Blaune zu BUGA: Zu viele Blumen

Amtsblatt 05/2023

Ratsfraktion findet Fahren wichtiger als Flora

Blue-Green-Streets. Schon mal gehört oder gelesen? Nein? – Dann schauen Sie mal nach im Amtsblatt der Stadt Dessau-Roßlau, Ausgabe Mai 2023. Einfach als Suchbegriffe Amtsblatt, Name der Stadt und Jahreszahl in eine Internetsuch-maschine eingeben. Gleich die ersten Ergebnisse führen zum Ziel.

Im Amtsblatt Nummer 5 / 2023 blättern Sie zu den „Fraktionsseiten“ und dort zum Beitrag der ihrem Logo nach blauen Partei, deren politische Ausrichtung eher eine Farbgebung vermuten lässt, die an Lehm erinnert. Die Mischung beider Farben lässt sich als „Blaun“ umschreiben.

BUGA-Bewerbung abgelehnt

Der Vorsitzende der blaunen Fraktion, Andreas Mroseck, widmet sich in seinem Beitrag der Bewerbung der Stadt als Standort der Bundesgartenschau (BUGA) 2035 und begründet die Ablehnung der Bewerbung durch seine Fraktion. Alle anderen Fraktionen hatten zugestimmt und wissen dabei die örtliche Wirtschaft hinter sich. Grund genug, einen genaueren Blick auf die Gründe für die Ablehnung und das Konzept „blue-green-street“ (blau-grüne Straßen) zu werfen. An eben diesem Begriff entzündet sich die Empörung der Blaunen.

Blau-Grüne Straßen bedeuteten die Umwandlung von Hauptverkehrsachsen in Blumenbeete, behauptet Mrosek. Die in Nord-Süd-Richtung verlaufende innerstädtische Hauptverkehrsachse (Albrecht- / Kavalier- / Franz- / Heidestraße) sei aber schon heute ein „Nadelöhr“ für den Individualverkehr. Wenn zudem Querverbindungen zwischen Stadtteilen und Ortschaften quasi verbeetet würden, kämen außerhalb der Innenstadt wohnende Dessauer*innen nicht mehr zum Einkaufen. (Roßlauer*innen kommen in Mroseks Ausführungen nicht vor). Schlussfolgerung Mroseks: „Die Innenstadt muss […] befahrbar bleiben!“ Also Nein zur BUGA-Bewerbung.

Asphalt statt blumen

Wir schlussfolgern haarscharf: Wenn Blumen dem Autoverkehr im Wege sind, braucht es mehr Asphalt (wenn man Mrosek und seiner Partei folgt). Und siehe da, wenn die blaune Fraktion dem Projekt BUGA überhaupt noch zustimmen soll, müsse vorher zumindest die sogenannte Nordumgehung gebaut werden. Der stünden zwar ganze Baumbestände im Wege (von schützenswerten Uferbereichen der Mulde samt Überschwemmungsflächen ganz zu schweigen). Aber wer sich vor Begrünung in der Stadt fürchtet, kämpft halt auch gegen Bäume am Stadtrand.

„blue“ statt Dürre und Überschwemmungen

Was uns zurück führt zur Frage nach „blue-green-streets“. Mindestens einen Teil dieser Bezeichnung hat Mrosek entweder übersehen oder die Bedeutung nicht intellektuell umsetzen (sprich: unter Zuhilfenahme des Verstandes verstehen) können. Nämlich das „blue“. Blau steht hier nicht für Kornblumen auf den von Mrosek befürchteten Beeten, sondern für Wasser. Und mit dem hat Dessau in jüngerer Vergangenheit bekanntlich heftig zu kämpfen. Sowohl mit zu viel (Überschwemmungen) wie auch zu wenig (Dürre und Trockenheit bei Stadtgrün und in Parks).

Um Trockenheit und Überflutungen entgegenzuwirken, „(muss sich) Stadtgrün und Überflutungsschutz in den multifunktional genutzten Straßenraum einfügen“, erläutert das Bundesforschungsministerium den Sinn des vom Bund geförderten blue-green-street-Konzepts. Das Projekt solle dazu beitragen, „die Wirksamkeit von Planungsinstrumenten (…) zu grünen städtischen Infrastrukturen, urbaner Wasserwirtschaft, dem Sanierungsmanagement von Straßen und Kanälen sowie der Verkehrs- und Freiraumplanung (…) weiterzuentwickeln.“ Auf diese Weise „(sollen) Straßenräume zukunftsfähig gestaltet werden und so zu Multitalenten der Stadtquartiere werden.“

Entwickelt und vorangetrieben wird das blue-green-streets-Konzept übrigens von der HafenCity Universität (hcu) in Hamburg. Beteiligt sind universitäre und privatwirtschaftliche Forschungseinrichtungen und -institute aus Berlin, Hamburg, Hannover, Hoppegarten und Karlsruhe. Nachzulesen ist das alles online auf der Website des Forschungsprojekts der hcu sowie der Website des Bundesforschungsministeriums zu ressourceneffizienten Stadtquartieren (eben diese Suchbegriffe eingeben).

Dürre im gartenreich

blue-green-streets sind also keine spinnerte Idee der kommunalen Verwaltung. Vielmehr verknüpft das Dessau-Roßlauer BUGA-Konzept die lokale Umsetzung mit einem Projekt des Bundes und erschließt auf diese Weise mutmaßlich Zugang zu KnowHow und Fördergeldern. Und ohne solche Fördergelder wäre eine kontinuierlich eher klamme Kommune wie Dessau-Roßlau kaum in der Lage, ihr innerstädtisches Wassermanagement so zu gestalten, dass ein wichtiges Marken-zeichen des hiesigen Kulturreiches auf Dauer gedeiht statt verdorrt. Gärten und Parks brauchen eben nicht mehr Bodenversiegelung durch Straßen, sondern intelligente Gestaltung des städtischen Umfelds, in dem Feuchtigkeit für Mensch und Umwelt gehalten statt wegasphaltiert werden muss.

Dass solche Konzepte auch die Ertüchtigung des Öffentlichen Nahverkehrs beinhalten, also in Dessau-Roßlau insbesondere die Verbesserungen von Bus- und Straßenbahnverbindungen zwischen Ortschaften und Innenstadt, mit denen auch sehr alte oder sonst wie eingeschränkte Mitbürger*innen die Innenstadt einfach und komfortabel erreichen können, blendet der Blaunen-Vertreter aus. Wahrscheinlich sind ihm Parkplätze unmittelbar vor dem Rathaus auch wichtiger als der ohne Blechlawine unverstellte Anblick historischer Architekturensemble.

Flüchtlinge nur mit Rasenmäher?

Natürlich (Sie, werte Leser*innen, dürfen dieses Wort an dieser Stelle gern als ironisch verstehen…) geht es den Blaunen nicht allein ums Geld. Mindestens so wichtig ist bekanntlich die Frage nach Fachkräften. Um dieselben sorgt sich die Blaune Fraktion beim Gedanken an die Pflege neuer Grünanlagen, die mit der BUGA – man möchte sagen ‚natürlich‘ – entstünden. Für eben diese Pflege fehle es „an Personal und Technik“.

Und aus welchem Grund? Nach Blauen Lesart: Weil „sich unsere zugewanderten ‚Fachkräfte‘ an diesen notwendigen Arbeiten nicht beteiligen werden (Fachkräfte ist im Originalartikel der Blaunen in Anführungsstriche gesetzt, Anmerkung des Verfassers).“ Wenn also die Blumen nicht blühen, sind – wie könnte es aus Perspektive der blaunen Partei anders sein – „Ausländer“ schuld. Am besten wäre es wahrscheinlich, nur noch Flüchtlinge aufzunehmen, die einen eigenen Rasenmäher mitbringen. Dann wäre auch das Technikproblem gelöst… (*Ironie-Modus aus*)

Besch… BUGA?

De facto sei die komplette BUGA-Planung „ein Blick in die Glaskugel“, findet Mrosek, zumal das Problem der Defäkation ungelöst sei. Angesichts fehlender öffentlicher Toiletten bleibe es BUGA-Besuchern wohl de facto vorbehalten, ihr Geschäfte in Dixi-Klos zu verrichten. Sowohl den Bau neuer als auch die Wiederinbetriebnahme bestehender öffentlicher Bedürfnisanstalten hätten die Blaunen im Stadtrat beantragt. Der Antrag sei aber von der Stadtratsmehrheit abgelehnt worden, beklagt Mrosek.

Zwei Fakten verschweigt Mrosek allerdings: 1. Gegen neue öffentliche Klos sprach aus Sicht der Stadtratsmehrheit die Gefahr des Vandalismus. Instandsetzungen zögen unkalkulierbare Kosten nach sich. Diese Kosten lassen sich übrigens nicht aus Glaskugeln, sondern schlicht aus Erfahrungswerten ablesen. 2. Ihrerseits abgelehnt hat die Blaune Fraktion gerade in der jüngsten Stadtratssitzung am 26. Mai 2023 die Errichtung öffentlicher Trinkwasserspender in der Stadt. Grund: Sie befürchtet Vandalismus.

blumenvase vorm Auge

Mein Eindruck von den Ausführungen der Blaunen zur BUGA: Es hat nicht einmal für eine Glaskugel gereicht. Wahrscheinlich hatte Mrosek allein bei „blue-green-street“ nur noch eine Blumenvase vorm inneren Auge. Die hat dann wohl auch die Sicht an der Entstehung der an den Konzepten Beteiligten getrübt: Laut Blauner Fraktion sollen „Planungs- und Ingenieurleistungen im größeren Umfang an auswärtige Büros“ vergeben werden.

Führend beteiligt an der Entstehung des Konzepts zur BUGA 2023 in Dessau-Roßlau waren das Institut für Freizeit- und Tourismusberatung ift GmbH mit Sitz in Köln und Potsdam, die Runze und Caspar Werbeagentur GmbH aus Berlin sowie das Landschaftsarchitektur-Unternehmen SWUP GmbH mit Hauptsitz in Essen. Die an der Entwicklung des blue-green-street-Kozepts Beteilgten sind oben erwähnt. Wie viele „auswärtige Büros“ sollen es denn sein?

Verschwörungsfakten?

Bevor er sich in der vorliegenden Amtsblatt-Ausgabe der BUGA widmet, definiert Mrosek übrigens die von den Blaunen während der Covid-Pandemie pausenlos ventilierten „sogenannten Verschwörungstheorien“ um in „Verschwörungsfakten“.

Fakt ist in Sachen BUGA, dass sich die Blaunen offenbar aufgemacht haben, das Projekt BUGA 2035 in Dessau-Roßlau zur Verschwörung weniger gegen die Interessen jener ummünzen, für eine Stadt vor allem eines sein soll: ein großes Motodrom, das man am besten schnell durchquert oder gleich drumherum fährt. Blumen, Beete, Bäume und BUGA stören da nur. Dass Wissenschaftler*innen aus den Gebieten Stadtplanung und Ingenierwesen das ebenso anders sehen wie jene Bürger*innen, für die Stadt nicht nur aus Einkaufsgelegenheiten besteht, stört wiederum die Blaunen nicht. Wer nicht wissen will, kann Fakten halt auch nicht finden.