Wildschweinjagd im Welterbe

Reck: Warnung nur auf Amtsdeutsch

Sie suhlen und brechen durch Georgengarten und Georgium: Wildschweine. Der Stadtjäger soll dem grunzigen Treiben ein Ende setzen. Zwischen 8 Uhr abends und 6 Uhr morgens lauert der Waidmann den Schwarzkitteln auf. Einheimischen und Touristen ist das Betreten des Welterbeparks verboten. Zur Sicherheit. Mit DIN-A-4-Zetteln an Bäumen. Auf Deutsch. Nur auf Deutsch. Oberbürgermeister Reck findet, das reicht. In Dessau wird auf Deutsch gewarnt. Denn nur Deutsch ist amtlich.

Touristen aus aller Welt: Reck zuckt die Schultern

Unzureichend findet Stadtrat Frank Brozowski (Freies-Bürger-Forum) die Warnungen vor der Jagd aufs Schwarzwild und dem entsprechendem Gebrauch von Schusswaffen in Georgium und Georgengarten. Hinweise auf das amtliche Betretungsverbot der Parks könne man leicht übersehen. Besucher*innen, die des Deutschen nicht mächtig sind, würden die Warnungen nicht verstehen.

Also fragte Brozowski im Stadtrat nach. Am 16. Oktober wollte Brozowski von der Verwaltung wissen, warum der Bereich nicht abgesperrt ist und warum nur auf Zetteln und nur auf Deutsch gewarnt werde. Touristen aus aller Welt, die das Welterbe in Dessau bewundern, verstünden ja nicht unbedingt Deutsch. Auch nicht alle Einwohner*innen Dessaus hätten entsprechende Sprachkenntnisse. Kinder sprach Brozowski zwar nicht an, aber auch bei diesen ist eher nicht zu vermuten, dass sie an Bäume gepinnte Zettel beachten geschweige denn verstehen.

Oberbürgermeister Robert Recks Antwort: Schulterzucken. Letztlich ließ er sich doch zu einer Antwort herab: In Deutschland sei Deutsch schließlich Amtssprache, belehrte der Hauptverwaltungsbeamte Reck den Volksvertreter Brozowski. Ergo reichten Warnungen auf Deutsch aus. Applaus erntete der Hauptverwalter von der sehr deutschen Fraktion der AfD (hier im Allgemeinen „die Blaunen“ genannt).

Kaliber 6,5 Millimeter. Mindestens.

Munition für die Wildschweinjagd muss mindesten 6,5 Millimeter im Durchmesser messen, sagt das Bundesjagdgesetz. Für Sturmgewehre, also Kriegswaffen, sind 5,56 Millimeter üblich. Die Jagdpatronen sollen das waidgerechte Erlegen des Wildes sicherstellen, also den schnellen Tod eines getroffenen Stücks.

Nun sind Jäger*innen hierzulande sehr gut ausgebildet und lassen bei der Jagd größte Sorgfalt walten. Unfehlbar sind aber auch Jäger*innen nicht. Wenngleich Jagdunfälle mit Schusswaffen eben wegen der Sorgfalt der Jäger*innen äußerst selten sind, geschehen sie zuweilen doch. Trifft ein Jagdgeschoss einen Menschen, ist die Folge niederschmetternd.

Amtssprache wichtiger als Schutz?

Verständliche und vor allem umfassende Warnungen vor jagdlicher Aktivität zumal in für Publikumsverkehr vorgesehenen Bereichen wie Parks und Gärten schützten mithin nicht nur Unbeteiligte, sondern reduzierten auch das Risiko für Jäger*innen, versehentlich auf falsche Ziele anzulegen. Beauftragt die öffentliche Verwaltung die Jagd in entsprechenden Bereichen selbst, erscheint es geradezu selbstverständlich, dass die Verwaltung möglichst hohe Sicherheitsvorkehrungen trifft. Diese Sicherheitsvorkehrungen müssen verständlich und für die Allgemeinheit zugänglich sein – und das nicht erst kurz vor dem Gefahrenbereich.

Robert Reck findet DIN-A-4-Zettel an Bäumen offenbar ausreichend. Reck findet, dass sich Welterbebesucher*innen gefälligst der (Welt-?)Amtssprache Deutsch befleissigen müssen, um Gefahren für ihr irdisches Leben in Dessau zu erkennen. Reck findet ausweislich seiner Aussage im Stadtrat, ergänzende Berichterstattung der lokalen Presse reiche aus, um die Bevölkerung umfassend über die Gefahr zu informieren.

Zettel und Stempel statt Kommunikation

Berichtet hat die lokale Presse allerdings eher kritisch: Die örtliche Zeitung fragte, ob „20 Zettel“ ausreichend seien „als Warnung vor nächtlicher Wildschwein-Jagd„. Auf den entsprechenden Zetteln ist von Jagd nur im Kleingedruckten zu lesen. Als amtliche Kennzeichnung dient ein kaum entzifferbarer Stempelaufdruck mit unleserlicher handschriftlicher Signatur. „Eine anderweitig offizielle Information seitens der Stadt gab es nicht“, stellt die Zeitung lakonisch fest.

Tatsächlich: Weder auf der offiziellen Website der Stadtverwaltung noch auf der facebook-Seite der Stadt sind irgendwelche Informationen zur Jagd in Dessaus Welterbe zu finden. Das ist nicht weltoffen, das ist provinziell. Und Robert Reck verwaltet das Ganze.


Credits: Grafik „Wildschwein“ – http://www.freepik.com – Designed by dgim-studio / Freepik

Teure Toiletten, heiliges Deutsch, königliche Linke, entspannte CDU

Pro DeRo fürs Klo, Blaune nicht bibelfest

Allerhöchste Zeit, Fraktionsbeiträge im Amtsblatt der letzten Monate 2023 zu würdigen. Grund für die Verspätung: Der bisherige Allein-Autor und Betreiber dieses Blogs muss zuweilen auch mal die Euros verdienen, die allmonatlich an Kosten für diese Website anfallen. Mitautorinnen und -autoren sowie Redakteurinnen und Redakteure sind herzlich willkommen mitzuarbeiten – kostenlos 😉

Nun, im nachgeholten Jahresabschluss 2023 blicken wir auf öffentliche Klos, verdrehte Bürgergeld-Zahlen und die sehr ausführliche Gender-Debatte.

Oktober: Klo-Fantasie, Sprach-Geschichte,

Aufs teure Klo

Vier Köpfe stark ist die Fraktion Pro Dessau-Roßlau. Da sollte man kreatives Potenzial vermuten. Im Oktober beschränkt sich die Kreativität darauf, mehr öffentliche Toiletten in Nähe der Sehenswürdigkeiten der Stadt zu errichten. Und derer – also der Sehenswürdigkeiten – gibt es bekanntlich einige in Dessau-Roßlau. Bewusst sei sich die Fraktion, dass so ein Klo kostet. Sowohl die Errichtung wie auch der Betrieb. Aber, so geben sich die vier zuversichtlich, dafür werde man schon Lösungen finden.

Ortswechsel: Wir blicken nach Saalfeld. Die Thüringer Kreisstadt hat laut ZEIT-online im Jahr 2021 schlanke 30.400 Euro nur für den Betrieb ihrer einzigen öffentlichen Toilette ausgegeben. Überschlagen und unter Berücksichtigung der allgemeinen Teuerungsrate fielen in Dessau-Roßlau für drei öffentliche Klos jährlich weit mehr als 100.000 Euro an. Man darf gespannt sein, welche Lösungen sich das kreative Quartett zur Deckung eines solchen Postens in kommunalen Haushalt ausdenkt.

Gendern: Unwichtig.

Für die Blaune Fraktion (zur Erinnerung: das ist die Fraktion jener Partei, deren Plakate in Blau erstrahlen, deren Denken aber ausweislich jüngster Einstufung des Landesamtes für Verfassungsschutz stark von einer Farbe dominiert ist, die Mensch nach Besuch eines Klos oft in demselben findet) steht das Gendern ganz oben auf der Agenda. Sie bemüht dazu das Ergebnis einer Umfrage des MDR. Die Blaunen wörtlich: „Für 84% ist diese Gender-Debatte unwichtig!“ Ach so. Die Leute interessieren sich gar nicht für das Thema. Nichtsdestoweniger müsse auch bei der Stadtverwaltung dringend „zur deutschen Muttersprache zurückgekehrt werden“.

Dass solche verschwurbelten Passiv-Konstruktionen die Erfinder des Deutschen Wörterbuchs, die Gebrüder Grimm, mutmaßlich im Grabe rotieren lassen, schert die selbst ernannten Sprachbewahrer wenig. Davon abgesehen: Jacob Grimm befürwortete die durchgehende Kleinschreibung wie im Englischen. Das sollte die deutsche Sprache vereinfachen. Durchgesetzt hat sich diese Schreibweise nie. Wohl aber hat sich das Deutsche seit Generationen weiterentwickelt. Nicht zuletzt in der sogenannten DDR.

Wie die Alten sungen, schreiben keine Jungen

Wörtlich fordern die Blaunen: „Die Kinder und Schüler sollen die deutsche Sprache so erlernen, wie es schon deren Eltern und Großeltern lernten.“ Tja, dann müsste mindestens in den östlichen Bundesländern das „Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache“ (WdG) in die Lehrpläne aufgenommen werden. An dem orientierten sich nämlich die Lehrpläne im real existierenden Sozialismus. Ulbricht, Honecker und Co. wollten damit die „sprachlichen Divergenzen zwischen der DDR und der BRD“ (Vorbemerkung zu Band 4 des WdG) festschreiben. Im DDR-Sozialismus sollte eine andere Variante des Deutschen gelten als im feindlichen Westen.

Übrigens hatten sich auch die Nazis bemüht, neue Begriffe und sprachliche Bedeutungen im Deutschen zu etablieren. Mit ganz ähnlichem Ziel: Hass und Abwertung anderer sollten sich in der Alltagssprache widerspiegeln. Vor diesem Hintergrund wohnt der vehementen Ablehnung des Genderns, das möglichst viele einbeziehen soll, anstatt divers orientierte Menschen auszuschließen, im Falle der Blaunen schon wieder eine gewisse Logik inne.

Wundersame Prozentvermehrung

Im selben Beitrag geht den Blaunen in Gestalt des Autors ihres Oktober-Beitrages, dem blaunbärigen Fraktionsvorsitzenden (siehe: „Käpt’n Blaunbär am Nordpol“) wohl auf, dass es wenig sinnreich ist, über Dinge zu schimpfen, für die sich die meisten gar nicht interessieren. Also besinnt sich der Mann auf das Thema Flüchtlinge und garniert es mit Zahlen zum Bürgergeld. Credo: Flüchtlinge – vor allem jene aus der Ukraine – leben alle „vom deutschen Steuerzahler“. Unterlegt ist das Ganze mit Zahlen. Die haben wenig mit Dessau-Roßlau zu tun, sollen aber die Situation in Deutschland widerspiegeln. Nehmen wir den Zahlensalat auseinander:

Käpt’n Blaunbär behauptet zum „Stand der Bürgergeld-Empfänger in Deutschland (März 2023)“, unter den Bezieher*innen dieser Sozialleistung seien „16,2% Türken, 41,7% Iraker, 47,1% Afghanen, 55,1% Syrer, 65,6% Ukrainer“ und nur „5,3% Deutsche“. Blaunbär ist weder in der Lage, durch die deutsche Sprache zu navigieren, noch beherrscht er Prozentrechnung. Die Summe aller Angaben ergibt nämlich sagenhafte 231 Prozent. Fünftklässler wissen, dass man von 100 Prozent Gesamtsumme auch nur 100 Prozent ausgeben kann. Wie ist diese wundersame Geld- respektive Prozentvermehrung zustande gekommen?

Lösung: Es sind nicht 131 Prozent zu viel, sondern drei Buchstaben zu wenig. Es fehlt das Wörtchen „der“. 16,2 Prozent der Türkinnen und Türken, 41,1 Prozent der Iraker*innen, 47,1 Prozent der Afghaninnen und Afghanen, 55,1 Prozent der Syrer*innen, 65,6 Prozent der Ukrainer*innen in Deutschland und 5,3 Prozent der Deutschen beziehen in Deutschland Bürgergeld. Anders herum ausgedrückt: Knapp 53 Prozent der Gesamtausgaben für Bürgergeld gehen an deutsche Staatsangehörige. Der Anteil der Ukrainer*innen liegt bei knapp 13 Prozent. Gut sieben Prozent der Ausgaben fließen an Menschen aus dem Europäischen Wirtschaftsraum und der Schweiz. Am Rande: Mehr als ein Drittel der Schutzsuchenden aus der Ukraine schlägt sich hierzulande komplett ohne irgendwelche Leistungen des deutschen Staates durch. Das lassen wir mal so stehen.

November: heilige Sprache, königliche Sprache

Käpt’n Blaunbär und die Heiligkeit

Im November-Amtsblatt erklärt der örtliche Blaunen-Hohepriester die deutsche Sprache zum unantastbaren Heiligtum (Zitat: „In Deutschland wird Deutsch gesprochen. Unsere deutsche Sprache muss uns heilig bleiben!“) und begründet damit die Ablehnung jedweder sprachlichen Entwicklung. Machen wir die Probe auf Exempel:

„SO haben wirs auch / on allen Geitz / nutz vnd genies (das können wir rhümen in Christo) trewlich vnd reichlich / allen Christen dar gethan vnd mitgeteilet. Vnd was wir darüber gelidden / gethan / vnd dran gewand / das sol niemand erkennen / denn des die Gaben sind / vnd der durch vns vnwirdige / elende /arme Werckgezeug solchs gewirckt hat. Dem sey allein die Ehre / Lob vnd Danck in ewigkeit / AMEN.“

Das ist Martin Luthers Originaldeutsch. Die Zeilen stammen aus der Warnung Luthers an die Drucker seiner Bibelübersetzung, sie, die Drucker, dürften den Verkauf des Werks nicht zur Bereicherung nutzen. Die Bibelübersetzung des Reformators gilt als Grundlage, auf der sich überhaupt erst eine deutsche Einheitssprache herausgebildet hat. Offenbar war und ist diese einheitliche Sprache des Deutschen nicht statisch. Luthers Deutsch verstünde heute kaum jemand – am allerwenigsten wohl besagter Hohepriester.

Königliche Linke

Witzige Fußnote: Ausgerechnet Die Linke spricht in ihrer länglichen November-Abhandlung über die Entwicklung der Gehälter am Anhaltischen Theater – an dem Deutsch als Kulturgut gepflegt wird – vom „Salaire“ (französisch für „Lohn / Gehalt“) der Beschäftigten.

Begibt sich der Fraktionsvorsitzende als Autor des entsprechenden Beitrages nun auf die Spuren Friedrichs des Großen (König in respektive von Preußen)? Der Alte Fritz sprach besser und lieber Französisch als Deutsch. Als Sozialist war der Aristokrat indes nicht bekannt. Vielleicht sollte der Wortgebrauch aber auch nur ein Hinweis an die Blaunen sein. Immerhin gaben sehr rechte Vertreter den Alten Fritz als angeblichen politischen Ahnen ihres „Föhrers“ aus und ignorierten dessen kulturelle und politischen Vorlieben ebenso wie die heutigen Blaunen jegliche Kenntnis kultureller Sprachentwicklung vermissen lassen.

Dezember: Clownesk bis gelassen

Freie Gender-Clowneske

Gelegentliche helle Momente kann man Hans-Peter Dreibrodt nicht absprechen. Der vehemente Appell des Vorsitzenden der Freien Fraktion an Oberbürgermeister Robert Reck, in Sachen Regenbogenschule, den Willen des Stadtrates zu beherzigen war so eine Gelegenheit. In geradezu flammenden – wenn auch leicht leiernd vorgetragenen – Worten wehrte sich Dreibrodt gegen des OBs Ansinnen, den Standort der neuen Schule par ordre de mufti gegen den Rat durchzusetzen.

Zugegeben, die Aussage Dreibrodts, der Stadtrat sei der Dienstherr des OBs war schief, weil dem nicht so ist; Dienstherr ist die Gemeinde als Verwaltungseinheit, der Stadtrat als politische Vertretung der Bürger*innen ist ein konstituierendes Element dieser Einheit. Nichtsdestoweniger verdeutlichte die Formulierung die Kritik und ist insofern ein zulässiger rhetorischer Kunstgriff.

Weniger künstlerisch als vielmehr brachial ignorant muten hingegen Dreibrodts Verdrehungen in Sachen Gendern an. Er führt „Angestellte*innen“ und „Beamte*innen“ an, „um beispielhaft zu verdeutlichen, „wie schrecklich sich der Gender-Wahnsinn (…) auf unsere deutsche Sprache auswirkt“. Das ist doppelt dämlich, weil im Sinne korrekten Genderns doppelt verkehrt. Zwischen der Angestellten (Femininum) und dem Angestellten (Maskulinum) gibt es keinen grammatischen Unterschied. Ergo kann das Wort im Singular ebenso wenig gegendert werden wie im Plural (die Angestellten).

Im Falle der Beamtinnen und Beamten ist die Gender-Schreibweise Beamt*in nicht korrekt, weil die maskuline Wortendung (Beamter) nicht im femininen Wort (Beamtin) enthalten ist. Das Gendersternchen kann nur gesetzt werden, wenn das Wort respektive der Wortteil vor dem Sternchen einem korrekten Begriff entspricht. Würde durch das Gendern mit Sternchen eine Wortendung entfallen, wäre das Sternchen falsch gesetzt. Student*in ist also korrekt, Kolleg*in ist falsch, weil Kolleg kein vollständiges Wort ist.

Der langen Schreibe kurzer Sinn: Wenn man sich schon übers Gendern aufregen will, sollte man wenigsten wissen, worüber man sich aufregt. Ansonsten wird Kritik zur Komik – und der Kritiker angesichts seiner Unkenntnis zum Clown.

CDU: Gelassen mit Luther

Wie wohltuend gelassen kommt hingegen die CDU beim Thema Gendern daher: „Es wird sich das durchsetzen, was viele Menschen als angemessen und praktikabel erachten“, stellt Stadtrat Mike Jüling pragmatisch fest. Sein Verweis auf Artikel 5 Grundgesetz (Freiheit des Wortes – freie Meinungsäußerung) ist allerdings in diesem Zusammenhang Blödsinn. Wäre diese Norm einschlägig, könnte man gegen jedwedes Gender-Verbot vor dem Verfassungsgericht klagen. Die Richter*innen würden sich schief lachen angesichts einer entsprechenden Klageschrift.

Zustimmung würde CDU-Mann Jülich hingegen vom Rat für deutsche Rechtschreibung ernten. Der sieht seine Aufgabe nämlich nicht darin, Bürgerinnen und Bürgern hinsichtlich ihres Sprachgebrauchs zu bevormunden, sondern will das „Regelwerk“ anpassen „an den allgemeinen Wandel der Sprache“ (Statut des Rats für deutsche Rechtschreibung vom 17.06.2005 in der Fassung vom 30.03.2015).

Im Dezember 2023 lässt der Rat per Pressemitteilung verlauten: „Der Rat für deutsche Rechtschreibung wird die weitere Schreibentwicklung beobachten, denn geschlechtergerechte Schreibung ist aufgrund des gesellschaftlichen Wandels und der Schreibentwicklung noch im Fluss.“ Um mit Luther zu sprechen: Der Rechtschreibrat schaut dem Volk aufs Maul. Und die CDU tut es auch. Nicht die verkehrteste Vorgehensweise für eine Volkspartei.

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Manche Leute braucht man nicht zu parodieren. Es genügt, dass man sie zitiert.

Robert Neumann

Wie unabhängig soll’s denn sein?

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EILMELDUNG: Reck zieht Widerspruch zurück

Der Hauptverwaltungsbeamte der Stadt Dessau-Roßlau, Robert Reck, zieht seinen Widerspruch gegen den Neubau der Regenbogenschule an der Bernburger Straße zurück.

In der heutigen Sitzung des Hauptauschusses hat OB Reck bekannt gegeben, dass er seinen Widerspruch gegen den Neubau der Regenbogenschule an der Bernburger Straße im Quartier Leipziger Tor zurückzieht. Reck dringt weiterhin auf Sparsamkeit beim Bauvorhaben und gibt Bedenken hinsichtlich der Raumplanung zu Protokoll.

Verzeihung: In der ersten Version der Meldung (von unterwegs schnell ins Tablet getippt) war die Rede von der Breite Straße. Das war natürlich Käse. Korrekt ist die Bernburger Straße.

Kaputtsparen? Ausverkaufen? Vereinfachen!

Haushaltssperre verschärft Überlastung – Stadtrat beschließt zu viele Ausgaben

Scharfe Kritik an Haushaltssperre und Ausgabenpolitik des Stadtrates äußerten im Finanzausschuss Jacqueline Lohde und Bastian George. Mehr Eigenverantwortung und einfachere Verwaltungswege, forderte die Bürgermeisterin. Schon jetzt blieben geplante Investitionen liegen, weil die Mitarbeiter*innen der Verwaltung überlastet seien. Die Haushaltssperre verursache nun noch mehr bürokratischen Aufwand. Grünen-Stadtrat Bastian George warnte vor einem „Ausverkauf der Stadt“ und kritisierte teure Beschlussvorlagen der LINKEN.

Freie Stellen als Einsparpotenzial

Um den städtischen Haushalt zu konsolidieren, sei es erforderlich, „die Wiederbesetzung von Stellen wieder stärker als ein Instrument zur Konsolidierung durch Verschlankung von Strukturen und Verbesserung von Prozessabläufen und damit auch zur Personalreduzierung einzusetzen“, referierte Elke Wirth, Leiterin des Amtes für Stadtfinanzen in bestem Bürokratendeutsch. Übersetzt: Um Geld zu sparen, sollen derzeit in der Stadtverwaltung ausgeschriebene Stellen nicht besetzt werden. Dass der Haushalt derzeit noch relativ ausgeglichen wirke, liege daran, dass Arbeitsplätze in der Stadtverwaltung nicht besetzt sind. Entsprechend spare die Stadt Personalkosten. Nicht vorhandene Mitarbeiter*innen kosten nichts. Weil die entsprechenden Gehälter allerdings im Haushalt eingeplant sind, tatsächlich aber nicht gezahlt werden, ergibt sich buchungstechnisch eine Einsparung.

Investitionshemmnis Überlastung

Weil allein im Tiefbauamt 24 Mitarbeiter*innen fehlten, könne die Stadt schon heute geplante investive Maßnahmen nicht umsetzen, konterte Jaqueline Lohde. Als Baubeigeordnete verantwortet sie Bauprojekte, zu denen auch der Straßenbau zählt. Solche Investitionen in Sachanlagen werden im Haushalt auf der Haben-Seite, also unter den Aktiva einer Bilanz verbucht und zählen zum Vermögen. Je vermögender eine Kommune ist, desto mehr Ausgaben kann sie sich leisten. Kann eine Kommune keine Vermögenswerte schaffen, vermindert das tendenziell ihre Handlungsfähigkeit. Denn auf der Passiva-Seite verzeichnete Ausgaben beispielsweise für Personal in Jugendclubs müssen von den Aktiva ausbalanciert werden.

Zukunftsinvestition Jugendarbeit

Politisch bewertete Bastian George, Stadtrat der GRÜNEN in der „Bunten“ Fraktion, diese Feststellung: „Einsparungen bei Stellenbesetzungen bedeuten den Ausverkauf der Stadt!“ Die schon jetzt überlastete Verwaltung stehe vor der „Arbeitsunfähigkeit“. Er warnte vor Folgen für die Jugendarbeit. Angesichts von Überalterung und Einwohnerrückgang seien Ausgaben im Bereich der Jugendhilfe Investitionen in die Zukunft. In diesem Bereich dürfe nicht gekürzt werden. Hintergrund: Manche städtischen Jugendclubs bieten nur sehr begrenzte Öffnungszeiten an. Grund ist meist Personalmangel.

Zu viele teure Beschlüsse

George forderte klare Schwerpunktsetzungen in der Haushalts- und Ausgabenpolitik und kritisierte: „Der Stadtrat beschließt seit Monaten nur Ausgaben.“ Entsprechende Beschlussvorlagen lege vor allem „eine bestimmte Fraktion“ vor. Angesprochen fühlte sich Heidemarie Ehlert. Zu entsprechenden Vorlagen habe sie stets Finanzierungsvorschläge vorgelegt, ereiferte sich die Stadträtin der LINKEN und erntete aus dem Plenum die ironische Anmerkung, ihre Vorschläge beinhalteten meist Prüfaufträge an die Verwaltung. Die entsprechenden Mitarbeiter*innen müssen solche Vorschläge gegenrechnen und bewerten. Ergebnis: zusätzliche Arbeitsbelastung durch Prüfungen von Ausgaben.

Komplex denken

Auf das Bauressort sei ihre Anmerkung zum Sparen mittels Nichtbesetzung von Stellen gar nicht gemünzt gewesen, erläuterte hingegen Stadtfinanz-Chefin Würth. Man könne mit diesem Einsparpotenzial kreativ umgehen, hieß es sinngemäß von ihrer Seite. CDU-Mann Frank Rumpf befand denn auch, „wir müssen komplex denken“. Wie solcherlei Komplexität in konkretes Handeln umgesetzt werden kann, sagte er nicht.

Mehr Bürokratie wegen Sperre

Konkrete Folgen der Haushaltssperre benannte hingegen Baudezernentin Lohde. Ihre Mitarbeiter*innen müssten nun neben ihrer eigentlichen Arbeit zusätzliche Verwaltungsarbeit leisten. Für jede einzelne im Haushalt bereits vorgesehene Maßnahme müssten diese nun je eine Genehmigung beantragen. Folge: „Zusätzliche Arbeitsbelastung für jetzt schon überlastetes Personal!“ Übersetzt: Wegen letztlich unproduktiver Verwaltungsarbeit und Überregulierung bleiben noch mehr Investitionen liegen.

Vereinfachen statt regulieren

Lohdes Schlussfolgerung: Sparen durch Vereinfachung. „Die wenigen vorhandenen Leute müssen mehr Handlungsspielraum haben!“ Das gelte sowohl für die Arbeit des Tiefbauamtes als auch für die dringend notwendige Einstellungen auf unbesetzte Stellen: „Die Ausschreibungs- und Bewerbungsverfahren dauern ewig! In dieser Zeit rennen uns gut qualifizierte Bewerber davon“, lautete ihre trockene Feststellung. „Wir schieben hier Dinge hin und her und kriegen dabei eine Haushaltssperre.“ Den städtischen Angestellten erkläre dieses Hin und Her indessen niemand. Offenbar spielte sie damit auf die mangelnde Kommunikation der Sperre seitens des Oberbürgermeisters an.

Warnung vor WhatsApp

In die Kommunikations-Kerbe hieb auch Bastian George. „Unseriös“ sei die Bekanntgabe der Sperre per WhatsApp gewesen. OB Robert Reck hatte sich im Stadtrat damit gerechtfertigt, dass er einzelne Stadträte und Verwaltungsmitarbeiter mittels der Handy-App informiert habe. WhatsApp steht nicht zuletzt wegen mangelnden Datenschutzes in der Kritik. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit hatte schon im April 2020 vor der Verwendung der App in Bundesbehörden gewarnt.

Vorerst geheim: Klinikum

Gar nicht öffentlich kommunizieren wollte hingegen Elke Wirth zur Frage des Ausgleichs eines drohenden Defizits des städtischen Klinikums aus dem Stadthaushalt. Zwar insistierte der Grüne George darauf, zumindest Prozentzahlen zu nennen, „weil die Öffentlichkeit ein Recht auf diese Information hat“. Wirth jedoch bestand auf Beratung der Angelegenheit im nichtöffentlichen Teil der Sitzung und vertröstete auf die Stadtratssitzung im November. Dann würden Zahlen genannt. Die werden wohl nicht sonderlich ersprießlich ausfallen. Das jedenfalls lässt ihre Anregung vermuten, die Dessau-Roßlauer Landtagsabgeordneten mögen die Landesregierung dahingehend „sensibilisieren“, dass das Land einen Deckungsbeitrag zum städtischen Klinikum leisten solle. Von der SPD, die mit Holger Hövelmann einen Landtagsabgeordneten stellt, war niemand während der Sitzung anwesend.

Heftige Rüffel für Robert Reck: Stadtrat zu Regenbogenschule und Haushaltssperre

Kernproblem: Kommunikation

Freie und SPD-Fraktion in rhetorischer Hochform, „Bunte“-Stadträt*innen auf der Zinne, die Linke laviert und die CDU glänzt vor allem mit Zurückhaltung. Turbulent verlief die Stadtratssitzung am Mittwoch, 21. September 2023. Hauptthemen: Regenbogenschule und Haushaltssperre. Kernproblem: Die undurchsichtige Kommunikation der Verwaltungsspitze.

Recks Schuljungen-Attitüde

Robert Recks Attitüde erinnerte an die eines trotzigen Schuljungen. Allein seine „Ansicht“, Teile eines Beschlusses des Stadtrates seien rechtswidrig, reiche aus für einen Widerspruch, ließ der Oberbürgermeister wissen. Die vom OB selbst initiierte Machbarkeitsstudie zum Standort der Regenbogenschule tauge nicht als Entscheidungsgrundlage zu einem Standort. In der Luft zerrissen hatte zuvor Hans-Peter Dreibrodt den Widerspruch des OB gegen den vom Rat beschlossenen Standort Bernburger Straße. „Schwer unter der Gürtellinie“ sei Recks Versuch, die Lösung des seit Jahren vor sich hin dämmernden Problems weiter zu verzögern.

Dreibrodt: „Dubiose Varianten“

Sie zaubern ständig weitere dubiose Varianten aus dem Hut“, wetterte der Vorsitzende der Freien Fraktion. „Unerhört und abwegig“ sei zuletzt die „dubiose Variante“ Gropius-Gymnasium gewesen, nahm Dreibrodt rhetorisch Fahrt auf und belehrte Reck über die demokratische Rangordnung: Nicht der Oberbürgermeister sei dem Stadtrat vorgesetzt, sondern „wir sind Ihr Dienstherr“. Reck möge seinen Widerspruch „in der Schublade verschwinden lassen“. Dieser zeige nur, wie wenig Ahnung der Hauptverwaltungsbeamte von Anforderungen an eine Behindertenschule habe. Recks Gesichtsausdruck variierte zwischen angesäuert und belämmert.

Fricke: „Behinderte Kinder gehen nicht shoppen“

Genüsslich zerlegte nach diesem Auftakt SPD-Fraktionsvorsitzender Michael Fricke die rechtliche Begründung des Oberbürgermeisters für seinen Widerspruch gegen den Beschluss zur Bernburger Straße. Nicht ohne zuvor Recks politische Begründung für den bisherigen Standort der Schule in der Nordstadt einzuordnen. Recks Ansinnen, mit dem Erhalt des bisherigen Schulstandorts die Innenstadt zu beleben, charakterisierte Fricke als Farce: „Behinderte Kinder gehen nicht in der Innenstadt shoppen.

Die für den Fall des Erhaltes des Schulstandortes in der Nordstadt notwendige Interimsunterbringung der Schulräume für zwei bis drei Jahre in improvisierten Räumen betrachte Reck wohl nur als eine Phase, mutmaßte der SPD-Mann. „Für Kinder ist das aber eine ziemlich lange Zeit.“ Reck hatte bei seinen Vorschlägen eine solche Zwischenunterbringung ebenso als quasi technisches Problem dargestellt wie die in seinen Augen zu großzügig bemessenen Klassenräume der bisherigen Planungen.

Laut Fricke haben erneute Prüfungen eines Architektenbüros die Notwendigkeit der bislang vorgesehenen Raumgrößen bestätigt. Wie DeRoPolis berichtete, fußten die geplanten Raumgrößen auf Vorgaben der Schulleitung und waren laut vorliegender Machbarkeitsstudie vom Landesschulamt abgesegnet worden. Der OB möge dies und den „gut begründeten Beschluss des Stadtrates“ akzeptieren, anstatt nicht haltbare rechtliche Vorbehalte vorzuschieben. Dann legte der Jurist – Fricke ist Rechtsanwalt – los:

Ermessensspielraum der Stadt

Der von Reck für seinen Widerspruch bemühte Paragraf 11 Absatz 2 der Kommunalen Haushaltsverordnung sei auf Standortentscheidungen für Bauvorhaben überhaupt nicht anwendbar, referierte der SPD-Fraktionsvorsitzende. Der Paragraf schreibt für „Investitionen und Instandsetzungen“ vor, dass ein „Wirtschaftlichkeitsvergleich“ stattfinden muss. Gleiches gelte für Paragraf 98 des Kommunalverfassungsgesetzes; diese Norm definiert „Allgemeine Haushaltsgrundsätze“ gemäß denen „Sparsamkeit“ geboten ist. Beide Regelungen beziehen sich laut Fricke auf Wirtschaftlichkeitsaspekte und seien Standortentscheidungen nachgeordnet. Sprich: Erst nach der Festlegung des Standortes erfolge die Bewertung der Wirtschaftlichkeit des Bauvorhabens.

Grundsätzlich habe die Kommune also „weiten Ermessensspielraum“, bevor die Kommunalaufsicht überhaupt zum Zuge komme, argumentierte der Jurist von der SPD. Diverse Urteile von Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten bestätigten diese Sicht. Die „feststehende Rechtsprechung“ eröffne den Kommunen weiten politischen Spielraum. Diesen wolle der Stadtrat nicht zuletzt dafür nutzen, mit dem Standort Bernburger Straße die Entwicklung des Quartiers Leipziger Straße voran zu bringen.

Bernburger kostenneutral

Da zudem das Baudezernat die Option Bernburger Straße als günstigste Variante ausgewiesen habe und positive Effekte hinsichtlich der Quartierentwicklung berücksichtigt werden müssten, bewerte die SPD die Bernburger Straße als Option, das Quartier weitestgehend kostenneutral zu entwickeln. Beiseite wischte Fricke den Verweis auf die über die Lebenszeit eines Objekts gerechneten Folgekosten; eine solche Betrachtung hätte fast alle Bauvorhaben der Vergangenheit blockiert. Fazit der SPD: Der Beschluss Bernburger Straße sei „rechtlich möglich und politisch geboten“.

Für Ralf Schönemann von der LINKEN und CDU-Mann Eiko Adamek blieben nach diesen Vorträgen nur noch Statistenrollen: Ersterer sah Kompromissmöglichkeiten verspielt, Adamek verwies auf die seit Jahren bestehende Notwendigkeit einer Lösung. Beide sprachen sich im Namen ihrer Fraktionen für die Bernburger Straße aus.

„Überlegung“ zu Gropius-Gymnasium

So kam die Reihe der Redner an OB Robert Reck. Seinem in einen ziemlich tiefen politischen Brunnen gefallenen Widerspruch wollte er wohl einen Rettungsring hinterherwerfen – allein: derselbe entpuppte sich als reichlich luftleer. Sein von Dreibrodt kritisierter Vorschlag Gropius-Gymnasium sei gar kein solcher gewesen, haspelte Reck los. Es habe sich lediglich um eine „Überlegung“ gehandelt. Dieselbe als Vorschlag zu werten, sei „unredlich“, fühlte er sich missverstanden.

Der Standort Bernburger Straße sei nach seiner Berechnung der teuerste, führte Reck anhand zahlreicher und nicht immer leicht durchschaubarer Zahlenreihen aus. Quintessenz: Schulbauten anderer Kommunen seien kostengünstiger. Dass die Kosten für die von Reck zum Vergleich angeführte Panke Schule in Berlin bei kleinerem Flächenbedarf letztlich höher waren, als für einen Neubau an der Bernburger Straße veranschlagt (DeRoPolis berichtete), war ihm wohl ebenso entgangen wie die Tatsache, dass weder dort noch an der ebenfalls angeführten Albert-Schweitzer-Schule in Schwerin Schüler*innen in speziellen Betten liegend unterrichtet werden (die Schweriner Schule errichtet an der dortigen Adresse „Müßer Berg“ einen Neubau).

Irrelevante Studie?

Unbeholfen wirkten Recks Bemühungen, die vorliegende Machbarkeitsstudie als irrelevant für die Entscheidungsfindung darzustellen. Die Studie habe die Bernburger Straße betrachtet, obwohl dieser Standort überhaupt nie zur Diskussion gestanden habe. Schon im April habe er, Reck, verlauten lassen, die Studie sei als Beschlussgrundlage nicht geeignet. Die enthaltenen Kostenbetrachtungen seien unvollständig. Er habe schon damals um mehr Bedenkzeit gebeten.

Grabner: „In Aktion kommen!“

Was Reck mit seinen Ausführungen eigentlich erreichen wollte, blieb im Ungefähren. Irgendwie schien sich der Hauptverwaltungsbeamte von dem unter seiner Ägide beauftragten und erarbeiteten Papier distanzieren zu wollen. Womit er Isolde Grabner auf die sprichwörtliche Zinne jagte. „Sie zerrupfen ihre eigene Machbarkeitsstudie“, schimpfte die Stadträtin, die für Neues Forum-Bürgerliste der „Bunten“ Fraktion angehört. Reck müsse die Studie doch zig Mal auf dem Schreibtisch gehabt haben. Anstatt nun so zu tun, als habe er von nichts gewusst, möge er „dem Beschluss des Stadtrates Folge leisten und in Aktion kommen“.

Recks nunmehr endgültig weinerlich anmutende Erwiderung: Grabner könne gar nicht wissen, wann und wie oft er die Studie auf dem Schreibtisch gehabt habe. Dort lägen ja nun noch viel mehr Vorgänge. Schließlich sei er Oberbürgermeister einer 80.000- Einwohner-Stadt und habe als solcher noch andere Dinge zu tun.

Schönemann: „Lieber selber machen“

Linken-Fraktionschef Ralf Schönemann gab zwischendurch eine Verschwörungstheorie zum Besten. Auswärtige Architekturbüros, von denen Leistungen wie Machbarkeitsstudien eingekauft werden, seien ja oft mit ortsfremden Bauunternehmen verbandelt. Man müsse sich also nicht wundern, wenn der Auftrag zum Bau der neuen Schule nicht in Dessau-Roßlau bleibe.

Die Verwaltung solle entsprechende Gutachten lieber selbst erstellen und sich dafür mehr Zeit nehmen, forderte Schönemann. Diese Möglichkeit sei nun nicht mehr gegeben lavierte er herum, um schließlich das Ja der Linken zur Bernburger Straße zu verkünden. Die chronische Unterbesetzung des Bauressorts mit Ingenieuren dürfte dem Linken ebenso geläufig sein wie die bislang in dieser Angelegenheit ungenutzt verstrichenen Jahre. Schönemanns Recycling-Unternehmen verdient nicht zuletzt mit Bauschuttentsorgung.

Der Stadtrat hat seinen Beschluss, die neue Regenbogenschule an der Bernburger Straße anzusiedeln, mit großer Mehrheit erneuert.

Haushaltssperre laut Empfehlung

Vor dieser denkwürdigen Auseinandersetzung für erhitzte Gemüter gesorgt hatte das Aufreger-Thema Haushaltssperre. Gleich zu Beginn der Sitzung hatte Hauptverwaltungsbeamter Reck seine Gründe für die Verhängung der Sperre angeführt. Zusammengefasst: Er ist der entsprechenden Empfehlung der Stadtkämmerei gefolgt. Die habe vor einem Defizit von 25,4 Millionen Euro im laufenden Jahr und 9,4 Millionen Euro Unterdeckung bis 2026 gewarnt. Die späte Bekanntgabe respektive Information des Stadtrates und seiner Ausschüsse sei aufgrund eines Termins in der Staatskanzlei in Magdeburg zustande gekommen. Diesen Termin habe Reck prioritär wahrnehmen müssen. Informell seien aber Mitglieder des Stadtrates informiert gewesen. Dieses Vorgehen sei üblich.

Weber: „Unanständig!“

Henrik Weber, für Neues Forum-Bürgerliste Stadtrat der „Bunten“ Fraktion und ähnlich dem Bundeskanzler derzeit auf einem Auge gehandicapt aber deutlich temperamentvoller unterwegs, schäumte: „Ohne Not und Kommunikation“ habe Reck die Sperre „über Beschlüsse des Stadtrates hinweg“ verhängt. „Unanständig“ lautete sein Urteil. Der Vollzug des Haushaltes sei weit von 25 Millionen Defizit entfernt.

Fricke: „Unzulässig.“

Rechtlich unzulässig.“ In verbindlicherem Tonfall als Weber aber mit gleichermaßen kerniger Aussage ordnete der rechtsgelehrte SPD-Mann Fricke die Haushaltssperre ein und zog das Gesetz zurate. Demnach sei die Sperre unzulässig weil der Haushalt derzeit wie geplant und beschlossen vollzogen werde. Nur ein aktuell nicht ausgeglichener Haushalt hätte eine Sperre gerechtfertigt. Der derzeitige Haushalt bewege sich aber „im hellgrünen Bereich“.

Eine unverhohlene Drohung sandte den Chef der „Bunten“ Fraktion, Guido Fackiner, an die Adresse Recks: Dessen Informationen sowie seine Begründung der Sperre enthielten „ein buntes Gemisch aus Fakten, die teils nicht relevant sind“. Fackiner forderte die zeitnahe Vorlage eines klaren Zahlenwerks. Erfolge das nicht, wolle die Fraktion die Initiative ergreifen, die Haushaltssperre einzuschränken.

Überforderter HVB

Was bleibt ist der Eindruck eines hinsichtlich politischer Transparenz und Kommunikation restlos überforderten Hauptverwaltungsbeamten. Dessen Wurschtelei geht offenbar dem Stadtrat und anscheinend auch Menschen in höheren Positionen der städtischen Verwaltung gehörig auf die Nerven.

Altlasten und Rest-Posten-Recycling

CDU: Notdosen, LINKE: Story, SPD: Besinnung

Eine Fraktion fehlt im September-Amtsblatt. Genügend Gelegenheit also für leichte Lästereien. Es soll ja nicht langweilig bleiben in der Medienlandschaft unserer Stadt. Wer sich die Originalbeiträge auf den Fraktionsseiten zu Gemüte führen möchte, wird online mit den Suchbegriffen Amtsblatt und Dessau-Roßlau fündig.

Billig: Radler-Schutz und Notfalldosen

Nur fordern, was auch machbar ist. An dieses Motto will sich die CDU-Fraktion in der anstehenden Haushaltsdebatte halten, verkündet ihr Vorsitzender Heiko Adamek im September-Amtsblatt der Stadt Dessau-Roßlau. Die Christdemokraten knüpfen an ihr traditionelles Credo wirtschaftlicher und haushalterischer Disziplin an – und verknüpfen dasselbe mit praktischer Kreativität: Wenn der Ausbau des Radweges in Alt-Kochstedt kurzfristig nicht machbar (wahrscheinlich weil zu teuer) ist, kann ein Schutzstreifen für Radler*innen zumindest für etwas mehr Sicherheit sorgen. Die Fraktion wolle dieser Option „nachgehen“. Man darf gespannt sein, wie sie die Idee mit praktischer Initiative unterfüttert.

Weniger diszipliniert mutet der aufgewärmte Vorschlag an, die Stadtverwaltung möge kostenlose Notfalldosen ausgeben. Solche Dosen dienen der Aufbewahrung wichtiger Medikamente, damit Rettungskräfte diese im Falle eines Falles schnell finden. Die länglich geratene Gebrauchsanweisung (im Kühlschrank lagern) dazu erinnert an Artikel in einer Apothekenzeitschrift. Was das mit genuinen Aufgaben einer personell sowieso schon dünn aufgestellten Stadtverwaltung zu tun hat, bleibt das Geheimnis der Fraktion.

Sicherlich, die Döschen kosten nicht viel und sind ein nettes und von Apotheken oft als Werbegeschenk verteiltes Give-away. Kosten entstehen allerdings eher nicht durch die Beschaffung, sondern die entsprechende Administration und den damit verbundenen Arbeitsaufwand in der Verwaltung. Getreu dem Motto: Was ist die Steigerung von schlecht gemacht? Antwort: Gut gemeint.

Bunte knöpfen sich Blaune vor

Auseinander nimmt die „Bunte Fraktion“ (Grüne, FDP, Neues Forum-Bürgerliste) in ihrem Beitrag einen vermeintlichen Skandal: Den angeblichen Freibad-Sozial-Betrug. Entsprechende Gerüchte hatte die Blaune Fraktion (Partei mit blauen Logo und bräunlichen politischen Inhalten) gestreut und mit Fake-Beweisen garniert.

Die ebenso dilettantisch konstruierte wie dämlich initiierte Bade-Schmutzkampagne der Blaunen war schon in der örtlichen Zeitung als eben solche entlarvt worden (und das durchaus trocken). Aber gut, die Bunten zeigen zumindest den Willen, Propaganda und Desinformation entgegenzutreten. Ein zeitnah platzierter kerniger Kommentar per Leserbrief oder Pressemitteilung hätte wahrscheinlich mehr bewirkt, als das Ganze rückblickend aufzuwärmen. Aber: immerhin.

Kulturpass, Jugend und Kommunales

Was allerdings der folgende Hinweis auf den vom Bund initiierten und vergebenen Kulturpass genau mit Dessau-Roßlau zu tun hat, bleibt weitgehend neblig. Bereits im August unkte die lokale Presse, die hiesigen Angebote seien aufs Bauhaus und das Gartenreich beschränkt. Je öfter – und das ist die eigentliche Krux bei der Angelegenheit – sich die „normalen“ Fraktionen auf ihren Amtsblattseiten über Dinge auslassen, die keinen unmittelbaren Zusammenhang zur Stadt respektive zur Arbeit der jeweiligen Fraktion aufweisen, desto weiter steht das Tor offen für Falschmeldungen und Propaganda von einer Seite, die erst gar nicht vorgibt, in irgendeiner Weise konstruktiv mitzuwirken.

LINKE: Gut präsentierte Story

Geradezu professionelles Storytelling betreibt die LINKE und berichtet erst einmal von der Einschulung von „37 Kühnauer ABC Schützen“, um dann inhaltlich auf den Ortsentwicklungsplan des Jahres 2013 umzuschwenken. Dieser Plan war maßgeblich von Vertreterinnen und Vertretern der Partei im Ortschafts- und Stadtrat geprägt und erarbeitet worden. Damals stand die örtliche Grundschule vor dem Aus. Heute ist ihr Bestand jedenfalls vorläufig gesichert.

Als „Zwischenbilanz“ bezeichnet die LINKE ihren skizzenhaften Abgleich von Kommunalwahlprogramm 2019 und entsprechenden Beschlussvorlagen. Ermäßigte Parkkarten für ambulante Pflegedienste seien vom „inneren Wirkungskreis des Oberbürgermeisters abgelehnt“ worden. Eine nicht näher bezeichnete Vorlage zur „Verpachtung öffentlicher landwirtschaftlicher Nutzflächen“ wolle die Fraktion neu einreichen.

Konkrete Kommunalpolitik

Angesichts von der Stadt respektive dem Stadtrat an- und übernommener Beschlussvorlagen zur dauerhaften Bestellung eines Klimamanagers und zum Verzicht auf chemisch-synthetische Pestizide preist sich die LINKE selbst als besonders konstruktiv und beweint die ihr nicht gewidmete Aufmerksamkeit der lokalen Presse.

Nun gibt’s ja neben der irgendwo zwischen Lokalnachrichten, dem berühmten Kessel Buntes und Boulevard zu verortenden Zeitungsredaktion auch noch die kontinuierlichen steigenden Zugriffszahlen auf dieses Medium – und der Autor dieser Zeilen kann nicht verhehlen, dass die Fraktion der LINKEN tatsächlich kontinuierlich Rechenschaft über ihre politische Arbeit ab- und damit die sprichwörtliche Latte für andere Fraktionen hochlegt. Dafür gebührt der Fraktion Respekt.

Der Entsorger und die Altlasten

Redebeiträge vor allem sehr in der Vergangenheit verhafteter SED-Veteranen, die sich während des jüngsten Parteitages der LINKEN mit vierzigjähriger und längerer „Parteizugehörigkeit“ brüsteten, machen es Medienmenschen allerdings schwer, der Partei echtes politisches Gewicht beizumessen. Dass sich die Stadtratsfraktion von solcherlei DDR-Nostalgie abhebt, ist wahrscheinlich ihrem Vorsitzenden zuzuschreiben. Der kennt sich als Unternehmer in der Entsorgungs- und Recyclingbranche sicherlich mit dem fachgerechten Umgang mit Altlasten aus…

SPD: „Besinnungsaufsatz“

So leicht es einem die LINKE zuweilen macht, über sie zu lästern, so schwierig wird’s bei der SPD. Für die hat Ingolf Eichelberg eine komplette Amtsblattseite mit Lobhudelei über die Stadtmarketinggesellschaft gefüllt. Bei der hat er den Posten als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender inne. Eine Stimme aus der altehrwürdigen Partei selbst: Es handele sich um einen „Besinnungsaufsatz“. Prosa in Rosa sozusagen (so richtig rot kommt das Grußwort aus dem Aufsichtsrat nicht rüber). Man könnte eine Art politisches Recycling verbliebener Rest-Posten vermuten.

Pro Gewaltfreiheit – contra Behäbigkeit

Pro Dessau-Roßlau hat sich ausweislich des Berichts ihres Stadtrates Thomas Picek mit Beigeordneten und Dezernenten unterhalten, hatte aber anscheinend noch keine Zeit, daraus echte Forderungen abzuleiten. Anstatt von solchen zu schreiben, lässt die Fraktion wissen, was sie bewegt. Das mutet nett und gewaltfrei kommuniziert an, gibt aber keine Hinweise auf politische Vorhaben.

Dieselben werden aber wahrscheinlich überbewertet, denn, so lässt Marco Egelkraut wissen, in der Stadt ist „ganz schön was los“. Mit dem Verweis auf Konzerte und Feste kommt er zu dem Schluss, die Stadt sei „doch gar nicht so behäbig, wie mancher denkt“. Ach, wenn das doch auch für die Kommunalpolitik gälte…

Kein Blödsinn von den Blaunen

Wer nun Anmerkungen zur Blaunen Fraktion vermisst (das die Fraktion der Partei mit dem Blau im Logo und der bräunlich gefärbten Politik), die oder der sei vertröstet: Der Fraktion fiel anscheinend nichts ein. Oder sie wollte dem Autor dieser Zeilen nicht schon wieder eine Vorlage liefern…

Das Nazi-Flugblatt und der schweigende Oberbürgermeister

Robert Recks kommunikative Fehlleistung zu schutzsuchenden Jugendlichen in Roßlau

Es begann mit einem Neonazi-Flugblatt zu einer Asyl-WG und endet im Kommunikationsdesaster. Ohne Not redet die Beigeordnete für Soziales eine geplante Wohngemeinschaft für unbegleitete Jugendliche ins politische Desaster, die örtliche Zeitung ergeht sich in Sensationsgier und der Oberbürgermeister schweigt. Eine Woche des kommunikativen Chaos der Stadtverwaltung.

16. August 2023: Vereinzelt tauchen in Roßlau Flugblätter einer rechtsextremen Kleinstpartei auf. „Asylflut stoppen! Auch in unserer Region!“ heißt es. Urheber: Eine rechtsextreme Kleinstpartei. Laut Bundeszentrale für politische Bildung hat sie „ein stark neonazistisches Profil“. Auf den Flugblättern ist die Rede von einem „Asylheim“ für „sogenannte ‚minderjährige‘ Asylanten“. Es soll angeblich in Roßlau entstehen.

„Asylantenheim“ und Ahnungslosigkeit

22. August 2023: Sitzung des Ausschusses für Bürgeranliegen, öffentliche Sicherheit und Umwelt des Stadtrates Dessau-Roßlau. Ob in Roßlau ein „Asylantenheim“ geplant sei, will der Vertreter der Fraktion der Blaunen Partei (Partei mit blauem Logo und bräunlicher Ideologie) wissen. Der Beigeordnete für Bürgeranliegen, Sicherheit und Umweltschutz „weiß nicht, woher das Gerücht kommt“. Es gebe keine entsprechende Planung. Die Stadt verfolge das Konzept der dezentralen Unterbringung. Insofern könne von Heimen für Asylsuchende sowieso keine Rede sein.

26. August 2023: Die „Gerüchte“ zu einem angeblichen Heim für Schutzsuchende „sorgen für Unruhe“ titelt die lokale Presse. Oberbürgermeister Robert Reck weiß laut Bericht auch nichts. Er kenne „keinen Plan von einem neuen Heimstandort“. Ein solcher würde in den zuständigen Ausschüssen des Stadtrates vorgestellt. „Eine Vorlage“ entsprechenden Inhalts sei ihm nicht bekannt, sagt der OB laut Bericht, und betont, dass Vorlagen vor Beratung in den Dienstbesprechungen des OBs thematisiert würden. Allerdings habe man wegen der Flugblätter den Staatsschutz eingeschaltet.

Eter Hachmann, Beigeordnete für Soziales, belehrt lieber, als dass sie Auskunft erteilt: Laut Zeitung „riet [sie] (…) von einer Berichterstattung ab“ und vertröstete auf die kommende Woche. Dann habe sie „Zahlen und Fakten“, schreibt die Zeitung.

Nur ein Immobilienkauf

30. August 2023: Im Hauptausschuss greift der Führer der Blaunen Fraktion, Andreas Mrosek, das Thema erneut auf, fragt gleich zu Beginn nach dem angeblich geplanten Heim. Oberbürgermeister Robert Reck wiegelt ab. Von einem Heim wisse er nichts. Das infrage stehende Objekt in Roßlau sei von einem Freien Träger der Jugendhilfe gekauft worden, sagt die Bürgermeisterin und Beigeordnete für Bauen und Stadtgrün. In die Planung zur Nutzung des Objekts sei die Stadt derzeit nicht eingebunden. Anscheinend ist das Thema damit erledigt. Weit gefehlt…

Freie Träger: Privilegiert oder gewerblich

Was verbirgt sich hinter der Bezeichnung Freier Träger? Die Antwort gewinnt weiter unten Bedeutung. Kurz skizziert: Auf der öffentlichen, sprich staatlichen, Seite stehen die „Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe“. Das sind die Landesjugendämter und die örtlichen Jugendämter. Die Landesebene beaufsichtigt und koordiniert.

Zuständig für die Betreuung von Jugendlichen vor Ort sind die kommunalen Jugendämter. Sie erbringen entsprechende Leistungen in der Regel nicht selbst, sondern beauftragen und beaufsichtigen Freie Träger. Diese organisieren und betreiben zum Beispiel Wohngruppen für Jugendliche. Entsprechende Projekte müssen Freie Träger beim zuständigen Jugendamt beantragen und dabei Konzepte zu Betreuung und Organisation vorlegen.

Betreuung mit Gewinn

Freie Träger können gemeinnützig sein, dazu zählen kirchliche Organisationen wie Caritas und Diakonisches Werk, aber auch Hilfsorganisationen wie die Arbeiterwohlfahrt und das das Rote Kreuz. Die Gemeinnützigkeit dieser Träger ergibt sich aus der jeweiligen Rechtsform. Meist sind es gemeinnützige eingetragene Vereine (e.V.) oder gemeinnützige Gesellschaften mit beschränkter Haftung (gGmbH). Weil diese gemeinnützigen Träger Sitz und Stimme in den Jugendhilfeausschüssen der Jugendämter haben, gelten sie als privilegierte Träger.

Privat-gewerbliche Träger hingegen agieren mit Gewinnerzielungsabsicht; mit anderen Worten: Bei ihnen handelt es sich um Unternehmen, die Geld verdienen möchten; auch Betriebskindergärten gehören zu diesem Kreis. Diese privaten Träger müssen gegenüber den Jugendämtern Rechenschaft ablegen und Auskunft erteilen, sie sind nicht an Entscheidungsfindungen beteiligt, also nicht privilegiert. Ebenso wie gemeinnützige Freie Träger müssen gewerbliche Freie Träger qualifiziertes Personal und Konzepte vorweisen.

Vom Freibad zur Flüchtlingswohnung

Zurück zum Hauptausschuss: Mrosek wärmt den von seiner Partei während der Sommerpause inszenierten Pseudoskandal um angeblichen freien Eintritt in Freibäder für Asylsuchende auf. Das ist zwar längst widerlegt, aber darum geht es dem Blaunen-Führer offenbar auch gar nicht. Er nutzt das Thema, um wieder auf das angebliche „Asylheim“ zu kommen. Aus seiner Sicht „politischer Zündstoff vor Ort“. Wenn es um die Unterbringung von Asylsuchenden gehe, müssten die Einwohner quasi ein Mitspracherecht haben.

Geduldig erläutert Bürgermeisterin Lohde, Der Nutzungsantrag werde gemäß Bauordnungsrecht abgearbeitet. Die Nutzung eines Objekts als Wohnraum sei eine rein verwaltungsrechtliche Angelegenheit. Wohnen sei keine politische Angelegenheit, „egal wer wohnt“. Der Leiter des Schulverwaltungsamts, Stefan Kuras, sagt, ein Antrag auf Betreuung in dem Objekt von Kindern und Jugendlichen müsse beim Jugendamt gestellt werden, liege aber nicht vor. Die Zulassung als Freier Träger erteile das Landesjugendamt.

Bunte, SPD und Linke gegen Blaune

Silvia Koschig, für die Wählergemeinschaft Neues Forum-Bürgerliste Mitglied der Bunten Fraktion weiß anscheinend mehr. Sie berichtet, in dem umgebauten Objekt sollten Kinder unabhängig von ihrer Herkunft betreut werden. Es solle eine Hilfseinrichtung für gefährdete Kinder und Jugendliche werden.

Blaunen-Mann Mrosek giftet, nichtsdestoweniger würden Ausländer die „Straßen unsicher machen“. Einer offen neonazistischen Kleinstpartei und ihren Flugblättern will er wohl nicht das Feld überlassen. SPD-Fraktions-Chef Michael Fricke platzt der Kragen, schimpft: „Sie versuchen, mit dummem Gerede etwas am Kochen zu halten.“ Mrosek wolle einen Verwaltungsvorgang „politisch aufladen“. Ralf Schönemann, Vorsitzender der Linken-Fraktion, pflichtet ihm bei. Es gehe um Hilfe für gefährdete Kinder. Ende der Debatte.

Schlagzeile „Flüchtlings-WG“

1. September 2023: „Flüchtlings-WG in Roßlau“ macht die regionale Zeitung ihren Lokalteil auf und bezeichnet die Betreuung minderjähriger Asylbewerber als „Geschäft“, mit dem sich „viel Geld verdienen“ lasse. Grundlage ist offenbar ein Gespräch mit Eter Hachmann, der Beigeordneten für Soziales. Sie bewertet den Vorgang laut Bericht skeptisch. Mit sensationsheischenden Schlagzeilen kann man auch viel Geld verdienen.

An der Eignung des Objekts seien ebenso Zweifel angebracht wie am Ort an sich. Denn in Roßlau seien schon viele Unbegleitete Minderjährige Ausländer (UMA) untergebracht. Bislang zehn Personen in drei Wohngruppen. Für ganz Dessau-Roßlau zählt das Jugendamt 29 Personen. Verhindern könne die Stadt das Vorhaben laut Hachmann nicht und werde die Unterbringung auch gegen Widerstand der Bevölkerung durchsetzen, formuliert die Zeitung. Für die Sicherheit der Bevölkerung werde die Stadt aber sorgen.

Schweigen und Stolpern

Es bleibt gelindes Kopfschütteln. Wenn nicht mehr. Denn angesichts der skizzierten Fehlleistung in Sachen öffentlicher Kommunikation schüttelt es eher den ganzen Körper. Anstatt in der sich ankündigenden öffentliche Debatte offensiv und offen klare Akzente zu setzen, rennt die Stadtverwaltung den Ereignissen hinterher und verstolpert sich dabei aufs Ungeschickteste. Wobei: Was für Ereignisse? Es hat sich noch gar nichts ereignet.

Ein völkisch-neonazistisches Grüppchen hat ein hetzerisches Pamphlet verteilt. Etablierte örtliche Vertreter ähnlichen Gedankenguts wollen sich das Thema nicht wegnehmen lassen und blasen es mit einigen ideologisch unterfütterten Fragen zur Stadtaffäre auf. Die örtliche Presse wittert eine Chance, mit reißerischer Schlagzeile Auflage zu schinden. Eine Beigeordnete geriert sich, die Verwaltung und damit die Stadt als Opfer. Und der Oberbürgermeister schweigt.

Kommunikation ist Führung

Es ist kaum anzunehmen, dass das Vorhaben, einige Jugendliche in einer betreuten Wohngruppe in Roßlau unterzubringen, der Stadt erst seit Erscheinen des ominösen Flugblattes bekannt war. Sehr wohl ist aber angesichts der bisherigen Entwicklung davon auszugehen, dass es keine Vorüberlegungen – geschweige denn ein Konzept – dazu gegeben hat und gibt, wie die Stadtverwaltung das Vorhaben kommunizieren will.

In der demokratischen Debatte ist Führung im besten Sinne gleichzusetzen mit Kommunikation. Kommunikation erfordert ein Konzept. Ein solches Konzept beinhaltet klare Orientierungshilfe zu Kernbotschaften. Fachleute sprechen vom Agenda-Setting. Eine mögliche Agenda blinzelte zu Beginn sogar schüchtern durch den Vorhang des orientierungslosen Schweigens hindurch: Dezentrale Unterbringung.

Keine Heime in Dessau-Roßlau

In Dessau-Roßlau gibt es keine „Heime“, in denen Dutzende Schutzsuchende menschenunwürdig zusammengepfercht vegetieren. Dezentrale Unterbringung in kleinen Wohneinheiten gilt als Schlüssel zu gelingender Integration, weil sie den Menschen Eigenständigkeit, Privatsphäre und Würde bietet. Der für die neue Wohnung in Roßlau vorgesehene Träger hat offenbar Erfahrung. Die gesetzlichen Grundlagen sind klar und eindeutig.

All das hätte von Vornherein klar und deutlich kommuniziert werden können. Nicht von nachgeordneten Funktionsträgern in der Verwaltung, sondern von der Spitze derselben. Vom Hauptverwaltungsbeamten. Vom Oberbürgermeister. Der macht sich – ganz Staatsmann – lieber Gedanken um den Koalitionsvertrag der Regierungsparteien im Landtag und darum, dass dieser Vertrag für Dessau-Roßlaus Kultur (Stichwort: Übernahme der Gemäldesammlung und Zuschüsse fürs Anhaltische Theater – das Thema kommt in einem anderen Beitrag dran) irgendwie ungünstig sei.

Kommunikative Fehlleistung

Spätestens seit der Einbindung des Staatsschutzes angesichts der Neonazi-Propaganda hätte Robert Reck als oberster Vertreter nicht nur der Stadtverwaltung, sondern gleichsam als Repräsentant des demokratischen Souveräns die Führung übernehmen müssen. Wenn ihm schon augenscheinlich der politische Instinkt fehlt zu erkennen, wo sich eine gelinde Krise zusammenbraut, hätte er das Mittel der Wahl in der demokratischen politischen Auseinandersetzung ergreifen müssen, um sich vor Demokratie und Gesetz zu stellen: das klare und unmissverständliche Wort.

Doch Reck schweigt. Mehr und schlimmer noch: Er lässt Vertreter*innen der Verwaltung ohne Deckung ins kommunikative Desaster stolpern. Die Schlagzeile gewordene kommunikative Fehlleistung der Beigeordneten für Soziales ist letztlich fehlender Führungsverantwortung des Oberbürgermeisters geschuldet.

Konzentration?

Angesichts von sage und schreibe insgesamt zehn Jugendlichen von „Konzentration“ zu sprechen (so gibt die Zeitung Hachmanns Einlassungen wider), angesichts von drei Wohngemeinschaften dort eine „Verteilung“ zu fordern, ist dermaßen ungeschickt (gelinde ausgedrückt), da fällt die augenscheinlich fehlende Information und Maßgabe zur Kommunikation für den der Beigeordneten unterstellten Schulamtsleiter kaum noch ins Gewicht.

Zu Hachmanns Entschuldigung kann man höchstens annehmen, dass sie es in Sachen kommunikativer Orientierung für ihren Verantwortungsbereich ihrem Chef gleichgetan hat. Mit dem einen Unterschied, dass der OB beim Schweigen bleibt, während Hachmann sich um Kopf und Kragen und die Sache unangespitzt in Grund und Boden redet.

Regenbogenschule: Reck weiß nichts von OB-Vorlagen

Der OB kennt keine Vorlagen, die Verwaltung präsentiert falsche Kosten, Förderprogramme ignoriert man

Robert Reck weiß von nichts. Er wisse nicht, warum für die neue Regenbogenschule 78 Quadratmeter große Klassenzimmer vorgesehen sind, sagt er der örtlichen Zeitung. Das „enorme Raumprogramm“ der vorliegenden Planungen wolle er deshalb „hinterfragen“. Über den Platzbedarf habe man sich noch nicht unterhalten. Eingebrachte Vorlagen des Oberbürgermeisters beweisen das Gegenteil. Sie waren Grundlage für den Stadtratsbeschluss Bernburger Straße.

Reck will die Regenbogenschule am bisherigen Standort erhalten. Schwerst körperlich beeinträchtigte Schüler*innen will er während der Umbauphase in einen Ausweichstandort verfrachten, für „ein bis zwei Jahre“. Nach der Umbauzeit sollen die Kinder am alten Standort in kleineren Räumen unterrichtet werden als im bisherigen Konzept geplant.

DeRoPolis dokumentiert die bisherigen Vorgänge und die Aktenlage.

Februar 2022: Kriterien für Standort

8. Februar 2022. Der Stadtrat berät die Beschlussvorlage mit der Drucksachennummer BV/387/2021/V-40. Einreicher: Der Oberbürgermeister. Seit August 2021 Robert Reck. Gegenstand der Vorlage: Eine „wirtschaftliche Untersuchung eines neuen Standortes für die Schule für Geistigbehinderte (Regenbogenschule)“. Die Studie soll im August des selben Jahres vorliegen. Der Stadtrat stimmt zu.

Anlage 3 zur Beschlussvorlage aus Februar 2022: Eine tabellarische Aufstellung der „Kriterien für Standortentscheidung (Stand: 07.12.2021)“. Darin aufgeführt: Die Größe der infrage kommenden Grundstücke. Am bisherigen Standort Breite Straße 8.358 Quadratmeter. An der Bernburger Straße 21.904 Quadratmeter. An beiden Standorten liegt je ein „städtebaulicher Missstand“ vor. Zum Punkt „Planungsrecht“: Voraussetzungen für Bauvorhaben sind an beiden Standorten gegeben. Für die Bernburger Straße führt die Tabelle zusätzlich den Punkt „Quartierskonzept Leipziger Tor“ an; „Ziel: Quartiersbezogene Angebote der Grundschulbildung und für das Gemeinwesen“.

Sporthalle und Teilhabe

An beiden Standorten muss laut Anlage jeweils eine neue Sporthalle gebaut werden. Die Doppelnutzung der Sporthalle am Friederikenplatz sei am Standort Breite Straße nicht ausreichend. An der Bernburger Straße ist eine „Sporthallenruine auf dem Grundstück“ vorhanden. Um den Sportplatz am Friederikenplatz zu erreichen, müssen Schüler*innen rund einen halben Kilometer zurücklegen. Auf dem Gelände an der Bernburger Straße ist ein Sportplatz vorhanden.

Auch kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe soll den Kindern am jeweiligen Schulstandort möglich sein. Von der Breiten Straße aus soll dies laut Tabelle mittels der Nähe der Zerbster Straße (ca. 540 Meter Entfernung) gewährleistet sein. An der Bernburger Straße liegt in 350 Metern Entfernung der Thomas-Müntzer-Jugendclub.

Prüfergebnis unter Berücksichtigung aller betrachteten Faktoren laut der vom Oberbürgermeister eingebrachten Beschlussvorlage: Breite Straße – nicht geeignet. Bernburger Straße – geeignet.

April 2023: Studie im Stadtrat nicht bekannt

April 2023. Die örtliche Presse berichtet von Unmut seitens Stadträtinnen und -räten im Hauptausschuss. Grund: Dem Stadtrat ist die per Beschluss vom Februar 2022 (siehe oben) beauftragte Machbarkeitsstudie zum neuen Standort der Regenbogenschule nicht bekannt.

Mai 2023: Breite Straße nicht vertretbar

Mai 2023. Im Ausschuss für Gesundheit, Bildung und Soziales reicht der Oberbürgermeister Drucksache Nummer IV/026/2023/IV-40 als Vorlage ein. Titel: „Sachstand zur Standortentscheidung Förderschule für Geistigbehinderte.“ Thema: „Die Stadtverwaltung informiert über den Sachstand des Standortvergleichs sowie über neue Erkenntnisse und die daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen.“

Fazit der Verwaltung: Am Standort Breite Straße „ist eine vollständige Unterbringung des Raumprogramms (…) aus städtebaulichen und stadtökologischen Gründen nicht vertretbar“. Der Bau würde den durchgängigen Grünzug am Friederikenplatz „zerschneiden“. Fördermittel beispielsweise vom Land könnten nur in Anspruch genommen werden, wenn zuvor das Integrierte Stadtentwicklungskonzept und der Fördergebietskulisse angepasst werden. Klimaneutrale Bauweise sei nur eingeschränkt möglich. Der Baugrund berge Risiken.

Zum Standort Bernburger Straße schreibt die Verwaltung: „(…) ist für die geplante Nutzung sehr gut geeignet.“ Vorteile seien insbesondere, dass Schulgebäude und Sportanlagen auf einem Grundstück lägen, die Gebäude klimaneutral konzipiert werden könnten und keine Interimsunterbringung der Schüler*innen notwendig wäre.

40 Millionen Euro kosten

Für „alle betrachteten Varianten“ (also beide hier angesprochenen Standorte) lägen die Kosten bei rund 40 Millionen Euro zuzüglich rund vier Millionen Euro für klimagerechte Bauweise. Bis zum Jahr 2026 habe die Stadt 15 Millionen Euro eingeplant. Förderprogramme seien nicht vorhanden. Im ungünstigsten Falle müsse die Stadt die komplette Summe selbst aufbringen. Das klingt erst einmal sehr pessimistisch.

Aber die Verwaltung schreibt weiter: „Im weiteren Verfahren müssen eventuelle städtebauliche, energetische und schulbauliche Finanzierungsmöglichkeiten über Land und Bund weiter intensiv verfolgt werden.“ Denn sie sieht „für den Standort Bernburger Straße gute Fördermöglichkeiten im Rahmen der Städtebauförderung („Sozialer Zusammenhalt“) und auch für nachhaltiges, klimaneutrales Bauen“. Die Lage ist also zumindest nicht hoffnungslos.

Vergleichen und sparen

Hoffnung hegt die Verwaltung insbesondere hinsichtlich der Gesamtbaukosten. Die sollten reduziert werden. Dazu „wurde die Aufgabenstellung noch einmal grundsätzlich hinterfragt, um mögliche Einsparpotentiale aufzeigen zu können.“ Zum Hinterfragen gehöre „eine Betrachtung von Neubauten in anderen Gemeinden“ sowie „eine Überprüfung der Flächen- und Kostenkennziffern“. Mit anderen Worten: Schauen, was andere machen und selbst kleiner und billiger bauen.

Vier Bauvorhaben für Förderschulen führt die Verwaltung auf. In Senftenberg, Cuxhaven, Celle und Berlin. Jedes einzelne weist eine kleinere Baufläche auf als für die Regenbogenschule (10.000 Quadratmeter) geplant. Das mit 4.500 Quadratmetern kleinste Vergleichsprojekt in Cuxhaven ist mit 38 Millionen Euro (Stand 2023) das teuerste.

Referenzobjekt zu billig veranschlagt

Als Referenzprojekt ausgewählt hat die Verwaltung die zum Zeitpunkt der Vorlage im Bau befindliche Panke-Förderschule Berlin mit 8.700 Quadratmetern Baufläche und Kosten von angeblich nur 27,5 Millionen Euro. Die Verwaltung merkt dazu an: „In einem Zeitungsartikel war von erheblichen Mehrkosten zu lesen, dem konnte aber noch nicht weiter nachgegangen werden.“

Die angegebene Summe stammt aus der Auslobung des Bauprojekts aus dem Jahre 2017. Am 8. Juni 2023 veranschlagt das Bezirksamt Pankow in Berlin die Baukosten für die Panke-Schule in einer Pressemitteilung zur Eröffnung der Schule mit 47 Millionen Euro. Die Dessau-Roßlauer Verwaltung will im März 2023 nicht gemerkt haben, dass Kosten für die Schule in Berlin seit 2017 um 20 Millionen Euro gestiegen sind und rechnet und vergleicht fröhlich mit einer Fantasie-Summe. Dazu später mehr.

eigentlich unvergleichbar

So richtig vergleichen könne man die Berliner Schule aber sowieso nicht mit der Regenbogenschule. Denn in Berlin Pankow werden keine Schüler*innen unterrichtet, die aufgrund schwerer körperlicher Beeinträchtigungen auch im Klassenraum in Spezialbetten liegen müssen. In Pankow wurden deshalb von vornherein kleinere Räume geplant. Günstiger sind die aber auch nur, wenn man die von der Dessau-Roßlauer Verwaltung um schlappe 20 Millionen Euro zu billig angesetzten Kosten zugrunde legt.

Juni 2023: Stadtratsbeschluss

Juni 2023. Der Stadtrat beschließt: An der Bernburger Straße soll ein Neubau für die chronisch überlastete Regenbogenschule entstehen. Grundlage des Beschlusses ist die von OB Reck initiierte Studie zur wirtschaftlichen Machbarkeit.

Juli 2023: Widerspruch des OB

Juli 2023. Oberbürgermeister Reck legt Widerspruch gegen den Beschluss des Stadtrates ein. Kommunalverfassungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt, Paragraf 65, Absatz 3: „Der Hauptverwaltungsbeamte muss Beschlüssen der Vertretung widersprechen, wenn er der Auffassung ist, dass diese rechtswidrig sind. Er kann Beschlüssen widersprechen, wenn diese für die Kommune nachteilig sind.“ Reck begründet seinen Widerspruch zunächst nicht.

August 2023: Reck kennt eigene Vorlage nicht

August 2023. Laut Bericht der örtlichen Zeitung weiß OB Reck nicht, warum die Ersteller der Machbarkeitsstudie zur Regenbogenschule die Größe der Sporthalle „über dem geforderten Maß“ angesetzt hätten. Wieso die Studie mit einer Klassenraumgröße von 78 Quadratmetern (dem laut Zeitungsbericht „oberen Rand der Vorgabe“) geplant habe, weiß Reck auch nicht. Sagt er jedenfalls der Zeitung. Also der Öffentlichkeit. Die Zeitung zitiert Reck mit dem Satz „Da müssen Sie diejenigen fragen, die die Studie gemacht haben.“

Kennt Reck die Vorlagen seines eigenen Hauses nicht? Der besagten Drucksache Nummer IV/026/2023/IV-40 liegt die Studie der beauftragten arc architekturconzept GmbH aus Magdeburg bei (Anlage 2 Studie). Auf Seite 11 führt die Studie unter der Überschrift „Zusatzinformation zur Aufgabenstellung: Neue GB-Schule“ (GB steht augenscheinlich für Geistigbehinderte): „Anzahl der zu schaffenden Klassenräume: 20. Größe: Ca. 80 m2 je Raum, quadratische Grundfläche bevorzugt, 9m x 9m“ – und neun mal neun Meter ergibt sogar 81 Quadratmeter. Herr Reck wusste das nicht?

Auf der selben, von den Erstellern der Studie als Kopie eingefügten Seite: „Jede Klasse benötigt einen zugehörigen Lagerraum. (Teilung zwischen zwei Klassen möglich.) Größe: ca. 20 m2“ (Hervorhebungen im Original). Wer diese Zusatzinformationen verfasst hat, geht aus der Unterlage nicht hervor. Die Studienersteller waren es offensichtlich nicht. Auf den Seiten 12 bis 15 folgt ein Schreiben mit dem Titel „Kriterien zur Standortwahl Regenbogenschule. Förderschule für Geistigbehinderte“ auf dem Briefpapier der Schule, mit Namensangabe der Schulleiterin, datiert auf den 14.10.2021. Herr Reck wusste das nicht?

Landesschulamt: Stempel für Raumprogramm

Nach der Kapitelüberschrift „02 Anerkanntes Raumprogramm“ auf Seite 18 führt die Studie auf den Seiten 19 bis 23 das „Raumprogramm“ der neuen Regenbogenschule tabellarisch und mit einer ergänzenden Skizze versehen auf. Jede einzelne Seite ist abgestempelt vom „Landesschulamt, Nebenstelle Dessau-Roßlau, Nantegasse 6, 06844 Dessau-Roßlau“. Die Größe jedes einzelnen Klassenraums ist mit 78 Quadratmetern angegeben. Herr Reck wusste das nicht?

Robert Reck sagt der Zeitung laut Bericht vom 26. August 2023, man sei „noch nicht einmal ins Gespräch über die Größe der Schule gekommen“ und fordert, „das enorme Raumprogramm zu hinterfragen“. Der skizzierten Aktenlage nach bestand der einzige Grund, etwas zu hinterfragen, in dem angenommenen, aber nicht existenten enormen Kostenunterschied zwischen der Dessau-Roßlauer Kalkulation und jener der Berliner.

Berlin: 20 Millionen mehrkosten verschwiegen

Nur war die Kalkulation aus Berlin eben schon lange Makulatur und wich von vornherein von dem hiesigen Konzept ab, weil in Berlin schlicht keine größeren Räume gebraucht wurden und werden. Es liegt der Verdacht nahe, mit der Hinterfragerei sollen Stadtrat und Öffentlichkeit hinter die Fichte geführt werden.

Unverdrossen behauptet Reck, eine Verlegung der Regenbogenschule an die Bernburger Straße schade der (Innen-)Stadt, weil dann an der Breiten Straße ein Leerstand entstehe. Laut Anlage 3 zur Drucksache BV/387/2021/V-40 aus Februar 2023 ist aber auch der derzeitige Zustand des Areals an der Bernburger Straße ein „städtebaulicher Misstand“. Der würde mit dem Neubau beseitigt. Profitieren würde davon das Quartier Leipziger Tor. Dessen Entwicklung ist angeblich ein Schwerpunkt in der Stadtentwicklung.

Eigentümer zeigt interesse, Reck will

Nicht profitieren würde vom Standort Bernburger Straße allerdings „der Eigentümer von Nachbargrundstücken der Breiten Straße“. Dieser nicht näher bezeichnete Eigentümer hat laut Drucksache Nummer IV/026/2023/IV-40 aus Mai 2023 „Interesse an einer gemeinsamen Entwicklung des Standorts signalisiert“. Die Stadtverwaltung werde deshalb im Gespräch mit diesem Eigentümer „bislang nicht bekannte Synergien“ ausloten. Aber: „Andererseits würde der Erwerb von Grundstücken zu zusätzlichem Zeitaufwand führen und weitere Kosten verursachen.“ All das steht im Papier der Verwaltung.

Bei diesem Eigentümer kann es sich nur um die stadteigene Dessauer Wohnungsbaugesellschaft GmbH (DWG) handeln (DeRoPolis berichtete). Andere Wohnungsunternehmen mit Bestand in der Nachbarschaft bestreiten vehement, Wohnungsblöcke verkaufen zu wollen. Das Platzproblem der Schule an der Breiten Straße ist damit quasi unlösbar.

Rechtswidrig ist der Beschluss des Stadtrates zum Neubau an der Bernburger Straße offenbar nicht. Die Planungen sind mitsamt der von Robert Reck bemängelten Raumgröße schlüssig gemäß pädagogischen Notwendigkeiten dargelegt. Das Landesschulamt hat das Ganze billigend zur Kenntnis genommen (siehe oben). Laut Kommunalverfassung muss Reck also nicht widersprechen. Er will es.

drei Faktoren

Recks Wille zum Widerspruch kann rational nur mit drei Faktoren erklärt werden, aus denen er Nachteile für die Stadt ableitet: 1. Er nimmt an, dass in Dessau-Roßlau im Vergleich zu den angenommenen Kosten für die eigentlich als Vergleichsobjekt ungeeignete Schule in Berlin zu teuer kalkuliert wurde. 2. Er will Leerstände in Innenstadtnähe um jeden Preis vermeiden, um sein Wahlversprechen der Förderung der Innenstadt zumindest pro forma zu erfüllen. 3. Er will den Schulneubau an der Breiten Straße als Beitrag zur Sanierung der DWG nutzen, denn die könnte weitgehend leerstehende Wohnungsblöcke günstig an die Stadt, ihre Eigentümerin verscherbeln.

Faktor 1. läuft ins Leere, weil die Verwaltung ohne weitere Prüfung von einem viel zu geringen Kostenansatz für die Vergleichsschule in Berlin ausgegangen ist. Tatsächlich ist die dortige kleinere Schule Stand heute teurer als die für die neue Regenbogenschule veranschlagte Summe. Faktor 2. zeigte Recks Desinteresse an der Entwicklung des Quartiers Leipziger Tor, das von der Schule an der Bernburger Straße nachhaltig profitierte. Faktor 3. bewiese ein rein technokratisches Verständnis von Stadtentwicklung, in dem Kinder und pädagogische Notwendigkeiten bestenfalls eine untergeordnete Rolle spielen.

Studie: Sieben Förderprogramme

Wenn Einzelheiten zum Schulneubau der Regenbogenschule bislang nicht ausreichend gewürdigt worden sind, gilt das augenscheinlich vor allem für mögliche Förderungen des Baus mit Landes- und Bundesmitteln. Sieben (als Ziffer: 7) Förderprogramme führt die Machbarkeitsstudie auf Seite 52 an, versehen mit der Anmerkung „Zuarbeit Klimaschutzmanager der Stadt Dessau-Roßlau“.

Die Programme sind allesamt für die Förderung klimaneutraler Bauten gedacht. Zum Tragen kämen die entsprechenden Zuschüsse vor allem bei einem Neubau am Standort Bernburger Straße. Denn in der Breiten Straße ließe sich klimaneutrale Bauweise laut Machbarkeitsstudie nur unzureichend realisieren.

Kennt Reck auch diese Empfehlungen aus seiner Verwaltung nicht? Oder ignoriert er sie, weil die Zuschüsse eben am ehesten an der Bernburger Straße fließen würden? Wie dem auch sei, angesprochen hat Reck diese Finanzierungsmöglichkeiten jedenfalls bislang öffentlich nicht. Vergäbe der Oberbürgermeister diese Chancen, Gelder für die Stadt zu sichern, wäre das auf jeden Fall ein Nachteil für die Stadt – und für die Kinder.

Recks Rechtsauffassung

Es bleibt die Frage, ob auch Recks Interpretation der rechtlichen Grundlagen für seinen Widerspruch auf Unwissenheit beruht oder er sich absichtlich im Ungefähren bewegt. Gegenüber der örtlichen Zeitung gibt der OB zu verstehen, er müsse seinen Widerspruch „aus rechtlichen Gründen“ aufrecht erhalten – schreibt jedenfalls das Blatt. Gleichsam wolle Reck aber nicht durch alle Instanzen gehen. Als ob es dem OB obliegt zu bestimmen, bis zu welchem Grad öffentliches Recht gilt.

Wenn ein Ratsbeschluss rechtswidrig ist, muss der OB als Hauptverwaltungsbeamter Widerspruch einlegen, sagt die Kommunalverfassung. Täte er es nicht, verletzte er seine Dienstpflicht. Ein solcher Rechtsverstoß muss von Amts wegen verfolgt und korrigiert werden. Politischen Spielraum gibt es dabei nicht.

Politisch nackig

Macht der OB aber von seinem Kann-Recht zum Widerspruch Gebrauch, weil er einen Ratsbeschluss politisch als nachteilig bewertet, muss sich der Stadtrat erneut mit der Thematik befassen und kann den OB überstimmen. Dann gibt es keinen Rechtsweg und keine Instanzen. Dann ist es Politik. Ein überstimmter OB hat sich im Zweifelsfall schlicht politisch entblößt. Und sei es, weil er die Vorlagen der eigenen Verwaltung unter Nichtwissen verbucht.

Recks gnädige Ankündigung, seinen Widerspruch nicht „durch alle Instanzen“ – die es in dieser politischen Causa offenbar gar nicht gibt, denn Rechtsinstanzen kommen angesichts fehlender Rechtsverletzung ga nicht zum Tragen – zu verfolgen, ist eine rhetorische Nebelkerze. Der Nebel des angeblichen Nichtwissens soll seine politische Blöße verhüllen. Bleibt zu hoffen, dass der Stadtrat das Nebelhorn erklingen lässt, das dem OB Orientierung bietet.

Eis wächst, Hirn schmilzt – AfD-Propaganda mit amtlichem Segen

Mrosek, Eis und Klimawandel – Propaganda, Stadt und Verantwortung – Wachsendes Eis, schmelzender Verstand

Die Blaunen, von denen hier die Schreibe ist, sind jene Partei, die im Logo an der Farbe Blau und hinsichtlich ihrer politischen Ausrichtung an einer an Erdtöne erinnernden Farbe zu erkennen ist.

Das Amtsblatt der Stadt Dessau-Roßlau, auf das sich dieser Beitrag bezieht, finden Sie in Ihrem Briefkasten oder online – einfach per Suchmaschine nach Amtsblatt und Ort suchen.

Die Blaune Partei ist lernfähig. Zumindest in Dessau-Roßlau. Solch eine Feststellung hätten Sie, werte Leser*innen nicht auf diesem Blog erwartet? Nun, wir müssen ja nicht nur den Tatsachen in die Pupille blicken, sondern neben gutem Willen auch pädagogische Grundsätze berücksichtigen. Und die besagen nun einmal, jeder Kritik sollte ein Lob vorgeschaltet werden. Schon wegen der Erwartungshaltung der Angesprochenen. Die soll quasi geöffnet werden, um der Erkenntnis den Weg zu bahnen. Das gilt übrigens nicht nur für die Blaunen-Beiträge im städtischen Amtsblatt, sondern auch für dessen Herausgeberin, die Stadtverwaltung. Dazu später mehr.

Die Erde ist rund!

Worin also besteht der Erkenntniszuwachs bei den Blaunen, namentlich bei ihrem örtlichen Führer, dem Vorsitzenden der Blaunen Stadtratsfraktion Andreas Mrosek? (*Trommelwirbel*)

Die Erde ist rund! Der gelernte Nautiker Mrosek – alias Käpt’n Blaunbär – hat erkannt: Die Erde ist ein Ball. Wer nach Süden fährt und die Reise lange genug geradeaus fortsetzt, kommt sozusagen mit kleinem Umweg irgendwann am Nordpol an. Nun gilt es nur noch, an Feinheiten zu feilen. Im vorliegenden Fall an der Vorsilbe „Ant-“. Die wechselt nämlich auch bei einer in Richtung Süden beginnenden und in der Arktis endenden Erdumrundung weder Bedeutung noch Polkappe.

Nordpol? Südpol? Hauptsache Eis.

Bitte was? Nun ja, wir müssen uns wohl kurz in eine von alternativen Fakten geprägte Gedankenwelt versetzen: Getreu dem Motto „egal, ob Nord oder Süd, Hauptsache Eis“ zitiert Mrosek in der August-Ausgabe des örtlichen Amtsblatts eine Studie der European Geosciences Union (EGU). Sie belege, dass es den Klimawandel nicht gebe. Angeblicher Beweis: Die Fläche des arktischen Eises (also am Nordpol) sei seit 2009 um 5.305 Quadratkilometer gewachsen und habe 661 Gigatonnen Masse zugelegt, schreibt Mrosek.

Das ist Nonsens. Die EGU hatte die Eismassen der Antarktis (Südpol) untersucht. Zwar stimmen die von Mrosek zitierten Zahlenangaben zu Wachstum von Masse und Fläche des Eises. Die geografische Zuordnung ist jedoch ebenso falsch wie der vom blaunen Unterführer konstruierte Zusammenhang zur angeblich nicht vorhandenen Erderwärmung. Die Behauptung, die Studie widerlege den Klimawandel, ist reine Fantasie. Was aber stimmt?

Kalbende gletscher

Auf der frei zugänglichen Wissenschaftswebsite „copernicus.org“ stellt die EGU eine Studie vor, die die wissenschaftliche Methodik zur Messung und Bewertung des Abbruchverhaltens antarktischer Eismassen untersucht. Hintergrund: Von polarem Eis (egal ob am Nord- oder Südpol) abbrechende Eisberge (Glaziologen sprechen vom Kalben der Gletscher) schmelzen relativ schnell ab und tragen zum Steigen der globalen Meerespegel bei. Wichtigste Erkenntnis der Forscher*innen: Um valide Aussagen über den langfristigen Einfluss des Kalbungsverhalten treffen zu können, müssen bislang kaum berücksichtigte Daten aus der Beobachtung der Pole per Satellit ausgewertet und in neue Berechnungsmodelle übertragen werden.

Für den Zeitraum 2009 bis 2019 haben die Forscher*innen entsprechende Daten zur Entwicklung des gesamten antarktischen Eisschildes ausgewertet. Eine laut Studie neue Methode. Üblich sei bislang die Betrachtung einzelner, regionaler Eisplatten. 34 Eisschelfe wurden binnen der zehn Jahre untersucht. Allein 2017 seien 5.917 Quadratkilometer Eis bei einer einzigen Kalbung des Larsen-C-Schelfs im Weddel-Meer abgebrochen. Der entstandene und seither abschmelzende Eisberg war doppelt so groß wie das Saarland. Zahlreiche Medien berichteten auch in Deutschland über das Ereignis.

Gelegenheit macht Eisberge

Insgesamt allerdings seien Masse und Fläche des gesamten antarktischen Eises im fraglichen Zeitraum tatsächlich um die oben genannten Werte gewachsen.

Betrachten wir diese Entwicklung mit ein bisschen Logik und Grundkenntnissen aus dem Matheunterricht der Mittelstufe: Wächst eine Fläche, vergrößert sich ihr Umfang. Mit dem Flächenwachstum des antarktischen Eispanzers geht die Vergrößerung seines Umfangs einher. Ergo verlängert sich die Eisküste, von der Eisberge abbrechen können. Die Wahrscheinlichkeit wächst, dass Schelfe kalben und riesige Eismassen immer schneller abtauen. Vor allem in der Westantarktistark. Die dortigen Seegebiete erwärmen sich besonders rasant. Grund sind offenbar Tiefenströmungen im Meer. Diese Erwärmung haben Wissenschaftler*innen des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung schon 2014 nachgewiesen und betrachten sie als Folge des Klimawandels. Gerade die kurzfristig gewachsende Eisfläche erhöht also den Abschmelzbeitrag zum steigenden Meeresspiegel. Gelegenheit macht Eisberge. Nach 2019 erhobene Daten belegen die Richtigkeit dieser Schlussfolgerung.

2023: Spektakulärer Verlust an Eis

Keine einzige Silbe der EGU-Forscher*innen legt nahe, die binnen zehn Jahren gemessene Zunahme der gesamten antarktischen Eismasse widerlege den Klimawandel. Dafür wäre der Betrachtungszeitraum viel zu kurz. Globale Entwicklungen spielen sich nicht binnen eines willkürlich gewählten Jahrzehnts ab. Deshalb schlägt die Studie vor, die vorgestellte wissenschaftliche Methodik auf längere Zeiträume anzuwenden und dafür ältere Daten aus der Satellitenbeobachtung auszuwerten.

2022 wich die Eismasse in der Antarktis bereits erheblich vom Durchschnittswert ab – nach unten. Der Eispanzer war merklich geschrumpft. Seit Mitte Mai 2023 ist im Vergleich zum Mittelwert früherer Jahrzehnte um ein Vielfaches weniger Eis in der Arktis vorhanden – und der Trend setzt sich ausweislich jüngster Daten immer schneller fort. „Spektakulär“ und „beunruhigend“ findet das der Bremer Professor für Meereseisphysik Christian Haas laut jüngster Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung. Ein Zusammenhang zum Klimawandel sei nicht auszuschließen.

Käpt’n Blaunbärs Eisbärenfell

Käpt’n Blaunbärs (Mrosek ist Nautiker) angeblich wissenschaftlich fundierte Behauptung, das offenbar nur temporäre Wachstum des Eisschildes widerlege den Klimawandel, ist sozusagen am Eisbärenfell herbeigezogen. Wobei: Eisbären leben in der Arktis. In der Antarktis gibt es Pinguine.

Am Rande: Mrosek war nach eigenen Angaben von 1989 bis 1995 „auf verschiedenen Seeschiffen“ mit „Verantwortung“ eingesetzt. Von 2007 bis 2016 war er Kanalsteuerer (eine Art Lotse) auf dem Nord-Ostsee-Kanal). Das war wohl auch besser, denn auf dem Kanal musste er nur zwischen West und Ost navigieren. Mit der Unterscheidung zwischen Nord und Süd hat er ja offenbar Schwierigkeiten.

Erst abgelehnt, dann veröffentlicht

Anlass für die Publikation von Mroseks August-Einlassungen zum angeblichen Beweis des Nichtvorhandenseins des Klimawandels ist ausgerechnet die Ablehnung eines entsprechenden Beitrags für die Juli-Ausgabe des Amtsblatts: Die Stadtverwaltung hatte die Veröffentlichung mit dem Hinweis verweigert, das Thema habe keinen Bezug zu Dessau-Roßlau.

Im August hat sich die Stadt dann offenbar der Behauptung des selbst ernannten Schonungslosen Aufklärers (abgekürzt: SA) Mrosek geschlagen gegeben, der Artikel sei als „Hinweis“ für den städtischen Klimabeauftragten gedacht und habe deshalb einen Bezug zur lokalen Politik – und hat den Blödsinn veröffentlicht. Dabei haben sich weder lokale Relevanz noch sachliche Fehlerhaftigkeit der blaunen Propaganda verändert.

Amtliche Verantwortungslosigkeit

„Für die sachliche und fachliche Richtigkeit aller Angaben auf den Fraktionsseiten übernimmt die Stadtverwaltung als Herausgeberin des Amtsblattes inhaltlich keine Gewähr“, heißt es unverdrossen und jenseits der Regelungen des Presserechts in der Unterzeile zu den Fraktionsseiten. Die Stadt lehnt mithin alle Verantwortung für zusammenfantasierte Propaganda ab. Sie publiziert verantwortungslos.

Gleiches gilt für die übrigen Fraktionen im Stadtrat: Im geltenden sogenannten Redaktionsstatut (Beschluss des Stadtrates aus Oktober 2019) heißt es, „dass Beiträge für die Fraktionsseiten dann nicht veröffentlicht werden, wenn sie offenbar unwahr sind (…)“. Es ward aufgeschrieben und augenscheinlich vergessen. Wie viel Schwachsinn soll denn Bürgerinnen und Bürgern noch mit quasi amtlichem Segen untergejubelt werden, bis in Verwaltung oder Stadtrat jemand aufwacht? Bei den einen wächst das Eis, bei anderen schmilzt der Verstand.