Kaputtsparen? Ausverkaufen? Vereinfachen!

Haushaltssperre verschärft Überlastung – Stadtrat beschließt zu viele Ausgaben

Scharfe Kritik an Haushaltssperre und Ausgabenpolitik des Stadtrates äußerten im Finanzausschuss Jacqueline Lohde und Bastian George. Mehr Eigenverantwortung und einfachere Verwaltungswege, forderte die Bürgermeisterin. Schon jetzt blieben geplante Investitionen liegen, weil die Mitarbeiter*innen der Verwaltung überlastet seien. Die Haushaltssperre verursache nun noch mehr bürokratischen Aufwand. Grünen-Stadtrat Bastian George warnte vor einem „Ausverkauf der Stadt“ und kritisierte teure Beschlussvorlagen der LINKEN.

Freie Stellen als Einsparpotenzial

Um den städtischen Haushalt zu konsolidieren, sei es erforderlich, „die Wiederbesetzung von Stellen wieder stärker als ein Instrument zur Konsolidierung durch Verschlankung von Strukturen und Verbesserung von Prozessabläufen und damit auch zur Personalreduzierung einzusetzen“, referierte Elke Wirth, Leiterin des Amtes für Stadtfinanzen in bestem Bürokratendeutsch. Übersetzt: Um Geld zu sparen, sollen derzeit in der Stadtverwaltung ausgeschriebene Stellen nicht besetzt werden. Dass der Haushalt derzeit noch relativ ausgeglichen wirke, liege daran, dass Arbeitsplätze in der Stadtverwaltung nicht besetzt sind. Entsprechend spare die Stadt Personalkosten. Nicht vorhandene Mitarbeiter*innen kosten nichts. Weil die entsprechenden Gehälter allerdings im Haushalt eingeplant sind, tatsächlich aber nicht gezahlt werden, ergibt sich buchungstechnisch eine Einsparung.

Investitionshemmnis Überlastung

Weil allein im Tiefbauamt 24 Mitarbeiter*innen fehlten, könne die Stadt schon heute geplante investive Maßnahmen nicht umsetzen, konterte Jaqueline Lohde. Als Baubeigeordnete verantwortet sie Bauprojekte, zu denen auch der Straßenbau zählt. Solche Investitionen in Sachanlagen werden im Haushalt auf der Haben-Seite, also unter den Aktiva einer Bilanz verbucht und zählen zum Vermögen. Je vermögender eine Kommune ist, desto mehr Ausgaben kann sie sich leisten. Kann eine Kommune keine Vermögenswerte schaffen, vermindert das tendenziell ihre Handlungsfähigkeit. Denn auf der Passiva-Seite verzeichnete Ausgaben beispielsweise für Personal in Jugendclubs müssen von den Aktiva ausbalanciert werden.

Zukunftsinvestition Jugendarbeit

Politisch bewertete Bastian George, Stadtrat der GRÜNEN in der „Bunten“ Fraktion, diese Feststellung: „Einsparungen bei Stellenbesetzungen bedeuten den Ausverkauf der Stadt!“ Die schon jetzt überlastete Verwaltung stehe vor der „Arbeitsunfähigkeit“. Er warnte vor Folgen für die Jugendarbeit. Angesichts von Überalterung und Einwohnerrückgang seien Ausgaben im Bereich der Jugendhilfe Investitionen in die Zukunft. In diesem Bereich dürfe nicht gekürzt werden. Hintergrund: Manche städtischen Jugendclubs bieten nur sehr begrenzte Öffnungszeiten an. Grund ist meist Personalmangel.

Zu viele teure Beschlüsse

George forderte klare Schwerpunktsetzungen in der Haushalts- und Ausgabenpolitik und kritisierte: „Der Stadtrat beschließt seit Monaten nur Ausgaben.“ Entsprechende Beschlussvorlagen lege vor allem „eine bestimmte Fraktion“ vor. Angesprochen fühlte sich Heidemarie Ehlert. Zu entsprechenden Vorlagen habe sie stets Finanzierungsvorschläge vorgelegt, ereiferte sich die Stadträtin der LINKEN und erntete aus dem Plenum die ironische Anmerkung, ihre Vorschläge beinhalteten meist Prüfaufträge an die Verwaltung. Die entsprechenden Mitarbeiter*innen müssen solche Vorschläge gegenrechnen und bewerten. Ergebnis: zusätzliche Arbeitsbelastung durch Prüfungen von Ausgaben.

Komplex denken

Auf das Bauressort sei ihre Anmerkung zum Sparen mittels Nichtbesetzung von Stellen gar nicht gemünzt gewesen, erläuterte hingegen Stadtfinanz-Chefin Würth. Man könne mit diesem Einsparpotenzial kreativ umgehen, hieß es sinngemäß von ihrer Seite. CDU-Mann Frank Rumpf befand denn auch, „wir müssen komplex denken“. Wie solcherlei Komplexität in konkretes Handeln umgesetzt werden kann, sagte er nicht.

Mehr Bürokratie wegen Sperre

Konkrete Folgen der Haushaltssperre benannte hingegen Baudezernentin Lohde. Ihre Mitarbeiter*innen müssten nun neben ihrer eigentlichen Arbeit zusätzliche Verwaltungsarbeit leisten. Für jede einzelne im Haushalt bereits vorgesehene Maßnahme müssten diese nun je eine Genehmigung beantragen. Folge: „Zusätzliche Arbeitsbelastung für jetzt schon überlastetes Personal!“ Übersetzt: Wegen letztlich unproduktiver Verwaltungsarbeit und Überregulierung bleiben noch mehr Investitionen liegen.

Vereinfachen statt regulieren

Lohdes Schlussfolgerung: Sparen durch Vereinfachung. „Die wenigen vorhandenen Leute müssen mehr Handlungsspielraum haben!“ Das gelte sowohl für die Arbeit des Tiefbauamtes als auch für die dringend notwendige Einstellungen auf unbesetzte Stellen: „Die Ausschreibungs- und Bewerbungsverfahren dauern ewig! In dieser Zeit rennen uns gut qualifizierte Bewerber davon“, lautete ihre trockene Feststellung. „Wir schieben hier Dinge hin und her und kriegen dabei eine Haushaltssperre.“ Den städtischen Angestellten erkläre dieses Hin und Her indessen niemand. Offenbar spielte sie damit auf die mangelnde Kommunikation der Sperre seitens des Oberbürgermeisters an.

Warnung vor WhatsApp

In die Kommunikations-Kerbe hieb auch Bastian George. „Unseriös“ sei die Bekanntgabe der Sperre per WhatsApp gewesen. OB Robert Reck hatte sich im Stadtrat damit gerechtfertigt, dass er einzelne Stadträte und Verwaltungsmitarbeiter mittels der Handy-App informiert habe. WhatsApp steht nicht zuletzt wegen mangelnden Datenschutzes in der Kritik. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit hatte schon im April 2020 vor der Verwendung der App in Bundesbehörden gewarnt.

Vorerst geheim: Klinikum

Gar nicht öffentlich kommunizieren wollte hingegen Elke Wirth zur Frage des Ausgleichs eines drohenden Defizits des städtischen Klinikums aus dem Stadthaushalt. Zwar insistierte der Grüne George darauf, zumindest Prozentzahlen zu nennen, „weil die Öffentlichkeit ein Recht auf diese Information hat“. Wirth jedoch bestand auf Beratung der Angelegenheit im nichtöffentlichen Teil der Sitzung und vertröstete auf die Stadtratssitzung im November. Dann würden Zahlen genannt. Die werden wohl nicht sonderlich ersprießlich ausfallen. Das jedenfalls lässt ihre Anregung vermuten, die Dessau-Roßlauer Landtagsabgeordneten mögen die Landesregierung dahingehend „sensibilisieren“, dass das Land einen Deckungsbeitrag zum städtischen Klinikum leisten solle. Von der SPD, die mit Holger Hövelmann einen Landtagsabgeordneten stellt, war niemand während der Sitzung anwesend.

Heftige Rüffel für Robert Reck: Stadtrat zu Regenbogenschule und Haushaltssperre

Kernproblem: Kommunikation

Freie und SPD-Fraktion in rhetorischer Hochform, „Bunte“-Stadträt*innen auf der Zinne, die Linke laviert und die CDU glänzt vor allem mit Zurückhaltung. Turbulent verlief die Stadtratssitzung am Mittwoch, 21. September 2023. Hauptthemen: Regenbogenschule und Haushaltssperre. Kernproblem: Die undurchsichtige Kommunikation der Verwaltungsspitze.

Recks Schuljungen-Attitüde

Robert Recks Attitüde erinnerte an die eines trotzigen Schuljungen. Allein seine „Ansicht“, Teile eines Beschlusses des Stadtrates seien rechtswidrig, reiche aus für einen Widerspruch, ließ der Oberbürgermeister wissen. Die vom OB selbst initiierte Machbarkeitsstudie zum Standort der Regenbogenschule tauge nicht als Entscheidungsgrundlage zu einem Standort. In der Luft zerrissen hatte zuvor Hans-Peter Dreibrodt den Widerspruch des OB gegen den vom Rat beschlossenen Standort Bernburger Straße. „Schwer unter der Gürtellinie“ sei Recks Versuch, die Lösung des seit Jahren vor sich hin dämmernden Problems weiter zu verzögern.

Dreibrodt: „Dubiose Varianten“

Sie zaubern ständig weitere dubiose Varianten aus dem Hut“, wetterte der Vorsitzende der Freien Fraktion. „Unerhört und abwegig“ sei zuletzt die „dubiose Variante“ Gropius-Gymnasium gewesen, nahm Dreibrodt rhetorisch Fahrt auf und belehrte Reck über die demokratische Rangordnung: Nicht der Oberbürgermeister sei dem Stadtrat vorgesetzt, sondern „wir sind Ihr Dienstherr“. Reck möge seinen Widerspruch „in der Schublade verschwinden lassen“. Dieser zeige nur, wie wenig Ahnung der Hauptverwaltungsbeamte von Anforderungen an eine Behindertenschule habe. Recks Gesichtsausdruck variierte zwischen angesäuert und belämmert.

Fricke: „Behinderte Kinder gehen nicht shoppen“

Genüsslich zerlegte nach diesem Auftakt SPD-Fraktionsvorsitzender Michael Fricke die rechtliche Begründung des Oberbürgermeisters für seinen Widerspruch gegen den Beschluss zur Bernburger Straße. Nicht ohne zuvor Recks politische Begründung für den bisherigen Standort der Schule in der Nordstadt einzuordnen. Recks Ansinnen, mit dem Erhalt des bisherigen Schulstandorts die Innenstadt zu beleben, charakterisierte Fricke als Farce: „Behinderte Kinder gehen nicht in der Innenstadt shoppen.

Die für den Fall des Erhaltes des Schulstandortes in der Nordstadt notwendige Interimsunterbringung der Schulräume für zwei bis drei Jahre in improvisierten Räumen betrachte Reck wohl nur als eine Phase, mutmaßte der SPD-Mann. „Für Kinder ist das aber eine ziemlich lange Zeit.“ Reck hatte bei seinen Vorschlägen eine solche Zwischenunterbringung ebenso als quasi technisches Problem dargestellt wie die in seinen Augen zu großzügig bemessenen Klassenräume der bisherigen Planungen.

Laut Fricke haben erneute Prüfungen eines Architektenbüros die Notwendigkeit der bislang vorgesehenen Raumgrößen bestätigt. Wie DeRoPolis berichtete, fußten die geplanten Raumgrößen auf Vorgaben der Schulleitung und waren laut vorliegender Machbarkeitsstudie vom Landesschulamt abgesegnet worden. Der OB möge dies und den „gut begründeten Beschluss des Stadtrates“ akzeptieren, anstatt nicht haltbare rechtliche Vorbehalte vorzuschieben. Dann legte der Jurist – Fricke ist Rechtsanwalt – los:

Ermessensspielraum der Stadt

Der von Reck für seinen Widerspruch bemühte Paragraf 11 Absatz 2 der Kommunalen Haushaltsverordnung sei auf Standortentscheidungen für Bauvorhaben überhaupt nicht anwendbar, referierte der SPD-Fraktionsvorsitzende. Der Paragraf schreibt für „Investitionen und Instandsetzungen“ vor, dass ein „Wirtschaftlichkeitsvergleich“ stattfinden muss. Gleiches gelte für Paragraf 98 des Kommunalverfassungsgesetzes; diese Norm definiert „Allgemeine Haushaltsgrundsätze“ gemäß denen „Sparsamkeit“ geboten ist. Beide Regelungen beziehen sich laut Fricke auf Wirtschaftlichkeitsaspekte und seien Standortentscheidungen nachgeordnet. Sprich: Erst nach der Festlegung des Standortes erfolge die Bewertung der Wirtschaftlichkeit des Bauvorhabens.

Grundsätzlich habe die Kommune also „weiten Ermessensspielraum“, bevor die Kommunalaufsicht überhaupt zum Zuge komme, argumentierte der Jurist von der SPD. Diverse Urteile von Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten bestätigten diese Sicht. Die „feststehende Rechtsprechung“ eröffne den Kommunen weiten politischen Spielraum. Diesen wolle der Stadtrat nicht zuletzt dafür nutzen, mit dem Standort Bernburger Straße die Entwicklung des Quartiers Leipziger Straße voran zu bringen.

Bernburger kostenneutral

Da zudem das Baudezernat die Option Bernburger Straße als günstigste Variante ausgewiesen habe und positive Effekte hinsichtlich der Quartierentwicklung berücksichtigt werden müssten, bewerte die SPD die Bernburger Straße als Option, das Quartier weitestgehend kostenneutral zu entwickeln. Beiseite wischte Fricke den Verweis auf die über die Lebenszeit eines Objekts gerechneten Folgekosten; eine solche Betrachtung hätte fast alle Bauvorhaben der Vergangenheit blockiert. Fazit der SPD: Der Beschluss Bernburger Straße sei „rechtlich möglich und politisch geboten“.

Für Ralf Schönemann von der LINKEN und CDU-Mann Eiko Adamek blieben nach diesen Vorträgen nur noch Statistenrollen: Ersterer sah Kompromissmöglichkeiten verspielt, Adamek verwies auf die seit Jahren bestehende Notwendigkeit einer Lösung. Beide sprachen sich im Namen ihrer Fraktionen für die Bernburger Straße aus.

„Überlegung“ zu Gropius-Gymnasium

So kam die Reihe der Redner an OB Robert Reck. Seinem in einen ziemlich tiefen politischen Brunnen gefallenen Widerspruch wollte er wohl einen Rettungsring hinterherwerfen – allein: derselbe entpuppte sich als reichlich luftleer. Sein von Dreibrodt kritisierter Vorschlag Gropius-Gymnasium sei gar kein solcher gewesen, haspelte Reck los. Es habe sich lediglich um eine „Überlegung“ gehandelt. Dieselbe als Vorschlag zu werten, sei „unredlich“, fühlte er sich missverstanden.

Der Standort Bernburger Straße sei nach seiner Berechnung der teuerste, führte Reck anhand zahlreicher und nicht immer leicht durchschaubarer Zahlenreihen aus. Quintessenz: Schulbauten anderer Kommunen seien kostengünstiger. Dass die Kosten für die von Reck zum Vergleich angeführte Panke Schule in Berlin bei kleinerem Flächenbedarf letztlich höher waren, als für einen Neubau an der Bernburger Straße veranschlagt (DeRoPolis berichtete), war ihm wohl ebenso entgangen wie die Tatsache, dass weder dort noch an der ebenfalls angeführten Albert-Schweitzer-Schule in Schwerin Schüler*innen in speziellen Betten liegend unterrichtet werden (die Schweriner Schule errichtet an der dortigen Adresse „Müßer Berg“ einen Neubau).

Irrelevante Studie?

Unbeholfen wirkten Recks Bemühungen, die vorliegende Machbarkeitsstudie als irrelevant für die Entscheidungsfindung darzustellen. Die Studie habe die Bernburger Straße betrachtet, obwohl dieser Standort überhaupt nie zur Diskussion gestanden habe. Schon im April habe er, Reck, verlauten lassen, die Studie sei als Beschlussgrundlage nicht geeignet. Die enthaltenen Kostenbetrachtungen seien unvollständig. Er habe schon damals um mehr Bedenkzeit gebeten.

Grabner: „In Aktion kommen!“

Was Reck mit seinen Ausführungen eigentlich erreichen wollte, blieb im Ungefähren. Irgendwie schien sich der Hauptverwaltungsbeamte von dem unter seiner Ägide beauftragten und erarbeiteten Papier distanzieren zu wollen. Womit er Isolde Grabner auf die sprichwörtliche Zinne jagte. „Sie zerrupfen ihre eigene Machbarkeitsstudie“, schimpfte die Stadträtin, die für Neues Forum-Bürgerliste der „Bunten“ Fraktion angehört. Reck müsse die Studie doch zig Mal auf dem Schreibtisch gehabt haben. Anstatt nun so zu tun, als habe er von nichts gewusst, möge er „dem Beschluss des Stadtrates Folge leisten und in Aktion kommen“.

Recks nunmehr endgültig weinerlich anmutende Erwiderung: Grabner könne gar nicht wissen, wann und wie oft er die Studie auf dem Schreibtisch gehabt habe. Dort lägen ja nun noch viel mehr Vorgänge. Schließlich sei er Oberbürgermeister einer 80.000- Einwohner-Stadt und habe als solcher noch andere Dinge zu tun.

Schönemann: „Lieber selber machen“

Linken-Fraktionschef Ralf Schönemann gab zwischendurch eine Verschwörungstheorie zum Besten. Auswärtige Architekturbüros, von denen Leistungen wie Machbarkeitsstudien eingekauft werden, seien ja oft mit ortsfremden Bauunternehmen verbandelt. Man müsse sich also nicht wundern, wenn der Auftrag zum Bau der neuen Schule nicht in Dessau-Roßlau bleibe.

Die Verwaltung solle entsprechende Gutachten lieber selbst erstellen und sich dafür mehr Zeit nehmen, forderte Schönemann. Diese Möglichkeit sei nun nicht mehr gegeben lavierte er herum, um schließlich das Ja der Linken zur Bernburger Straße zu verkünden. Die chronische Unterbesetzung des Bauressorts mit Ingenieuren dürfte dem Linken ebenso geläufig sein wie die bislang in dieser Angelegenheit ungenutzt verstrichenen Jahre. Schönemanns Recycling-Unternehmen verdient nicht zuletzt mit Bauschuttentsorgung.

Der Stadtrat hat seinen Beschluss, die neue Regenbogenschule an der Bernburger Straße anzusiedeln, mit großer Mehrheit erneuert.

Haushaltssperre laut Empfehlung

Vor dieser denkwürdigen Auseinandersetzung für erhitzte Gemüter gesorgt hatte das Aufreger-Thema Haushaltssperre. Gleich zu Beginn der Sitzung hatte Hauptverwaltungsbeamter Reck seine Gründe für die Verhängung der Sperre angeführt. Zusammengefasst: Er ist der entsprechenden Empfehlung der Stadtkämmerei gefolgt. Die habe vor einem Defizit von 25,4 Millionen Euro im laufenden Jahr und 9,4 Millionen Euro Unterdeckung bis 2026 gewarnt. Die späte Bekanntgabe respektive Information des Stadtrates und seiner Ausschüsse sei aufgrund eines Termins in der Staatskanzlei in Magdeburg zustande gekommen. Diesen Termin habe Reck prioritär wahrnehmen müssen. Informell seien aber Mitglieder des Stadtrates informiert gewesen. Dieses Vorgehen sei üblich.

Weber: „Unanständig!“

Henrik Weber, für Neues Forum-Bürgerliste Stadtrat der „Bunten“ Fraktion und ähnlich dem Bundeskanzler derzeit auf einem Auge gehandicapt aber deutlich temperamentvoller unterwegs, schäumte: „Ohne Not und Kommunikation“ habe Reck die Sperre „über Beschlüsse des Stadtrates hinweg“ verhängt. „Unanständig“ lautete sein Urteil. Der Vollzug des Haushaltes sei weit von 25 Millionen Defizit entfernt.

Fricke: „Unzulässig.“

Rechtlich unzulässig.“ In verbindlicherem Tonfall als Weber aber mit gleichermaßen kerniger Aussage ordnete der rechtsgelehrte SPD-Mann Fricke die Haushaltssperre ein und zog das Gesetz zurate. Demnach sei die Sperre unzulässig weil der Haushalt derzeit wie geplant und beschlossen vollzogen werde. Nur ein aktuell nicht ausgeglichener Haushalt hätte eine Sperre gerechtfertigt. Der derzeitige Haushalt bewege sich aber „im hellgrünen Bereich“.

Eine unverhohlene Drohung sandte den Chef der „Bunten“ Fraktion, Guido Fackiner, an die Adresse Recks: Dessen Informationen sowie seine Begründung der Sperre enthielten „ein buntes Gemisch aus Fakten, die teils nicht relevant sind“. Fackiner forderte die zeitnahe Vorlage eines klaren Zahlenwerks. Erfolge das nicht, wolle die Fraktion die Initiative ergreifen, die Haushaltssperre einzuschränken.

Überforderter HVB

Was bleibt ist der Eindruck eines hinsichtlich politischer Transparenz und Kommunikation restlos überforderten Hauptverwaltungsbeamten. Dessen Wurschtelei geht offenbar dem Stadtrat und anscheinend auch Menschen in höheren Positionen der städtischen Verwaltung gehörig auf die Nerven.

Altlasten und Rest-Posten-Recycling

CDU: Notdosen, LINKE: Story, SPD: Besinnung

Eine Fraktion fehlt im September-Amtsblatt. Genügend Gelegenheit also für leichte Lästereien. Es soll ja nicht langweilig bleiben in der Medienlandschaft unserer Stadt. Wer sich die Originalbeiträge auf den Fraktionsseiten zu Gemüte führen möchte, wird online mit den Suchbegriffen Amtsblatt und Dessau-Roßlau fündig.

Billig: Radler-Schutz und Notfalldosen

Nur fordern, was auch machbar ist. An dieses Motto will sich die CDU-Fraktion in der anstehenden Haushaltsdebatte halten, verkündet ihr Vorsitzender Heiko Adamek im September-Amtsblatt der Stadt Dessau-Roßlau. Die Christdemokraten knüpfen an ihr traditionelles Credo wirtschaftlicher und haushalterischer Disziplin an – und verknüpfen dasselbe mit praktischer Kreativität: Wenn der Ausbau des Radweges in Alt-Kochstedt kurzfristig nicht machbar (wahrscheinlich weil zu teuer) ist, kann ein Schutzstreifen für Radler*innen zumindest für etwas mehr Sicherheit sorgen. Die Fraktion wolle dieser Option „nachgehen“. Man darf gespannt sein, wie sie die Idee mit praktischer Initiative unterfüttert.

Weniger diszipliniert mutet der aufgewärmte Vorschlag an, die Stadtverwaltung möge kostenlose Notfalldosen ausgeben. Solche Dosen dienen der Aufbewahrung wichtiger Medikamente, damit Rettungskräfte diese im Falle eines Falles schnell finden. Die länglich geratene Gebrauchsanweisung (im Kühlschrank lagern) dazu erinnert an Artikel in einer Apothekenzeitschrift. Was das mit genuinen Aufgaben einer personell sowieso schon dünn aufgestellten Stadtverwaltung zu tun hat, bleibt das Geheimnis der Fraktion.

Sicherlich, die Döschen kosten nicht viel und sind ein nettes und von Apotheken oft als Werbegeschenk verteiltes Give-away. Kosten entstehen allerdings eher nicht durch die Beschaffung, sondern die entsprechende Administration und den damit verbundenen Arbeitsaufwand in der Verwaltung. Getreu dem Motto: Was ist die Steigerung von schlecht gemacht? Antwort: Gut gemeint.

Bunte knöpfen sich Blaune vor

Auseinander nimmt die „Bunte Fraktion“ (Grüne, FDP, Neues Forum-Bürgerliste) in ihrem Beitrag einen vermeintlichen Skandal: Den angeblichen Freibad-Sozial-Betrug. Entsprechende Gerüchte hatte die Blaune Fraktion (Partei mit blauen Logo und bräunlichen politischen Inhalten) gestreut und mit Fake-Beweisen garniert.

Die ebenso dilettantisch konstruierte wie dämlich initiierte Bade-Schmutzkampagne der Blaunen war schon in der örtlichen Zeitung als eben solche entlarvt worden (und das durchaus trocken). Aber gut, die Bunten zeigen zumindest den Willen, Propaganda und Desinformation entgegenzutreten. Ein zeitnah platzierter kerniger Kommentar per Leserbrief oder Pressemitteilung hätte wahrscheinlich mehr bewirkt, als das Ganze rückblickend aufzuwärmen. Aber: immerhin.

Kulturpass, Jugend und Kommunales

Was allerdings der folgende Hinweis auf den vom Bund initiierten und vergebenen Kulturpass genau mit Dessau-Roßlau zu tun hat, bleibt weitgehend neblig. Bereits im August unkte die lokale Presse, die hiesigen Angebote seien aufs Bauhaus und das Gartenreich beschränkt. Je öfter – und das ist die eigentliche Krux bei der Angelegenheit – sich die „normalen“ Fraktionen auf ihren Amtsblattseiten über Dinge auslassen, die keinen unmittelbaren Zusammenhang zur Stadt respektive zur Arbeit der jeweiligen Fraktion aufweisen, desto weiter steht das Tor offen für Falschmeldungen und Propaganda von einer Seite, die erst gar nicht vorgibt, in irgendeiner Weise konstruktiv mitzuwirken.

LINKE: Gut präsentierte Story

Geradezu professionelles Storytelling betreibt die LINKE und berichtet erst einmal von der Einschulung von „37 Kühnauer ABC Schützen“, um dann inhaltlich auf den Ortsentwicklungsplan des Jahres 2013 umzuschwenken. Dieser Plan war maßgeblich von Vertreterinnen und Vertretern der Partei im Ortschafts- und Stadtrat geprägt und erarbeitet worden. Damals stand die örtliche Grundschule vor dem Aus. Heute ist ihr Bestand jedenfalls vorläufig gesichert.

Als „Zwischenbilanz“ bezeichnet die LINKE ihren skizzenhaften Abgleich von Kommunalwahlprogramm 2019 und entsprechenden Beschlussvorlagen. Ermäßigte Parkkarten für ambulante Pflegedienste seien vom „inneren Wirkungskreis des Oberbürgermeisters abgelehnt“ worden. Eine nicht näher bezeichnete Vorlage zur „Verpachtung öffentlicher landwirtschaftlicher Nutzflächen“ wolle die Fraktion neu einreichen.

Konkrete Kommunalpolitik

Angesichts von der Stadt respektive dem Stadtrat an- und übernommener Beschlussvorlagen zur dauerhaften Bestellung eines Klimamanagers und zum Verzicht auf chemisch-synthetische Pestizide preist sich die LINKE selbst als besonders konstruktiv und beweint die ihr nicht gewidmete Aufmerksamkeit der lokalen Presse.

Nun gibt’s ja neben der irgendwo zwischen Lokalnachrichten, dem berühmten Kessel Buntes und Boulevard zu verortenden Zeitungsredaktion auch noch die kontinuierlichen steigenden Zugriffszahlen auf dieses Medium – und der Autor dieser Zeilen kann nicht verhehlen, dass die Fraktion der LINKEN tatsächlich kontinuierlich Rechenschaft über ihre politische Arbeit ab- und damit die sprichwörtliche Latte für andere Fraktionen hochlegt. Dafür gebührt der Fraktion Respekt.

Der Entsorger und die Altlasten

Redebeiträge vor allem sehr in der Vergangenheit verhafteter SED-Veteranen, die sich während des jüngsten Parteitages der LINKEN mit vierzigjähriger und längerer „Parteizugehörigkeit“ brüsteten, machen es Medienmenschen allerdings schwer, der Partei echtes politisches Gewicht beizumessen. Dass sich die Stadtratsfraktion von solcherlei DDR-Nostalgie abhebt, ist wahrscheinlich ihrem Vorsitzenden zuzuschreiben. Der kennt sich als Unternehmer in der Entsorgungs- und Recyclingbranche sicherlich mit dem fachgerechten Umgang mit Altlasten aus…

SPD: „Besinnungsaufsatz“

So leicht es einem die LINKE zuweilen macht, über sie zu lästern, so schwierig wird’s bei der SPD. Für die hat Ingolf Eichelberg eine komplette Amtsblattseite mit Lobhudelei über die Stadtmarketinggesellschaft gefüllt. Bei der hat er den Posten als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender inne. Eine Stimme aus der altehrwürdigen Partei selbst: Es handele sich um einen „Besinnungsaufsatz“. Prosa in Rosa sozusagen (so richtig rot kommt das Grußwort aus dem Aufsichtsrat nicht rüber). Man könnte eine Art politisches Recycling verbliebener Rest-Posten vermuten.

Pro Gewaltfreiheit – contra Behäbigkeit

Pro Dessau-Roßlau hat sich ausweislich des Berichts ihres Stadtrates Thomas Picek mit Beigeordneten und Dezernenten unterhalten, hatte aber anscheinend noch keine Zeit, daraus echte Forderungen abzuleiten. Anstatt von solchen zu schreiben, lässt die Fraktion wissen, was sie bewegt. Das mutet nett und gewaltfrei kommuniziert an, gibt aber keine Hinweise auf politische Vorhaben.

Dieselben werden aber wahrscheinlich überbewertet, denn, so lässt Marco Egelkraut wissen, in der Stadt ist „ganz schön was los“. Mit dem Verweis auf Konzerte und Feste kommt er zu dem Schluss, die Stadt sei „doch gar nicht so behäbig, wie mancher denkt“. Ach, wenn das doch auch für die Kommunalpolitik gälte…

Kein Blödsinn von den Blaunen

Wer nun Anmerkungen zur Blaunen Fraktion vermisst (das die Fraktion der Partei mit dem Blau im Logo und der bräunlich gefärbten Politik), die oder der sei vertröstet: Der Fraktion fiel anscheinend nichts ein. Oder sie wollte dem Autor dieser Zeilen nicht schon wieder eine Vorlage liefern…

Das Nazi-Flugblatt und der schweigende Oberbürgermeister

Robert Recks kommunikative Fehlleistung zu schutzsuchenden Jugendlichen in Roßlau

Es begann mit einem Neonazi-Flugblatt zu einer Asyl-WG und endet im Kommunikationsdesaster. Ohne Not redet die Beigeordnete für Soziales eine geplante Wohngemeinschaft für unbegleitete Jugendliche ins politische Desaster, die örtliche Zeitung ergeht sich in Sensationsgier und der Oberbürgermeister schweigt. Eine Woche des kommunikativen Chaos der Stadtverwaltung.

16. August 2023: Vereinzelt tauchen in Roßlau Flugblätter einer rechtsextremen Kleinstpartei auf. „Asylflut stoppen! Auch in unserer Region!“ heißt es. Urheber: Eine rechtsextreme Kleinstpartei. Laut Bundeszentrale für politische Bildung hat sie „ein stark neonazistisches Profil“. Auf den Flugblättern ist die Rede von einem „Asylheim“ für „sogenannte ‚minderjährige‘ Asylanten“. Es soll angeblich in Roßlau entstehen.

„Asylantenheim“ und Ahnungslosigkeit

22. August 2023: Sitzung des Ausschusses für Bürgeranliegen, öffentliche Sicherheit und Umwelt des Stadtrates Dessau-Roßlau. Ob in Roßlau ein „Asylantenheim“ geplant sei, will der Vertreter der Fraktion der Blaunen Partei (Partei mit blauem Logo und bräunlicher Ideologie) wissen. Der Beigeordnete für Bürgeranliegen, Sicherheit und Umweltschutz „weiß nicht, woher das Gerücht kommt“. Es gebe keine entsprechende Planung. Die Stadt verfolge das Konzept der dezentralen Unterbringung. Insofern könne von Heimen für Asylsuchende sowieso keine Rede sein.

26. August 2023: Die „Gerüchte“ zu einem angeblichen Heim für Schutzsuchende „sorgen für Unruhe“ titelt die lokale Presse. Oberbürgermeister Robert Reck weiß laut Bericht auch nichts. Er kenne „keinen Plan von einem neuen Heimstandort“. Ein solcher würde in den zuständigen Ausschüssen des Stadtrates vorgestellt. „Eine Vorlage“ entsprechenden Inhalts sei ihm nicht bekannt, sagt der OB laut Bericht, und betont, dass Vorlagen vor Beratung in den Dienstbesprechungen des OBs thematisiert würden. Allerdings habe man wegen der Flugblätter den Staatsschutz eingeschaltet.

Eter Hachmann, Beigeordnete für Soziales, belehrt lieber, als dass sie Auskunft erteilt: Laut Zeitung „riet [sie] (…) von einer Berichterstattung ab“ und vertröstete auf die kommende Woche. Dann habe sie „Zahlen und Fakten“, schreibt die Zeitung.

Nur ein Immobilienkauf

30. August 2023: Im Hauptausschuss greift der Führer der Blaunen Fraktion, Andreas Mrosek, das Thema erneut auf, fragt gleich zu Beginn nach dem angeblich geplanten Heim. Oberbürgermeister Robert Reck wiegelt ab. Von einem Heim wisse er nichts. Das infrage stehende Objekt in Roßlau sei von einem Freien Träger der Jugendhilfe gekauft worden, sagt die Bürgermeisterin und Beigeordnete für Bauen und Stadtgrün. In die Planung zur Nutzung des Objekts sei die Stadt derzeit nicht eingebunden. Anscheinend ist das Thema damit erledigt. Weit gefehlt…

Freie Träger: Privilegiert oder gewerblich

Was verbirgt sich hinter der Bezeichnung Freier Träger? Die Antwort gewinnt weiter unten Bedeutung. Kurz skizziert: Auf der öffentlichen, sprich staatlichen, Seite stehen die „Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe“. Das sind die Landesjugendämter und die örtlichen Jugendämter. Die Landesebene beaufsichtigt und koordiniert.

Zuständig für die Betreuung von Jugendlichen vor Ort sind die kommunalen Jugendämter. Sie erbringen entsprechende Leistungen in der Regel nicht selbst, sondern beauftragen und beaufsichtigen Freie Träger. Diese organisieren und betreiben zum Beispiel Wohngruppen für Jugendliche. Entsprechende Projekte müssen Freie Träger beim zuständigen Jugendamt beantragen und dabei Konzepte zu Betreuung und Organisation vorlegen.

Betreuung mit Gewinn

Freie Träger können gemeinnützig sein, dazu zählen kirchliche Organisationen wie Caritas und Diakonisches Werk, aber auch Hilfsorganisationen wie die Arbeiterwohlfahrt und das das Rote Kreuz. Die Gemeinnützigkeit dieser Träger ergibt sich aus der jeweiligen Rechtsform. Meist sind es gemeinnützige eingetragene Vereine (e.V.) oder gemeinnützige Gesellschaften mit beschränkter Haftung (gGmbH). Weil diese gemeinnützigen Träger Sitz und Stimme in den Jugendhilfeausschüssen der Jugendämter haben, gelten sie als privilegierte Träger.

Privat-gewerbliche Träger hingegen agieren mit Gewinnerzielungsabsicht; mit anderen Worten: Bei ihnen handelt es sich um Unternehmen, die Geld verdienen möchten; auch Betriebskindergärten gehören zu diesem Kreis. Diese privaten Träger müssen gegenüber den Jugendämtern Rechenschaft ablegen und Auskunft erteilen, sie sind nicht an Entscheidungsfindungen beteiligt, also nicht privilegiert. Ebenso wie gemeinnützige Freie Träger müssen gewerbliche Freie Träger qualifiziertes Personal und Konzepte vorweisen.

Vom Freibad zur Flüchtlingswohnung

Zurück zum Hauptausschuss: Mrosek wärmt den von seiner Partei während der Sommerpause inszenierten Pseudoskandal um angeblichen freien Eintritt in Freibäder für Asylsuchende auf. Das ist zwar längst widerlegt, aber darum geht es dem Blaunen-Führer offenbar auch gar nicht. Er nutzt das Thema, um wieder auf das angebliche „Asylheim“ zu kommen. Aus seiner Sicht „politischer Zündstoff vor Ort“. Wenn es um die Unterbringung von Asylsuchenden gehe, müssten die Einwohner quasi ein Mitspracherecht haben.

Geduldig erläutert Bürgermeisterin Lohde, Der Nutzungsantrag werde gemäß Bauordnungsrecht abgearbeitet. Die Nutzung eines Objekts als Wohnraum sei eine rein verwaltungsrechtliche Angelegenheit. Wohnen sei keine politische Angelegenheit, „egal wer wohnt“. Der Leiter des Schulverwaltungsamts, Stefan Kuras, sagt, ein Antrag auf Betreuung in dem Objekt von Kindern und Jugendlichen müsse beim Jugendamt gestellt werden, liege aber nicht vor. Die Zulassung als Freier Träger erteile das Landesjugendamt.

Bunte, SPD und Linke gegen Blaune

Silvia Koschig, für die Wählergemeinschaft Neues Forum-Bürgerliste Mitglied der Bunten Fraktion weiß anscheinend mehr. Sie berichtet, in dem umgebauten Objekt sollten Kinder unabhängig von ihrer Herkunft betreut werden. Es solle eine Hilfseinrichtung für gefährdete Kinder und Jugendliche werden.

Blaunen-Mann Mrosek giftet, nichtsdestoweniger würden Ausländer die „Straßen unsicher machen“. Einer offen neonazistischen Kleinstpartei und ihren Flugblättern will er wohl nicht das Feld überlassen. SPD-Fraktions-Chef Michael Fricke platzt der Kragen, schimpft: „Sie versuchen, mit dummem Gerede etwas am Kochen zu halten.“ Mrosek wolle einen Verwaltungsvorgang „politisch aufladen“. Ralf Schönemann, Vorsitzender der Linken-Fraktion, pflichtet ihm bei. Es gehe um Hilfe für gefährdete Kinder. Ende der Debatte.

Schlagzeile „Flüchtlings-WG“

1. September 2023: „Flüchtlings-WG in Roßlau“ macht die regionale Zeitung ihren Lokalteil auf und bezeichnet die Betreuung minderjähriger Asylbewerber als „Geschäft“, mit dem sich „viel Geld verdienen“ lasse. Grundlage ist offenbar ein Gespräch mit Eter Hachmann, der Beigeordneten für Soziales. Sie bewertet den Vorgang laut Bericht skeptisch. Mit sensationsheischenden Schlagzeilen kann man auch viel Geld verdienen.

An der Eignung des Objekts seien ebenso Zweifel angebracht wie am Ort an sich. Denn in Roßlau seien schon viele Unbegleitete Minderjährige Ausländer (UMA) untergebracht. Bislang zehn Personen in drei Wohngruppen. Für ganz Dessau-Roßlau zählt das Jugendamt 29 Personen. Verhindern könne die Stadt das Vorhaben laut Hachmann nicht und werde die Unterbringung auch gegen Widerstand der Bevölkerung durchsetzen, formuliert die Zeitung. Für die Sicherheit der Bevölkerung werde die Stadt aber sorgen.

Schweigen und Stolpern

Es bleibt gelindes Kopfschütteln. Wenn nicht mehr. Denn angesichts der skizzierten Fehlleistung in Sachen öffentlicher Kommunikation schüttelt es eher den ganzen Körper. Anstatt in der sich ankündigenden öffentliche Debatte offensiv und offen klare Akzente zu setzen, rennt die Stadtverwaltung den Ereignissen hinterher und verstolpert sich dabei aufs Ungeschickteste. Wobei: Was für Ereignisse? Es hat sich noch gar nichts ereignet.

Ein völkisch-neonazistisches Grüppchen hat ein hetzerisches Pamphlet verteilt. Etablierte örtliche Vertreter ähnlichen Gedankenguts wollen sich das Thema nicht wegnehmen lassen und blasen es mit einigen ideologisch unterfütterten Fragen zur Stadtaffäre auf. Die örtliche Presse wittert eine Chance, mit reißerischer Schlagzeile Auflage zu schinden. Eine Beigeordnete geriert sich, die Verwaltung und damit die Stadt als Opfer. Und der Oberbürgermeister schweigt.

Kommunikation ist Führung

Es ist kaum anzunehmen, dass das Vorhaben, einige Jugendliche in einer betreuten Wohngruppe in Roßlau unterzubringen, der Stadt erst seit Erscheinen des ominösen Flugblattes bekannt war. Sehr wohl ist aber angesichts der bisherigen Entwicklung davon auszugehen, dass es keine Vorüberlegungen – geschweige denn ein Konzept – dazu gegeben hat und gibt, wie die Stadtverwaltung das Vorhaben kommunizieren will.

In der demokratischen Debatte ist Führung im besten Sinne gleichzusetzen mit Kommunikation. Kommunikation erfordert ein Konzept. Ein solches Konzept beinhaltet klare Orientierungshilfe zu Kernbotschaften. Fachleute sprechen vom Agenda-Setting. Eine mögliche Agenda blinzelte zu Beginn sogar schüchtern durch den Vorhang des orientierungslosen Schweigens hindurch: Dezentrale Unterbringung.

Keine Heime in Dessau-Roßlau

In Dessau-Roßlau gibt es keine „Heime“, in denen Dutzende Schutzsuchende menschenunwürdig zusammengepfercht vegetieren. Dezentrale Unterbringung in kleinen Wohneinheiten gilt als Schlüssel zu gelingender Integration, weil sie den Menschen Eigenständigkeit, Privatsphäre und Würde bietet. Der für die neue Wohnung in Roßlau vorgesehene Träger hat offenbar Erfahrung. Die gesetzlichen Grundlagen sind klar und eindeutig.

All das hätte von Vornherein klar und deutlich kommuniziert werden können. Nicht von nachgeordneten Funktionsträgern in der Verwaltung, sondern von der Spitze derselben. Vom Hauptverwaltungsbeamten. Vom Oberbürgermeister. Der macht sich – ganz Staatsmann – lieber Gedanken um den Koalitionsvertrag der Regierungsparteien im Landtag und darum, dass dieser Vertrag für Dessau-Roßlaus Kultur (Stichwort: Übernahme der Gemäldesammlung und Zuschüsse fürs Anhaltische Theater – das Thema kommt in einem anderen Beitrag dran) irgendwie ungünstig sei.

Kommunikative Fehlleistung

Spätestens seit der Einbindung des Staatsschutzes angesichts der Neonazi-Propaganda hätte Robert Reck als oberster Vertreter nicht nur der Stadtverwaltung, sondern gleichsam als Repräsentant des demokratischen Souveräns die Führung übernehmen müssen. Wenn ihm schon augenscheinlich der politische Instinkt fehlt zu erkennen, wo sich eine gelinde Krise zusammenbraut, hätte er das Mittel der Wahl in der demokratischen politischen Auseinandersetzung ergreifen müssen, um sich vor Demokratie und Gesetz zu stellen: das klare und unmissverständliche Wort.

Doch Reck schweigt. Mehr und schlimmer noch: Er lässt Vertreter*innen der Verwaltung ohne Deckung ins kommunikative Desaster stolpern. Die Schlagzeile gewordene kommunikative Fehlleistung der Beigeordneten für Soziales ist letztlich fehlender Führungsverantwortung des Oberbürgermeisters geschuldet.

Konzentration?

Angesichts von sage und schreibe insgesamt zehn Jugendlichen von „Konzentration“ zu sprechen (so gibt die Zeitung Hachmanns Einlassungen wider), angesichts von drei Wohngemeinschaften dort eine „Verteilung“ zu fordern, ist dermaßen ungeschickt (gelinde ausgedrückt), da fällt die augenscheinlich fehlende Information und Maßgabe zur Kommunikation für den der Beigeordneten unterstellten Schulamtsleiter kaum noch ins Gewicht.

Zu Hachmanns Entschuldigung kann man höchstens annehmen, dass sie es in Sachen kommunikativer Orientierung für ihren Verantwortungsbereich ihrem Chef gleichgetan hat. Mit dem einen Unterschied, dass der OB beim Schweigen bleibt, während Hachmann sich um Kopf und Kragen und die Sache unangespitzt in Grund und Boden redet.