Bringen Pflicht und Zwang die Wirtschaft in Gang?

CDU-Politiker für Arbeitszwang und Dienstpflicht

Sepp Müller, CDU-Bundestagsabgeordneter für Dessau-Roßlau, gibt sich in der breiten Öffentlichkeit gern jovial bis volksnah. Beim Bäumepflanzen zum Beispiel. Und im Tierheim. Das in Dessau hatte er während seiner „Zuhör-Tour im Osten“ besucht. Für Fotos in der örtlichen Zeitung schwang er dort den Besen. Ob Müller auch Katzenklos geleert hat, ist nicht überliefert. In Wörlitz trat er gemeinsam mit Carsten Linnemann (CDU MdB, links im Bild oben) vor der Mittelstandsunion (MIT) auf.

Müller versteht es, den Menschen „im Osten“ auf’s sprichwörtliche Maul zu schauen. Zuweilen entsteht der Eindruck, er rede den Leuten nach demselben. Vor allem teile er die Abneigung gegen Bevormundung. Die möge er gar nicht. In der Hauptstadtpresse verkündete der CDU-Mann am 15. Mai, die Ostdeutschen seien „bei Verboten total sensibel“.

Sensible Ostdeutsche und Merkels Heizungs-gesetz

Das war auf die Heizungspläne des grünen Wirtschaftsministers gemünzt. Der wolle Hausbesitzer zum Heizungstausch zwingen. Tatsächlich schreibt das Gebäudeenergiegesetz (GEG) aus dem August 2020 vor, ineffiziente Öl- und Gasheizungen durch energiesparendere Heizungen auszutauschen, wenn sie über mehr als 30 Jahre alte Konstanttemperaturkessel verfügen. Müllers Parteifreundin Angela Merkel war damals Bundeskanzlerin. Die Erkenntnis, dass heute schon bestehende „Heizungsverbote“ unter CDU-Ägide beschlossen wurden, möchte Müller seiner sensiblen Wählerschaft offenbar nicht zumuten.

20 Euro für die Mittelstandsunion

Vermutlich reagieren sensible Wähler*innen auch nicht sonderlich angetan auf Eintrittspreise für – nun sagen wir Partei-Informationsveranstaltungen. 20 Euro sollten Besucher*innen beispielsweise für einen Auftritt Müllers und seines Partei- und Parlamentskollegen Carsten Linnemann bei der „Mittelstands- und Wirtschaftsunion“ (MIT) berappen.

Jene, die die 20 Euro bezahlt hatten, durften sich an appetitlichen Portionen von zartem Filet auf Spargelmus und ähnlichen Produkten der gehobenen Küche gütlich tun. Neben Mittelständlern und Freiberuflern waren am 09. Mai im 4-Sterne-Hotel „Zum Stein“ in Wörlitz auch Vertreter kommunaler Verwaltungen und Politik dabei. Ihnen setzten Linnemann und Müller recht handfeste politische Kost vor.

zwang und Dienst statt Wettbewerb

Von Arbeitszwang über Dienstpflicht bis zu Azubi-Ablöse reichte die Zutatenliste. Viele der anwesenden Unternehmer*innen goutierten diese Einlassungen mit reichlich Applaus. Grund für den angeblich bevorstehenden Ruin des Industriestandorts Deutschland sei nämlich zu viel Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt.

Richtig gelesen: Ausgerechnet das Strukturprinzip der Marktwirtschaft, den Wettbewerb, identifizierten die CDU-Männer als Nachteil für mittelständische Unternehmen und Betriebe. Müssen sich Arbeitgeber*innen mittlerweile doch tatsächlich um Mitarbeiter*innen bemühen. Die stehen auf der Suche nach Erwerbseinkommen oftmals nicht mehr Schlange, sondern sortieren Arbeitsplatzangebote nach Attraktivität und suchen im Zweifelsfall lieber ein paar Wochen länger. Faktoren Arbeitszeiten, Familienfreundlichkeit und Höhe der Entlohnung entscheiden mehr denn je über den Arbeitgeber-Erfolg auf der Suche nach Arbeitskräften.

Chefs als Bewerber, faule Arbeitnehmer

Fachkräfte sind rar gesät, verkünden Wirtschaftsnachrichten regelmäßig. Der Markt hat sich gedreht vom Nachfrage- in einen Anbietermarkt. Die früher herrschende Knappheit des Faktors Arbeit war ein Vorteil für Arbeitgeber*innen. Die konnten aus Stapeln von Bewerbungen passende Mitarbeiter*innen auswählen. Heute müssen sich Chefinnen und Chefs oftmals bei potenziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bewerben. Bei Großunternehmen und Konzernen war diese Botschaft schon vor Jahren angekommen. Manch Mittelständler*in hat unterdessen weiter vor sich hin gewurschtelt und wundert sich heute, dass Arbeitsuchende eben nicht mehr für den nächst schlechtesten Job unterschreiben.

CDU-Landeswirtschaftsminister Sven Schulze sieht allerdings keine Marktmechanismen, sondern Faulheit. Faulheit der Arbeitnehmer*innen wohlgemerkt. Er definiert Arbeitslosigkeit flugs um zur „staatlich subventionierten Nichtarbeit“. Und die brauche es nicht, denn „es gibt überall Arbeit für alle“. Parteikollege Linnemann assistiert: „Ich würde eine Arbeitspflicht einführen.“ Nach sechs bis zwölf Monaten staatlicher Unterstützung sollen Arbeitslose jedwede Beschäftigung annehmen müssen. Wäre doch gelacht, wenn die unionsnahe Mittelstandslobby dem Sozialen in der Marktwirtschaft nicht ein Schnippchen schlagen könnte.

Belastete arbeitspflicht

Doof findet Linnemann, dass Arbeitspflicht in Deutschland „historisch belastet“ sei. Mancher assoziiere solch eine Produktivitäts-Zwangsbeglückung mit Arbeitsdienst, wie er in früheren Phasen der Geschichte der Deutschen nicht unüblich war. Andere seien da entspannter, referiert der promovierte Volkswirt und verweist auf die Niederlande. Dort gäbe es den Zwang, als Gegenleistung für staatliche Unterstützung zu arbeiten. Dass unsere Nachbarn im Nordwesten ein völlig anderes System der Arbeitslosenunterstützung haben, dass dort Kommunen und nicht der Staat für Unterstützung und Aktivierung zuständig sind, dass je nach örtlichen Gegebenheiten und Klientel auch die regelmäßige Teilnahme an Kaffeekränzchen als Gegenleistung für staatliche Unterstützung gilt – all das verschweigt Linnemann.

Sepp Müller variiert das Thema mit dem Vorschlag, Arbeitslosenunterstützung höchstens zwei Jahre lang zu gewähren. Wer nach dieser Frist noch nicht arbeite, müsse wohl krank sein. Kranke aber müssten von Krankenversicherung oder Rentenkasse versorgt werden. Zu Auswirkungen auf die schon jetzt klamme Finanzausstattung der entsprechenden Kassen inklusive möglicher Steigerungen der Beitragssätze auch für Unternehmer*innen verliert er kein Wort.

Erst mal dienen lernen

Vielleicht hilft ja auch eine allgemeine Dienstpflicht. Ein Jahr lang sollen junge Menschen nach der Schule einen Pflichtdienst absolvieren. Gern in der Bundeswehr. Aber auch andere Dienste seien möglich. Hauptsache junge Menschen werden erst einmal daran gewöhnt, ihr Leben nicht nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, sondern zu dienen. Die Vermutung liegt nah, dass die verweichlichte junge Generation abgehärtet werden soll. Motto: Der faulenzende Pöbel wird endlich zur Arbeit erzogen. Die Versammlung applaudiert.

Wie durch Dienstpflicht verzögerter Berufseinstieg gegen den Fachkräftemangel helfen soll, bleibt ungeklärt. Gleiches gilt für die Antwort auf die Frage, wieso Qualifikationen und Ausbildungen nicht belohnt werden sollen, wenn doch genau diese fehlen. Vielleicht geht es aber auch gar nicht um Qualifikation. Wie bei dem Hersteller mobiler Toiletten aus Coswig, der nach eigenen Worten gar keine qualifizierten Mitarbeiter*innen sucht, sondern nur angelernte Kräfte. Wenig qualifizierte Plastik-Klo-Zusammensetzer*innen haben im Zweifel auch geringere Lohnvorstellungen.

azubi-ablöse a la Bundesliga

Und dann sind da die Azubis. Auch die bleiben nach abgeschlossener Ausbildung nicht mehr automatisch bei ihrem Ausbildungsbetrieb, sondern wählen das jeweils lukrativste Angebot auf dem Markt. Von Azubi-Klau ist die Rede in den Reihen der versammelten Mittelständler*innen. Zu hohe Löhne gebe es in Öffentlichem Dienst und Großkonzernen. Die bildeten oftmals selbst nicht aus, übernähmen aber gern die bei kleinen Unternehmen qualifizierten Kräfte. Noch ein Grund, staatliche Regulierung einzufordern.

Für Fußballfan Linnemann ist klar: Eine Azubi-Ablöse muss her. Fünf Jahre sollen Azubis nach Abschluss ihrer Ausbildung im jeweiligen Betrieb bleiben, schlägt er vor. Wolle ein Unternehmen ausgelernte Azubis eines anderen vor dieser Frist übernehmen, müsse eine Ablöse gezahlt werden. Funktioniert ja auch in der Bundesliga. Dort profitieren von diesem System allerdings in erster Linie finanzstarke Clubs. Die erkaufen sich ihre Tabellenplätze geradezu. Vereine mit schmaleren Budgets, die in Nachwuchsförderung investieren, haben oft genug das Nachsehen. Was diese Quasi-Konzernförderung mit Mittelstandspolitik zu tun hat? Es bleibt ein Rätsel.

Mit Prämien in die planwirtschaft?

Noch rätselhafter wird es, wenn die Mittelstandsmannen Linnemann und Müller zu genau diesem Thema nach Bremen schauen. Dort hat der rot-grün-rote Senat eine Ausbildungsabgabe installiert. Unternehmen aller Größenordnungen zahlen in einen Ausbildungsförderungsfond ein. Wer ausbildet, erhält pro Ausbildungsplatz eine jährliche Fördersumme. Damit soll nicht zuletzt jener „Azubi-Klau“ bekämpft werden, dem Linnemann lieber mit Fußball-Ablöse-Kapitalimus beikommen möchte. Das Bremer Modell gilt den Unionsmittelständlern als Schritt in die Planwirtschaft.

Da wundert es nicht, dass Linnemann nichts von Prämien und Vergütungen für Weiterbildung und Qualifizierung hält. Entweder der Leidensdruck in der Arbeitslosigkeit reicht aus, um entsprechende Maßnahmen zu absolvieren, oder es ziehen die oben skizzierten Zwangsmechanismen. Anders ist es logisch nicht zu erklären, dass er die 2016 vom dritten Kabinett Merkel eingeführte Weiterbildungsprämie (bis zu 2.500 Euro bei Bestehen einer Abschlussprüfung) ablehnt – und damit mutmaßlich auch das von der derzeitigen Regierung etablierte monatliche Weiterbildungsgeld für Bürgergeldbezieher*innen, die eine entsprechende Ausbildung in Angriff nehmen.

zwang und pflicht – helfen nicht

Zusammenfassung: Für Sepp Müller und Carsten Linnemann sind Arbeitszwang und Pflichtdienst wichtiger als marktnahe und an Bedürfnissen der Unternehmen orientierte Maßnahmen zur Förderung von Qualifizierung und Ausbildung. Junge Menschen sollen qua staatlicher Dienstpflicht in Richtung Wohlverhalten eingenordet und zu diesem Zweck erst einmal dem Arbeitsmarkt entzogen werden. Ältere, die Zeit und Mühe in Qualifikationen für neue und bessere Chancen investieren wollen, sollen sich lieber mit Helferjobs begnügen. Konzerne nutzen mittelständische Betriebe weiter als Personallieferanten und bezahlen die Azubi-Ablöse aus der Portokasse.

Und all das ist dann Mittelstandspolitik? Mittelständler*innen, die schon heute kein ausreichend qualifiziertes Personal finden, sähen sich zwangsläufig mit einem noch weiter ausgedünnten Arbeitsmarkt konfrontiert. Fazit: Zwangsdienst und Pflicht, hilft der Wirtschaft nicht.