steigen der globalen Meerespegel bei. Wichtigste Erkenntnis der Forscher*innen: Um valide Aussagen über den langfristigen Einfluss des Kalbungsverhalten treffen zu können, müssen bislang kaum berücksichtigte Daten aus der Beobachtung der Pole per Satellit ausgewertet und in neue Berechnungsmodelle übertragen werden.

Für den Zeitraum 2009 bis 2019 haben die Forscher*innen entsprechende Daten zur Entwicklung des gesamten antarktischen Eisschildes ausgewertet. Eine laut Studie neue Methode. Üblich sei bislang die Betrachtung einzelner, regionaler Eisplatten. 34 Eisschelfe wurden binnen der zehn Jahre untersucht. Allein 2017 seien 5.917 Quadratkilometer Eis bei einer einzigen Kalbung des Larsen-C-Schelfs im Weddel-Meer abgebrochen. Der entstandene und seither abschmelzende Eisberg war doppelt so groß wie das Saarland. Zahlreiche Medien berichteten auch in Deutschland über das Ereignis.

Gelegenheit macht Eisberge

Insgesamt allerdings seien Masse und Fläche des gesamten antarktischen Eises im fraglichen Zeitraum tatsächlich um die oben genannten Werte gewachsen.

Betrachten wir diese Entwicklung mit ein bisschen Logik und Grundkenntnissen aus dem Matheunterricht der Mittelstufe: Wächst eine Fläche, vergrößert sich ihr Umfang. Mit dem Flächenwachstum des antarktischen Eispanzers geht die Vergrößerung seines Umfangs einher. Ergo verlängert sich die Eisküste, von der Eisberge abbrechen können. Die Wahrscheinlichkeit wächst, dass Schelfe kalben und riesige Eismassen immer schneller abtauen. Vor allem in der Westantarktistark. Die dortigen Seegebiete erwärmen sich besonders rasant. Grund sind offenbar Tiefenströmungen im Meer. Diese Erwärmung haben Wissenschaftler*innen des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung schon 2014 nachgewiesen und betrachten sie als Folge des Klimawandels. Gerade die kurzfristig gewachsende Eisfläche erhöht also den Abschmelzbeitrag zum steigenden Meeresspiegel. Gelegenheit macht Eisberge. Nach 2019 erhobene Daten belegen die Richtigkeit dieser Schlussfolgerung.

2023: Spektakulärer Verlust an Eis

Keine einzige Silbe der EGU-Forscher*innen legt nahe, die binnen zehn Jahren gemessene Zunahme der gesamten antarktischen Eismasse widerlege den Klimawandel. Dafür wäre der Betrachtungszeitraum viel zu kurz. Globale Entwicklungen spielen sich nicht binnen eines willkürlich gewählten Jahrzehnts ab. Deshalb schlägt die Studie vor, die vorgestellte wissenschaftliche Methodik auf längere Zeiträume anzuwenden und dafür ältere Daten aus der Satellitenbeobachtung auszuwerten.

2022 wich die Eismasse in der Antarktis bereits erheblich vom Durchschnittswert ab – nach unten. Der Eispanzer war merklich geschrumpft. Seit Mitte Mai 2023 ist im Vergleich zum Mittelwert früherer Jahrzehnte um ein Vielfaches weniger Eis in der Arktis vorhanden – und der Trend setzt sich ausweislich jüngster Daten immer schneller fort. „Spektakulär“ und „beunruhigend“ findet das der Bremer Professor für Meereseisphysik Christian Haas laut jüngster Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung. Ein Zusammenhang zum Klimawandel sei nicht auszuschließen.

Käpt’n Blaunbärs Eisbärenfell

Käpt’n Blaunbärs (Mrosek ist Nautiker) angeblich wissenschaftlich fundierte Behauptung, das offenbar nur temporäre Wachstum des Eisschildes widerlege den Klimawandel, ist sozusagen am Eisbärenfell herbeigezogen. Wobei: Eisbären leben in der Arktis. In der Antarktis gibt es Pinguine.

Am Rande: Mrosek war nach eigenen Angaben von 1989 bis 1995 „auf verschiedenen Seeschiffen“ mit „Verantwortung“ eingesetzt. Von 2007 bis 2016 war er Kanalsteuerer (eine Art Lotse) auf dem Nord-Ostsee-Kanal). Das war wohl auch besser, denn auf dem Kanal musste er nur zwischen West und Ost navigieren. Mit der Unterscheidung zwischen Nord und Süd hat er ja offenbar Schwierigkeiten.

Erst abgelehnt, dann veröffentlicht

Anlass für die Publikation von Mroseks August-Einlassungen zum angeblichen Beweis des Nichtvorhandenseins des Klimawandels ist ausgerechnet die Ablehnung eines entsprechenden Beitrags für die Juli-Ausgabe des Amtsblatts: Die Stadtverwaltung hatte die Veröffentlichung mit dem Hinweis verweigert, das Thema habe keinen Bezug zu Dessau-Roßlau.

Im August hat sich die Stadt dann offenbar der Behauptung des selbst ernannten Schonungslosen Aufklärers (abgekürzt: SA) Mrosek geschlagen gegeben, der Artikel sei als „Hinweis“ für den städtischen Klimabeauftragten gedacht und habe deshalb einen Bezug zur lokalen Politik – und hat den Blödsinn veröffentlicht. Dabei haben sich weder lokale Relevanz noch sachliche Fehlerhaftigkeit der blaunen Propaganda verändert.

Amtliche Verantwortungslosigkeit

„Für die sachliche und fachliche Richtigkeit aller Angaben auf den Fraktionsseiten übernimmt die Stadtverwaltung als Herausgeberin des Amtsblattes inhaltlich keine Gewähr“, heißt es unverdrossen und jenseits der Regelungen des Presserechts in der Unterzeile zu den Fraktionsseiten. Die Stadt lehnt mithin alle Verantwortung für zusammenfantasierte Propaganda ab. Sie publiziert verantwortungslos.

Gleiches gilt für die übrigen Fraktionen im Stadtrat: Im geltenden sogenannten Redaktionsstatut (Beschluss des Stadtrates aus Oktober 2019) heißt es, „dass Beiträge für die Fraktionsseiten dann nicht veröffentlicht werden, wenn sie offenbar unwahr sind (…)“. Es ward aufgeschrieben und augenscheinlich vergessen. Wie viel Schwachsinn soll denn Bürgerinnen und Bürgern noch mit quasi amtlichem Segen untergejubelt werden, bis in Verwaltung oder Stadtrat jemand aufwacht? Bei den einen wächst das Eis, bei anderen schmilzt der Verstand.

Alles, was Amt ist: das Amtsblatt und das Presserecht

Presserecht, Amtsblatt und ein genervter Präsident

Er war genervt, der Herr Stadtratspräsident Frank Rumpf. Augenscheinlich ging ihm die Frage auf die Nerven: Wie es denn um das Presserecht beim städtischen Amtsblatt stehe, wollte DeRoPolis im Rahmen einer Einwohnerfrage an den Stadtrat wissen. Gestellt am 05. Juli 2023.

Nun ist es mit dem Recht so eine Sache. Wer präzise sein will, muss zuweilen ins Detail gehen. Und das dauert zuweilen läger als drei Minuten. Drei Minuten hat jede*r Einwohner*in der Stadt Dessau-Roßlau, um sich in der Einwohnerfragestunde zu Wort zu melden. Sagt Paragraf 6 der „Geschäftsordnung für den Stadtrat und seine Ausschüsse“.

zu viel des Rechts?

Naja, vielleicht hatte der Stadtratspräsident in seiner unzweifelhaften Weisheit erstens bereits das Anliegen des zweiten Fragestellers des Tages vorausgeahnt (der hatte die Versammlung gefühlt wesentlich länger, dafür aber wenig konkret beschäftigt), vielleicht war es ihm, Rumpf, des Rechts auch einfach zu viel.

Das wäre nichts wirklich Neues, schließlich hat der gute Mann auch jahrelang „Aufwandsentschädigung“ (740 Euro) sowie „Verdienstausfall“ (1.280 Euro) für seine Tätigkeit als ‚ehrenamtlicher Referatsleiter‘ im Ortsteil Rodleben kassiert (laut Berichterstattung des MDR vom 08. Dezember 2022). Interessierte aber jahrelang auch nicht. Vor allem nicht den Herrn Präsidenten. Und dann wundert sich seine Partei… Doch wir schweifen ab.

Sechs Wochen, zwei Ausgaben

Zurück also zur Frage. Dieselbe hat DeRoPolis bereits am 14. Mai 2023 per E-Mail an die Verwaltung gestellt. Am 23. Mai bestätigte die Verwaltung den Eingang der Frage mit der Zusage, diese „baldigst zu beantworten“. Das ist mehr als vier Wochen und zwei Ausgaben des Amtsblatts her. Und dieses Amtsblatt erscheint nach wie vor in einer – nun sagen wir, presserechtlichen Grauzone.

In den Pressegesetzen der Länder sind Verantwortlichkeiten für die Inhalte einer Publikation definiert. In Sachen-Anhalt ist Pragaraf 7 einschlägig, der behandelt das Impressum. Für redaktionell gestaltete Websites wie DeRoPolis gilt übrigens ähnliches: Schlag nach unter Medienstaatsvertrag Paragraf 18.

Pressegesetz für das land Sachsen-Anhalt

Im besagten Paragrafen im Pressegesetz des Landes Sachsen-Anhalt heißt es in Paragraf 7:

„(1) (…)

(2) Auf den periodischen Druckwerken sind ferner Name und Geschäftsanschrift des verantwortlichen Redakteurs anzugeben. Sind mehrere Redakteure verantwortlich, so muss das Impressum die in Satz 1 geforderten Angaben für jeden von ihnen enthalten. Hierbei ist kenntlich zu machen, für welchen Teil oder sachlichen Bereich des Druckwerks jeder einzelne verantwortlich ist. Für den Anzeigenteil ist ein Verantwortlicher zu benennen; für diesen gelten die Vorschriften über den verantwortlichen Redakteur entsprechend.

(3) (…).“

Ergänzend definiert Paragraf 12 desselben Gesetzes die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Impressum genannten Personen.

Blöd nur, dass im Amtsblatt der Stadt Dessau-Roßlau genau eine (in Ziffern: 1) Person als Redakteurin aufgeführt ist. Den Namen der armen Sachbearbeiterin lassen wir an dieser Stelle mal beiseite. Arm deshalb, weil die Dame laut Gesetz für jeden Käse in der Publikation verantwortlich ist. Und damit auch für Unwahrheiten, welche auf den so genannten Fraktionsseiten im Amtsblatt verbreitet werden (siehe frühere Berichterstattung auf DeRoPolis, insbesondere zur „Partei der Verfälscher“).

Pfiffig statt Rechtskonform?

Nun übertreffen sich aber Dessau-Roßlauer Verwaltung und Stadtrat geradezu an Pfiffigkeit. Nicht anders ist die die jeweiligen Fraktionsseiten ergänzende Fußzeile in einem jeden Amtsblatt zu interpretieren, in der es heißt:

„Für die sachliche und fachliche Richtigkeit aller Angaben auf den Fraktionsseiten übernimmt die Stadtverwaltung als Herausgeberin des Amtsblattes inhaltlich keine Gewähr und behält sich gegebenenfalls die Möglichkeit zur Richtigstellung vor.“

Ja nee, is‘ klar: Verantwortlich ist die Verwaltung nicht, korrigiert aber gegebenenfalls. Wie bitte? Mal abgesehen vom der Aussage immanenten Widerspruch – würde die Verwaltung allen Ernstes die politischen (oder wenigstens politisch gemeinten) Aussagen der Fraktionen vor Veröffentlichung korrigieren, stünde der Vorwurf der (Vor-)Zensur mindestens im Raum.

Statut ist kein Recht

Und für die ganz fürchterlich Pfiffigen, die nun auf das so genannte Redaktionsstatut verweisen, das der Stadtrat beschlossen hat: Das ist nett aber sinnfrei. Mal abgesehen davon, dass Redaktionsstatuten im Regelfall die Freiheit der Redaktion von verlegerischer Einflussnahme sichern und insofern lediglich arbeitsrechtlich relevant sind, begründet ein Stadtratsbeschluss nun einmal kein geltendes Recht.

Das so genannte Redaktionsstatut des Amtsblattes der Stadt Dessau-Roßlau kann mit gutem Willen als Absichtserklärung gewertet werden, das Amtsblatt von ehrverletzenden Äußerungen frei zu halten. Dazu braucht es aber kein Statut, sondern klare presse- und strafrechtliche Verantwortlichkeiten. Wäre also für die Fraktionsseite der Blaunen (nur ein zufälliges Beispiel) ein*e Vertreter*in dieser Partei namentlich im Impressum benannt (was ebenso rechtskonfrom wäre wie jede*r andere Vertreter*in jeder anderen Partei als Verantwortliche*r für die jeweiligen Seiten), stünde die jeweilige Person eben auch für den Inhalt der jeweiligen Seiten gerade. Eigentlich sehr einfach.

Schlauer sterben

Nun möchte der Autor dieser Zeilen weder dümmer sterben, als er geboren wurde, noch möchte er seine Leser*innenschaft ohne presserechtliche Erleuchtung in die ewigen Jagdgründe oder wohin auch immer eingehen lassen. Deshalb lautete die erwähnte an die Verwaltung gesandte und im Stadtrat gestellte Einwohnerfrage wie folgt:

„1.a. Zählen die Fraktionsseiten zum amtlichen oder nichtamtlichen Teil des Amtsblattes?

1.b. Ist die genannte Redakteurin aus Sicht der Verwaltung für den Inhalt aller Teile des Amtsblattes inklusive des Anzeigenteils und der Fraktionsseiten auch im Sinne des Strafrechts verantwortlich?

2.a. Inwiefern ist die Ablehnung jeglicher Gewähr für Inhalte auf den Fraktionsseiten mit dem Korrekturvorbehalt vereinbar?

2.b. Was ist mit „Richtigstellung“ gemeint?

2.c. Inwiefern ist der in der Fußzeile angesprochene Vorbehalt zur Richtigstellung mit dem Verbot des Eingriffs staatlicher / öffentlicher Stellen in in periodisch erscheinenden Presseerzeugnissen veröffentlichen Meinungsäußerungen (Vorzensur, GG ) vereinbar? Welche Grundlagen in Gesetzen oder Verwaltungsvorschriften liegen Ihrer Beurteilung zugrunde?

2.d. Inwiefern hat die Formulierung in den Fußzeilen der Fraktionsseiten presserechtliche und gegebenenfalls strafrechtliche Relevanz und welche Grundlagen in Gesetzen oder Verwaltungsvorschriften liegen dem zu Grunde?“

Vorläufige Antwort seitens Verwaltung und Stadtrat: Schweigen. Das Pressegesetz des Landes Sachsen-Anhalt in gültiger Fassung ist amtlich bekannt gemacht worden am 02. Mai 2013. Regeln der Aussagelogik (vergleiche dazu besagte Fußzeile auf den Fraktionsseiten im Amtsblatt) sind schon ein paar Jahrhunderte älter.

Eigentlich nichts neues – eigentlich…

Nur mal so am Rande: In gefühlt dreiundzwölfzighundert Publikationen inklusive Amtsblätter in dieser Republik funktioniert das ganz einfach: Für den Anzeigenteil sowie den – im Falle amtlicher Veröffentlichungen – amtlichen Teil wird jeweils eine verantwortliche Person im Impressum benannt. Zudem kann für jeden Teil einer Publikation gesondert eine verantwortliche Person benannt werden (Pressegesetz Sachsen-Anhalt, Paragraf 7, Absatz 2, Satz 2). Damit wäre dann beispielsweise die Blaune Fraktion selbst für ihre wahrheitswidrig verfälschende Darstellung der Inhalte amtlicher Mitteilungen verantwortlich.

DeRoPolis wird über Antwort der Stadt Dessau-Roßlau sowie Reaktionen der Fraktionen (dieselben haben wir via Mail auf diese freundliche Argumentationshilfe aufmerksam gemacht) berichten.

Richtigstellung

vom 15. Juli 2023 zum u.g. Beitrag vom 28. Juni 2023 in Bezug auf die Wohungsgenossenschaft Dessau eG:

Wir haben auf dieser Website unter der Überschrift „Robert Reck gegen den Stadtrat: Interessen im Streit um Regenbogenschule“ geschrieben:

„(…) um PLatz für einen Schulneubau zu schaffen, müsste dort (…) ein Wohnblock (…) der Wohnungsbaugesellschaft Dessau (WGD) [abgerissen werden]. Sowohl (…) als auch WGD kämpfen mit dem Problem Leerstand. In vielen alten Wohnblöcken Unternehmen dieser Unternehmen sind nur wenige Wohneinheiten vermietet.“

Hierzu stellen wir richtig:

Es muss kein Wohnobjekt der Wohnungsbaugenossenschaft Dessau (WGD) abgerissen werden, um Platz für einen Schulneubau am Standort Friedrikenstraße zu schaffen.

Die WGD kämpft auch nicht mit Leerstand. Es ist unzutreffend, dass in vielen älteren Wohnblöcken der WDG nur wenige Wohneinheiten vermietet wären.

Ende der Richtigstellung

Robert Reck gegen den Stadtrat: Interessen im Streit um Regenbogenschule – Update vom 08. Juli 2023 mit Korrekturen

Welche Interessen stecken hinter dem Widerspruch des OB?

Regenbogenschule und Monopoly. Eine Schule für geistig behinderte Kinder und ein Gesellschaftsspiel. Die Schule braucht dringend einen neuen Standort, im Spiel geht es um Profit mit Immobiliengeschäften. Wer im Spiel auf dem Feld „Gehe in das Gefängnis“ landet oder die entsprechende Ereigniskarte zieht, setzt erst einmal aus.

Konflikt statt Konsens: Undurchsichtige Motivation

Der Zusammenhang: In Dessau-Roßlau will Oberbürgermeister Robert Reck die Aussetz-Karte ziehen. Nicht für sich, sondern für den Stadtrat. Nicht in einem Spiel, sondern in der Debatte um den neuen Standort der Regenbogenschule. Dabei geht es auch um Immoblilien. Und wohl auch um Profitinteressen. Denn wenn Reck sich durchsetzt, profitieren mutmaßlich Dessauer Wohnungsbauunternehmen. Der Preis für den Profit: Behinderte Mädchen und Jungen müssten mit ihren Familien noch länger auf eine angemessene Schule warten, würden noch länger als schon jetzt absehbar am bisherigen Standort in der Breite Straße in Containern unterrichtet. Dröseln wir die Sachlage mal auf, schauen uns die „Player“ an in diesem bislang reichlich undurchsichtigem Spiel und leiten Indizien für die Motivation des Handelns des OB ab.

Rückblende: Ursprünglich wurden acht Standorte für einen Neubau der Regenbogenschule in Betracht gezogen. Übrig blieben letztlich drei, darunter der Standort an der Bernburger Straße. Das dortige Grundstück gehört der Stadt. Moderne Schulgebäude mit Spiel- und Auffenthaltsbereichen für Kinder mit hohem Bewegungsdrang können dort relativ einfach angelegt werden. Bestätigt hat das eine 85.000 Euro teure Machbarkeitsstudie.

All das galt als Konsens zwischen Stadtrat, fachlich zuständigen Dezernaten und der Verwaltungsspitze, dem Oberbürgermeister. Bis zur Sitzung des Stadtrates am 21. Juni 2023. Auf der Tagesordnung: Beschlussfassung zum neuen Schulstandort an der Bernburger Straße. „Selten gut vorbereitet“ war der Rat laut entsprechender Äußerungen einzelner seiner Mitglieder. Bis auf rund ein halbes Dutzend stimmten die Stadträtinnen und Stadträte für den Standort. Erst dann zog Robert Reck seine vermeintliche Trumpfkarte: Ein Veto. Der Oberbürgermeister kündigte an, gegen den Beschluss des Stadtrates Widerspruch einzulegen. Dafür hat er 14 Tage Zeit. Binnen dieser Frist muss Reck den Widerspruch mitsamt Begründung schriftlich einreichen.

Rechtswidrig oder nachteilig

Laut Kommunalverfassungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt muss respektive kann der Oberbürgermeister als Hauptverwaltungsbeamter gegen Beschlüsse des demokratischen Gremiums Stadtrat unter bestimmten Voraussetzungen Widerspruch einlegen. Paragraf 65 des Gesetzes: „Der Hauptverwaltungsbeamte muss Beschlüssen der Vertretung widersprechen, wenn er der Auffassung ist, dass diese rechtswidrig sind. Er kann Beschlüssen widersprechen, wenn diese für die Kommune nachteilig sind.“

Im vorliegenden Fall kommt nur Nachteilig-Regelung infrage. Sie hat lediglich aufschiebende Wirkung. Der Stadtrat kann den Widerspruch des OB mit einem erneuten Beschluss überstimmen. Danach bliebe dem OB nur noch der Verweis auf Rechtswidrigkeit. Er müsste dann die Kommunalaufsicht einschalten. Nicht nur die würde sich wohl wundern, wenn ein mit der Begründung „Nachteil für die Stadt“ eingereichter Widerspruch nachlaufend als angeblich rechtswidrig eingestuft würde. Will sich Reck nicht lächerlich machen, bliebe es beim Vorwurf des Nachteils, den der Rat der Stadt mit dem Beschluss Bernburger Straße einbrocken angeblich würde.

unternehmen wollen wohnblöcke loswerden – Hinweis zu Korrektur im folgenden Absatz!

Wieso aber soll der Schulstandort Bernburger Straße für die Stadt nachteilig sein? Das muss OB Reck in seinem schriftlichen Widerspruch darlegen – und das dürfte schwierig werden. Vorteilhaft wäre der Standort Friederikenstraße ja – allerdings in erster Linie für die Eigentümer der dortigen Wohnobjekte. Denn um Platz für einen Schulneubau zu schaffen, müssten dort Wohnblöcke abgerissen werden.

Nicht nur in Dessau-Roßlau kämpfen große Wohnungsunternehmen mit dem Problem Leerstand. In alten Wohnungsblöcken sind oft nur wenige Wohneinheiten vermietet. Kosten für Instandhaltung und Versorgung leerer Wohnungen machen ganze Blöcke unrentabel. Das Umlegen entsprechender Gesamtkosten auf verbliebene und oft ältere und/oder gesundheitlich eingeschränkte Mieter*innen hat in der Vergangenheit schon öfter für Ärger gesorgt. Rausschmeißen können die Unternehmen die wenigen verbliebenen Mietparteien aber auch nicht so einfach. Das Gesetz sieht nicht nur für langjährige Mieter*innen Kündigungsfristen von bis zu zwölf Monaten vor.

Korrektur früherer Version der Beitrages:

In der früheren, am 28. Juni 2023 veröffentlichten Version des Beitrages, war im vorstehenden Absatz ein sachlicher Fehler enthalten. Dieser Fehler ist mit Aktualisierung vom 08. Juli 2023 entfallen.

Mieterschutz: Jahrelange verfahren

Gerade bei alten und/oder gesundheitlich eingeschränkten Mieter*innen greift zudem Paragraf 574 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), die Härtefallregelung. Demnach „kann [der Mieter] der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist.“

Kauft die Stadt nun die entsprechenden Wohnblöcke, sind die jeweiligen Eigentümer ihre entsprechenden Probleme auf einen Schlag los. Dann muss die Stadt die entsprechenden Mieter*innen loswerden. Im Falle des DWG-Wohnblocks an der Friederikenstraße sind laut öffentlicher Berichterstattung rund 60 von 160 Wohnungen belegt. Klagen nur einige der Mieter*innen gegen Kündigungen, sind sehr langwierige Gerichtsverfahren absehbar. Die Ergebnisse sind alles andere als voraussehbar. Denn zu den im Gesetz angesprochenen Härten zählt in der Fachliteratur auch eine lange Mietdauer, die mit starker sozialer Verwurzelung im örtlichen Umfeld einhergeht. Eben davon ist gerade bei älteren Mieterinnen und Mietern auszugehen. Die Folge: Der Baubeginn einer neuen Schule verschöbe sich um weitere Jahre, wenn nicht Jahrzehnte.

spontane Intervention oder geplantes gekungel?

All diese Aspekte hätten im Stadtrat trefflich diskutiert und bewertet werden können, wenn OB Reck den von ihm aus dem politischen Hut gezauberten Standort Friederikenstraße frühzeitig als Vorschlag in die Beratungen eingebracht hätte. Hat er aber nicht. Der Fachmann staunt, der Laie wundert sich und spekuliert über die Gründe der Reck’schen Spontaninternvention – die so spontan womöglich gar nicht war.

Auf der Tagesordnung des Ausschusses für Gesundheit, Bildung und Soziales am 14. Juni 2023 stand der „Sachstand zur Standortentscheidung Förderschule für Geistigbehinderte“ zur öffentlichen Beratung. Laut Berichterstattung der örtlichen Presse war die Einordnung des Themas als öffentlich aus Sicht des Stadtratspräsidenten (CDU) ein Versehen. Flugs beantragte CDU-Stadtrat Michael Puttkammer, die Causa nichtöffentlich zu beraten. Er scheiterte mit seinem Antrag.

Scheiterte Überrumpelungs-Taktik aus versehen?

Wieso aber wollte CDU-Mann Puttkammer das Thema nichtöffentlich behandeln? Laut Paragraf 52 Kommunalverfassung „[ist] die Öffentlichkeit auszuschließen, wenn (…) berechtigte Interessen Einzelner, insbesondere bei (…) der Ausübung des Vorkaufsrechts, Grundstücksangelegenheiten und Vergabeentscheidungen, dies erfordern.“ Dem erfahrenen Stadtrat dürfte diese Regelung geläufig sein. Hat Puttkammer womöglich unter Ausschluss der Öffentlichkeit den bis zu diesem Zeitpunkt nicht angesprochenen Standort Friederikenstraße und den damit verbundenen Kauf des Grundstücks mitsamt der Wohnobjekte behandeln wollen? Für diesen Fall wäre der Paragraf einschlägig gewesen. Dann hätte die CDU die an der Friederikenstraße notwendigen Grundstückskäufe ansprechen und den Rest des Rates damit überrumpen können. Es kam nicht dazu.

Grünfläche und industriegebiet: der WIC interveniert – Hinweis zu Korrektur im folgenden Absatz!

Nur wenige Tage später (Presseberichterstattung am 19. Juni 2023) spricht sich der Wirtschafts- und Industrieclub Anhalt (WIC) öffentlich für den Standort Friederikenstraße aus. Begründung: Für das Grundstück an der Bernburger Straße sei gemäß Flächennutzungsplan eine Grünfläche vorgesehen. Außerdem läge die Schule dort neben einem „Industriegebiet“. Gleich mal ein Kreuz im Kalender machen: Der WIC nimmt eine geplante Grünfläche zum Anlass, eine Bebauung abzulehnen. Ansonsten ist der Lobby-Club eher weniger gut auf Stadtwildnis und ähnliche Dinge zu sprechen… Das vermeintliche Industriegebiet ist eine relativ übersichtliche Gewerbefläche. Im benachbarten Jugendclub Thomas-Müntzer verbringen Kinder und Jugendliche Teile ihrer Freizeit.

Aus den Fingern gesogen erscheint als relativ freundliche Beschreibung für die vermeintlichen Argumente des WIC gegen die Bernburger Straße. Wesentlich handfester muten die Interessen an, die der WIC für seine Mitglieder vertritt und damit auch für die Herren Nicky Meißner und Matthias Kunz. Meißner und Kunz sind in leitenden Positionen in der Dessau-Roßlauer Wohnungswirtschaft tätig.

Korrektur früherer Version der Beitrages:

In der früheren, am 28. Juni 2023 veröffentlichten Version des Beitrages, war im vorstehenden Absatz ein sachlicher Fehler enthalten. Dieser Fehler ist mit Aktualisierung vom 08. Juli 2023 korrigiert worden.

Links-Unternehmer mit interessen?

Dass der Vorsitzende der Linksfraktion im Stadtrat, Ralf Schönemann, nach dem Scheitern des Antrages seines CDU-Ratskollegen auf Nichtöffentlichkeit am 14. Juni eine Vertagung des Tagesordnungspunktes Standort Bernburger Straße vorschlug (auch dies kam nicht zustande), wäre dabei nur noch eine lächerliche Fußnote, würde nicht auch sein Entsorgungsunternehmen von Aufträgen der Stadt profitieren (und bei einem Abriss der Wohnblöcke in der Friederikenstraße gäbe es einiges zu entsorgen).

Pläne des DWG-Geschäftsführers

Geschäftsführer der stadteigenen DWG ist seit April 2022 Thomas Florian. Die Stelle hat Florian sicherlich nicht ohne Zustimmung seitens OB Reck erhalten. Und Reck hätte kaum einen Geschäftsführer eingestellt, der nicht bereit wäre, Recks Vorstellungen und Pläne umzusetzen. Florians erklärte Absicht ist es, die DWG vom Leerstandsverwalter zu einem profitablen Unternehmen umzubauen, das im Sinne der Stadtentwicklung agiert. Ergo muss es im Interesse des Geschäftsführers liegen, die Leerstände an der Friederikenstraße abzustoßen. Und nichts liegt näher, als dass Reck seinen Geschäftsführer entsprechend unterstützt – zum Beispiel mit einem Kauf der Blöcke zum Zwecke des Abrisses, weil dort eine Schule gebaut werden soll.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass Recks Widerspruch geradezu geplant gewesen sein muss. Und sei es als letzte Option, wenn alle anderen Versuche der Einflussnahme nicht fruchten. Seine offizielle Begründung, er wolle sein Wahlversprechen einhalten, die Innenstadt zu beleben und deshalb die Schule in der Friederikenstraße ansiedeln, ist irgendwas zwischen hilflos und lächerlich. Bestenfalls ein Ablenkungsmanöver. Oder einfach der Versuch, den Stadtrat damit unter Druck zu setzen, dass er, Reck, ja schließlich für sein Vorhaben Innenstadtbelebung gewählt worden sei. Wobei fraglich bleibt, welche belebenden Auswirkungen eine Schule auf die City haben soll.

Baukosten sind nicht Gesamtkosten

Was bleibt, ist der Verweis des Oberbürgermeisters auf niedrigere Baukosten an der Friederikenstraße. Dort sei das Bauen drei Millionen Euro günstiger machbar als an der Bernburger Straße. Die Beigeordnete für Bauen und Stadtgrün, Jacqueline Lohde, hatte hingegen auf höhere Kosten an der Friederikenstraße im Vergleich zur Bernburger Straße hingewiesen. Mögliche Lösung: Lohde bezieht sich auf die Gesamtrechnung, Reck gibt nur Baukosten an. Kosten für Grundstückserwerb, Gerichtsverfahren und Abbruch sind in Baukosten allein nicht enthalten. Das wäre noch eine Nebelkerze des Oberbürgermeisters.

Verwaltung: Widerspruch gegen widerspruch

Entsprechende Fragen stellt man sich offenbar auch in der Stadtverwaltung. Aus gut unterrichteter Quelle verlautet, dass selbst hochrangiges Personal der Administration den Plänen Recks gelinde gesagt kritisch gegenübersteht. Der Oberbürgermeister könne weder die Rechtswidrigkeit des Stadtratsbeschlusses, noch daraus erwachsende Nachteile für die Stadt darlegen. Der Schulneubau sei dringend notwendig, Recks Widerspruch verzögere schon weit fortgeschrittene Planungen, grummelt es.

Welcher Vorteil sich für die Stadt daraus ergibt, dass für das vorliegende Machbarkeitsgutachten noch einmal 10.000 Euro nachgeschossen werden müssen, um auch den neuen Standort Friederikenstraße zu berücksichtigen, bleibt vorerst das Geheimnis des Hauptverwaltungsbeamten. Zumal das Geld mutmaßlich für einen Standort ausgegeben würde, der nicht gegen den Beschluss des Stadtrates durchzusetzen ist.

KapitAl oder Kinder: Öffentlichkeit mobilisieren

Klar, ohne Kapital kommt die Belebung der City nicht voran. Kapital kann nur von Unternehmen kommen. Aber es muss am richtigen Ort eingesetzt werden. Und Kapital darf nicht wichtiger sein als Kinder. Dem Vernehmen nach erwägen erste Stadträtinnen und Stadträte, Eltern und Öffentlichkeit zu mobilisieren.