Teure Toiletten, heiliges Deutsch, königliche Linke, entspannte CDU

Pro DeRo fürs Klo, Blaune nicht bibelfest

Allerhöchste Zeit, Fraktionsbeiträge im Amtsblatt der letzten Monate 2023 zu würdigen. Grund für die Verspätung: Der bisherige Allein-Autor und Betreiber dieses Blogs muss zuweilen auch mal die Euros verdienen, die allmonatlich an Kosten für diese Website anfallen. Mitautorinnen und -autoren sowie Redakteurinnen und Redakteure sind herzlich willkommen mitzuarbeiten – kostenlos 😉

Nun, im nachgeholten Jahresabschluss 2023 blicken wir auf öffentliche Klos, verdrehte Bürgergeld-Zahlen und die sehr ausführliche Gender-Debatte.

Oktober: Klo-Fantasie, Sprach-Geschichte,

Aufs teure Klo

Vier Köpfe stark ist die Fraktion Pro Dessau-Roßlau. Da sollte man kreatives Potenzial vermuten. Im Oktober beschränkt sich die Kreativität darauf, mehr öffentliche Toiletten in Nähe der Sehenswürdigkeiten der Stadt zu errichten. Und derer – also der Sehenswürdigkeiten – gibt es bekanntlich einige in Dessau-Roßlau. Bewusst sei sich die Fraktion, dass so ein Klo kostet. Sowohl die Errichtung wie auch der Betrieb. Aber, so geben sich die vier zuversichtlich, dafür werde man schon Lösungen finden.

Ortswechsel: Wir blicken nach Saalfeld. Die Thüringer Kreisstadt hat laut ZEIT-online im Jahr 2021 schlanke 30.400 Euro nur für den Betrieb ihrer einzigen öffentlichen Toilette ausgegeben. Überschlagen und unter Berücksichtigung der allgemeinen Teuerungsrate fielen in Dessau-Roßlau für drei öffentliche Klos jährlich weit mehr als 100.000 Euro an. Man darf gespannt sein, welche Lösungen sich das kreative Quartett zur Deckung eines solchen Postens in kommunalen Haushalt ausdenkt.

Gendern: Unwichtig.

Für die Blaune Fraktion (zur Erinnerung: das ist die Fraktion jener Partei, deren Plakate in Blau erstrahlen, deren Denken aber ausweislich jüngster Einstufung des Landesamtes für Verfassungsschutz stark von einer Farbe dominiert ist, die Mensch nach Besuch eines Klos oft in demselben findet) steht das Gendern ganz oben auf der Agenda. Sie bemüht dazu das Ergebnis einer Umfrage des MDR. Die Blaunen wörtlich: „Für 84% ist diese Gender-Debatte unwichtig!“ Ach so. Die Leute interessieren sich gar nicht für das Thema. Nichtsdestoweniger müsse auch bei der Stadtverwaltung dringend „zur deutschen Muttersprache zurückgekehrt werden“.

Dass solche verschwurbelten Passiv-Konstruktionen die Erfinder des Deutschen Wörterbuchs, die Gebrüder Grimm, mutmaßlich im Grabe rotieren lassen, schert die selbst ernannten Sprachbewahrer wenig. Davon abgesehen: Jacob Grimm befürwortete die durchgehende Kleinschreibung wie im Englischen. Das sollte die deutsche Sprache vereinfachen. Durchgesetzt hat sich diese Schreibweise nie. Wohl aber hat sich das Deutsche seit Generationen weiterentwickelt. Nicht zuletzt in der sogenannten DDR.

Wie die Alten sungen, schreiben keine Jungen

Wörtlich fordern die Blaunen: „Die Kinder und Schüler sollen die deutsche Sprache so erlernen, wie es schon deren Eltern und Großeltern lernten.“ Tja, dann müsste mindestens in den östlichen Bundesländern das „Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache“ (WdG) in die Lehrpläne aufgenommen werden. An dem orientierten sich nämlich die Lehrpläne im real existierenden Sozialismus. Ulbricht, Honecker und Co. wollten damit die „sprachlichen Divergenzen zwischen der DDR und der BRD“ (Vorbemerkung zu Band 4 des WdG) festschreiben. Im DDR-Sozialismus sollte eine andere Variante des Deutschen gelten als im feindlichen Westen.

Übrigens hatten sich auch die Nazis bemüht, neue Begriffe und sprachliche Bedeutungen im Deutschen zu etablieren. Mit ganz ähnlichem Ziel: Hass und Abwertung anderer sollten sich in der Alltagssprache widerspiegeln. Vor diesem Hintergrund wohnt der vehementen Ablehnung des Genderns, das möglichst viele einbeziehen soll, anstatt divers orientierte Menschen auszuschließen, im Falle der Blaunen schon wieder eine gewisse Logik inne.

Wundersame Prozentvermehrung

Im selben Beitrag geht den Blaunen in Gestalt des Autors ihres Oktober-Beitrages, dem blaunbärigen Fraktionsvorsitzenden (siehe: „Käpt’n Blaunbär am Nordpol“) wohl auf, dass es wenig sinnreich ist, über Dinge zu schimpfen, für die sich die meisten gar nicht interessieren. Also besinnt sich der Mann auf das Thema Flüchtlinge und garniert es mit Zahlen zum Bürgergeld. Credo: Flüchtlinge – vor allem jene aus der Ukraine – leben alle „vom deutschen Steuerzahler“. Unterlegt ist das Ganze mit Zahlen. Die haben wenig mit Dessau-Roßlau zu tun, sollen aber die Situation in Deutschland widerspiegeln. Nehmen wir den Zahlensalat auseinander:

Käpt’n Blaunbär behauptet zum „Stand der Bürgergeld-Empfänger in Deutschland (März 2023)“, unter den Bezieher*innen dieser Sozialleistung seien „16,2% Türken, 41,7% Iraker, 47,1% Afghanen, 55,1% Syrer, 65,6% Ukrainer“ und nur „5,3% Deutsche“. Blaunbär ist weder in der Lage, durch die deutsche Sprache zu navigieren, noch beherrscht er Prozentrechnung. Die Summe aller Angaben ergibt nämlich sagenhafte 231 Prozent. Fünftklässler wissen, dass man von 100 Prozent Gesamtsumme auch nur 100 Prozent ausgeben kann. Wie ist diese wundersame Geld- respektive Prozentvermehrung zustande gekommen?

Lösung: Es sind nicht 131 Prozent zu viel, sondern drei Buchstaben zu wenig. Es fehlt das Wörtchen „der“. 16,2 Prozent der Türkinnen und Türken, 41,1 Prozent der Iraker*innen, 47,1 Prozent der Afghaninnen und Afghanen, 55,1 Prozent der Syrer*innen, 65,6 Prozent der Ukrainer*innen in Deutschland und 5,3 Prozent der Deutschen beziehen in Deutschland Bürgergeld. Anders herum ausgedrückt: Knapp 53 Prozent der Gesamtausgaben für Bürgergeld gehen an deutsche Staatsangehörige. Der Anteil der Ukrainer*innen liegt bei knapp 13 Prozent. Gut sieben Prozent der Ausgaben fließen an Menschen aus dem Europäischen Wirtschaftsraum und der Schweiz. Am Rande: Mehr als ein Drittel der Schutzsuchenden aus der Ukraine schlägt sich hierzulande komplett ohne irgendwelche Leistungen des deutschen Staates durch. Das lassen wir mal so stehen.

November: heilige Sprache, königliche Sprache

Käpt’n Blaunbär und die Heiligkeit

Im November-Amtsblatt erklärt der örtliche Blaunen-Hohepriester die deutsche Sprache zum unantastbaren Heiligtum (Zitat: „In Deutschland wird Deutsch gesprochen. Unsere deutsche Sprache muss uns heilig bleiben!“) und begründet damit die Ablehnung jedweder sprachlichen Entwicklung. Machen wir die Probe auf Exempel:

„SO haben wirs auch / on allen Geitz / nutz vnd genies (das können wir rhümen in Christo) trewlich vnd reichlich / allen Christen dar gethan vnd mitgeteilet. Vnd was wir darüber gelidden / gethan / vnd dran gewand / das sol niemand erkennen / denn des die Gaben sind / vnd der durch vns vnwirdige / elende /arme Werckgezeug solchs gewirckt hat. Dem sey allein die Ehre / Lob vnd Danck in ewigkeit / AMEN.“

Das ist Martin Luthers Originaldeutsch. Die Zeilen stammen aus der Warnung Luthers an die Drucker seiner Bibelübersetzung, sie, die Drucker, dürften den Verkauf des Werks nicht zur Bereicherung nutzen. Die Bibelübersetzung des Reformators gilt als Grundlage, auf der sich überhaupt erst eine deutsche Einheitssprache herausgebildet hat. Offenbar war und ist diese einheitliche Sprache des Deutschen nicht statisch. Luthers Deutsch verstünde heute kaum jemand – am allerwenigsten wohl besagter Hohepriester.

Königliche Linke

Witzige Fußnote: Ausgerechnet Die Linke spricht in ihrer länglichen November-Abhandlung über die Entwicklung der Gehälter am Anhaltischen Theater – an dem Deutsch als Kulturgut gepflegt wird – vom „Salaire“ (französisch für „Lohn / Gehalt“) der Beschäftigten.

Begibt sich der Fraktionsvorsitzende als Autor des entsprechenden Beitrages nun auf die Spuren Friedrichs des Großen (König in respektive von Preußen)? Der Alte Fritz sprach besser und lieber Französisch als Deutsch. Als Sozialist war der Aristokrat indes nicht bekannt. Vielleicht sollte der Wortgebrauch aber auch nur ein Hinweis an die Blaunen sein. Immerhin gaben sehr rechte Vertreter den Alten Fritz als angeblichen politischen Ahnen ihres „Föhrers“ aus und ignorierten dessen kulturelle und politischen Vorlieben ebenso wie die heutigen Blaunen jegliche Kenntnis kultureller Sprachentwicklung vermissen lassen.

Dezember: Clownesk bis gelassen

Freie Gender-Clowneske

Gelegentliche helle Momente kann man Hans-Peter Dreibrodt nicht absprechen. Der vehemente Appell des Vorsitzenden der Freien Fraktion an Oberbürgermeister Robert Reck, in Sachen Regenbogenschule, den Willen des Stadtrates zu beherzigen war so eine Gelegenheit. In geradezu flammenden – wenn auch leicht leiernd vorgetragenen – Worten wehrte sich Dreibrodt gegen des OBs Ansinnen, den Standort der neuen Schule par ordre de mufti gegen den Rat durchzusetzen.

Zugegeben, die Aussage Dreibrodts, der Stadtrat sei der Dienstherr des OBs war schief, weil dem nicht so ist; Dienstherr ist die Gemeinde als Verwaltungseinheit, der Stadtrat als politische Vertretung der Bürger*innen ist ein konstituierendes Element dieser Einheit. Nichtsdestoweniger verdeutlichte die Formulierung die Kritik und ist insofern ein zulässiger rhetorischer Kunstgriff.

Weniger künstlerisch als vielmehr brachial ignorant muten hingegen Dreibrodts Verdrehungen in Sachen Gendern an. Er führt „Angestellte*innen“ und „Beamte*innen“ an, „um beispielhaft zu verdeutlichen, „wie schrecklich sich der Gender-Wahnsinn (…) auf unsere deutsche Sprache auswirkt“. Das ist doppelt dämlich, weil im Sinne korrekten Genderns doppelt verkehrt. Zwischen der Angestellten (Femininum) und dem Angestellten (Maskulinum) gibt es keinen grammatischen Unterschied. Ergo kann das Wort im Singular ebenso wenig gegendert werden wie im Plural (die Angestellten).

Im Falle der Beamtinnen und Beamten ist die Gender-Schreibweise Beamt*in nicht korrekt, weil die maskuline Wortendung (Beamter) nicht im femininen Wort (Beamtin) enthalten ist. Das Gendersternchen kann nur gesetzt werden, wenn das Wort respektive der Wortteil vor dem Sternchen einem korrekten Begriff entspricht. Würde durch das Gendern mit Sternchen eine Wortendung entfallen, wäre das Sternchen falsch gesetzt. Student*in ist also korrekt, Kolleg*in ist falsch, weil Kolleg kein vollständiges Wort ist.

Der langen Schreibe kurzer Sinn: Wenn man sich schon übers Gendern aufregen will, sollte man wenigsten wissen, worüber man sich aufregt. Ansonsten wird Kritik zur Komik – und der Kritiker angesichts seiner Unkenntnis zum Clown.

CDU: Gelassen mit Luther

Wie wohltuend gelassen kommt hingegen die CDU beim Thema Gendern daher: „Es wird sich das durchsetzen, was viele Menschen als angemessen und praktikabel erachten“, stellt Stadtrat Mike Jüling pragmatisch fest. Sein Verweis auf Artikel 5 Grundgesetz (Freiheit des Wortes – freie Meinungsäußerung) ist allerdings in diesem Zusammenhang Blödsinn. Wäre diese Norm einschlägig, könnte man gegen jedwedes Gender-Verbot vor dem Verfassungsgericht klagen. Die Richter*innen würden sich schief lachen angesichts einer entsprechenden Klageschrift.

Zustimmung würde CDU-Mann Jülich hingegen vom Rat für deutsche Rechtschreibung ernten. Der sieht seine Aufgabe nämlich nicht darin, Bürgerinnen und Bürgern hinsichtlich ihres Sprachgebrauchs zu bevormunden, sondern will das „Regelwerk“ anpassen „an den allgemeinen Wandel der Sprache“ (Statut des Rats für deutsche Rechtschreibung vom 17.06.2005 in der Fassung vom 30.03.2015).

Im Dezember 2023 lässt der Rat per Pressemitteilung verlauten: „Der Rat für deutsche Rechtschreibung wird die weitere Schreibentwicklung beobachten, denn geschlechtergerechte Schreibung ist aufgrund des gesellschaftlichen Wandels und der Schreibentwicklung noch im Fluss.“ Um mit Luther zu sprechen: Der Rechtschreibrat schaut dem Volk aufs Maul. Und die CDU tut es auch. Nicht die verkehrteste Vorgehensweise für eine Volkspartei.